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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 34.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Dommeister von Regensburg.
Geschichtliche Erzählung von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


„Zurück!“ rief Roritzer, die Hand an’s Schwert gelegt, mit würdevollem Ernst der herantobenden Volksmenge zu. „Ihr steht am Eingang der Dombauhütte … das ist eine von Kirche, Kaiser und Stadt gleich geweihte und gefriedete Freistatt, ich schütze sie, wer will an ihr zum Friedensbrecher werden?“

„Was da! Der Friede ist längst gebrochen und nicht von uns!“ rief der Anführer entgegen. „Wir kennen Euch wohl, Herr Dommeister, und möchten gern vermeiden, Euch zuwider zu sein … aber haltet uns nicht auf! Gebt uns den heraus, den wir suchen, oder Ihr sollt das Gewicht unserer Arme spüren!“ Damit senkte er seine Lanze und drängte gegen Roritzer vor.

„Spür’ erst Du selber das Gewicht des meinen!“ rief dieser und führte einen Schlag nach der Lanze, daß der Schaft zertrümmerte und die Eisenspitze klirrend zu Boden flog. „Der nächste Hieb gilt Deinem Kopfe! Zurück, Gesindel!“ fuhr er fort, während die vorgedrängte Menge betroffen anhielt und der Hagere unschlüssig das Lanzenstück in seiner Hand anstarrte.

„Oho, Meister Roritzer,“ rief jetzt sich vordrängend ein stämmiger Mann in schwarzem Schurzfell und aufgestülpten Hemdärmeln, deren Ruß verrieth, daß er von der Arbeit weg dem Tumulte zugelaufen war, „so müßt Ihr nicht mit uns reden! Wir sind kein Gesindel, Herr, wir sind Handwerksmeister, so gut wie Ihr, Männer und Bürger der Stadt und ehrbare Zunftgenossen, die dem Schandregiment ein Ende machen und mit dem Schelm abrechnen wollen, der schuld ist an allem Unheil. Ich bin der Schmied von Sanct Peter’s Thor; hier ist Meister Rauchenfelser, der Tuchscheerer, Schneider Wastel, Zinngießer Bauer, und dem Ihr den Spieß zerschlagen, ist Altmeister Hörhammer von der ehrsamen Schusterzunft!“

„Nun denn, wenn Ihr Bürger seid,“ entgegnete Roritzer, „so zeigt es in der That, nicht blos in Reden! Was lärmt und tobt Ihr durch unsere friedliche Stadt als Meuter und Rebellen, statt Euern Handel und Eure Beschwerde auszutragen und zu verhandeln, wie’s Recht ist und das Recht erheischt?“

„Wirst Dich doch jetzt nicht auf Federlesen einlassen?“ rief ein kleiner schielender, etwas verwachsener Mensch, indem er vorsprang und klirrend auf das Bruststück schlug, das er sich umgeschnallt hatte. „Werdet doch nicht jetzt erst viel Dicentes machen? Recht? Es giebt kein Recht mehr: der Rath hat das Recht todtgeschlagen, und nun wollen wir dafür ihn selber ein bischen todtschlagen!“

„Kräht Ihr auch mit, Meister Hetzer?“ rief Roritzer unmuthig. „Wollt Ihr Eurem Namen Ehre machen? Meint Ihr, man kennt Euch nicht?“

„O, man darf mich kennen!“ schrie der Kleine. „Ich bin ein Barchentweber und heiße Hetzer, und wo ich selber nicht beißen kann, da will ich wenigstens hetzen, daß Andre es für mich thun! Ich hab’ mich schlecht und gerecht, aber kümmerlich genug durchgeschlagen; seit der Rath das fremde Gewebe hereingelassen, kann ich lustwandeln gehen und mit meinen Kindern am Hungertuch nagen! Hat der Rath nach meinem Recht gefragt? Nichts da von Recht, es giebt kein andres Recht als drein zu schlagen! Also aus dem Weg, Herr!“

„Zurück!“ donnerte Roritzer, indem er mit mächtigem Arm sein Schwert ein paar Mal im Kreise schwang, daß es blitzte und pfiff und der andrängende Haufen unwillkürlich etwas zurückwich. „Zum letzten Male zurück! Was Ihr auch vorhaben mögt, und ob Eure Sache die gerechteste der Welt wäre, hier macht Ihr keinen Schritt vorwärts … über diese Schwelle setzt Keiner einen Fuß, so lang ich lebe! Ich bin Dommeister … meinem Schutz ist Bau und Hütte vertraut und ich werde die Freistatt wahren bis zum letzten Blutstropfen! Auf Eure Köpfe die Verantwortung, Euer Blut über Euch selbst!“

Die Festigkeit des Meisters verfehlte ihren Eindruck auf die Menge nicht; sie stand einen Augenblick schwankend und unschlüssig, aber sie war wie eine am Felsen abprallende Welle, die nur zurückweicht und sinkt, um wilder, höher und drohender wiederzukommen. Der Barchentweber kreischte, und der Schuster hatte die erste Ueberraschung abgeschüttelt. „Voran!“ rief es aus verschiedenen Kehlen. „Der Dommeister ist einverstanden mit dem Rath! Er ist auch einer von den Herren! Voran, nieder mit ihm!“

Schon hoben sich die Waffen, als der Schmied noch mit lautem Ausruf dazwischen sprang. „Halt ein, Wachtgenossen!“ rief er, „noch einen Augenblick haltet ein! Mir will’s nicht aus dem Sinn, daß der Meister uns Meuter und Gesindel geheißen und gesagt hat, wir sollen in Ruhe und Ordnung unser Recht suchen… Wir wollen ihm zeigen, daß wir Bürger und ehrbare Männer sind, und er soll erproben, daß es nicht leeres Gerede war, das mit dem Rechtsuchen! Woran hat es uns immer am meisten gefehlt? Warum haben wir in der Verhandlung noch immer den Kürzern gezogen? Weil wir schlichte Leute, einfache Handwerker und den Pfiffen und Schlichen des Raths und der Geschlechterherren nicht gewachsen sind! Hätten wir einen tüchtigen Fürsprech gehabt, einen Anführer, der’s mit Wortfängern und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_521.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)