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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Wenn die Schwärme der Neuankommenden den Castle-Garden verlassen, kann man eigenthümliche Scenen sehen. Dieser oder jener findet zufällig einen Bekannten aus der Heimath, Andere werden von Verwandten erwartet und nun ist die Freude des Wiedersehens groß. Thränen, Küsse, ein Kreuzfeuer von Fragen, endlich ein Fortführen im Triumph. Die Meisten sind indessen nicht so glücklich; sie erwarten und finden Niemand, sie betreten vielleicht das neue Land, wie sie das alte verlassen haben, ohne Theilnahme von irgend einer Seite, aber immer mit Hoffnungen. Die Neueinwandernden können die versammelten Neugierigen nicht genauer und erstaunter betrachten, als die letzteren jene, nur sind die Gründe verschieden. Besonders werden die Mädchen begafft; sie sind eine gesuchte Waare, bei ihnen aber ist Vorsicht doppelt nothwendig. Man reißt sich förmlich um Dienstmädchen, doch sind die Stellungen derselben oft recht eigenthümliche, nicht näher zu erörternde. Am besten thun alleinstehende junge Mädchen, die eine ehrenhafte Carriere machen wollen, sich an die Frau im Castle-Garden zu wenden, welche von der Stadt, zum Behufe des Rathertheilens, engagirt ist. Männern wird es in Amerika viel schwieriger Stellungen zu finden, namentlich, wenn sie wählen wollen und lange mit dem Suchen warten. Hier muß man bekanntlich Alles angreifen, was einem unter die Finger kommt, denn Arbeit schändet hier durchaus nicht, und ich denke dadurch nicht schlechter geworden zu sein, daß ich Chorist, Cigarrenmacher, Rollenschreiber, Privatlehrer, Theatersecretär, Colporteur, Zeitungsübersetzer etc. gewesen bin.

Die Functionen der Castle-Garden-Beamten beziehen sich nicht allein auf den Schutz der Einwanderer, sondern sind auch wichtig für die Statistik, da keine polizeilichen Ausweise existiren und der Census nicht in der Art aufgenommen wird, wie bei uns. Durch sie wissen wir also, wie stark jeden Monat die Einwanderung ist und daß dieselbe von Jahr zu Jahr steigt, bis das alte Europa seine besten Kräfte an den jungen Vampyr Amerika abgegeben haben wird.




Scenen und Bilder aus dem Feld- und Lagerleben.
6. Die Russen in Kissingen.[1]


Die diesjährige Saison war auch in Kissingen nicht reich an Gästen; dennoch hatten sich hier gegen dreihundert ausländische Familien, vornehmlich Engländer und Russen, eingefunden. Still flossen die Tage der Curzeit dahin und die meiste Abwechselung brachten noch die Thaten der Preußen. Alle waren überzeugt, daß der Krieg das stille Asyl der Kranken verschonen werde. Anfang Juni begannen die Durchzüge bairischer Truppen, welche, auf der Straße von Schweinfurt nach Fulda und Meiningen, bis zum 27. Juni (alles nach altem Kalenderstyl) fortdauerten. Auch der König von Baiern kam nach Kissingen zur Heerschau. Man sagte uns, daß diese Truppen nach Sachsen gingen, um sich dort mit den österreichischen zu vereinigen.

Am 23. Juni wurden wir durch die Bekanntmachung des Kissinger Bademagistrats, daß die Preußen Fulda (etwa zehn Stunden Fahrt von Kissingen) besetzt hätten, in einige Unruhe versetzt. Den ganzen Tag über sprengten Baiern durch die Stadt mit der Nachricht, daß die Preußen auf Kissingen losmarschirten. Wir gedachten die Stadt zu verlassen, aber es gab fast keine Pferde, so daß es nur sehr Wenigen gelang fortzukommen; gegen Abend machte übrigens der Magistrat durch Maueranschlag bekannt, daß das Gerücht von einem Herannahen der Preußen sich als grundlos herausgestellt habe, daß die Preußen nicht einmal in Fulda sich gezeigt hätten und daß der ganze Alarm nur in Folge eines unbedeutenden Scharmützels zwischen Baiern und Preußen an der Grenze entstanden sei. Alle fühlten sich beruhigt.

Am 26. Juni kamen bairische Ulanen und Artillerie nach Kissingen; bei ihnen befand sich u. A. Prinz Ludwig von Baiern, der sich bis zum Morgen des 27.in Kissingen aufhielt und sodann fortreiste, ohne daß man wußte, wohin. Hierauf verschwanden auch Ulanen und Artillerie. In der Stadt blieben nur anderthalbtausend Mann Fußtruppen und zwei Kanonen. Niemand wußte, wie viel bairische Truppen sich in der Umgegend befanden: es war dieses ein Kriegsgeheimniß. Still und ruhig ging der Morgen des 27. Juni vorüber; Niemand hatte eine Vorstellung davon, was sich für den andern Tag vorbereitete. Um vier Uhr Nachmittags saß die ganze Gesellschaft im Curgarten am Brunnen, in Erwartung der Musik, welche um sechs Uhr zu beginnen pflegte, oder musicirte im Cursaal, spielte Karten oder trank Kaffee. Plötzlich erscheinen bairische Soldaten und stellen sich in kleinen Abtheilungen an verschiedenen Stellen des Gartens auf. Anfangs dachten wir, es seien Truppen, die, auf dem Durchmarsch begriffen, in Kissingen Halt gemacht hätten und nun, wie Aehnliches fast alle Tage geschah, den Abend im Garten zubringen wollten; aber alsbald erfuhren wir, daß die preußischen Truppen sich Kissingen näherten und daß nach einigen Stunden in der Stadt selbst eine Schlacht geliefert werden sollte. Man denke sich den allgemeinen Schreck und die Verwirrung bei dieser unerwarteten Nachricht! Alle eilten ihren Wohnungen zu, um einzupacken, abzureisen, aber, o weh! es waren weder Pferde noch Wagen zu bekommen; es gab keine. Diejenigen Curgäste, deren Wohnungen sich jenseits des Flusses, der die Stadt in zwei Theile theilt, befanden, hatten nicht einmal die Möglichkeit, nach Hause zurückzukehren, weil die Baiern die über den Fluß führenden kleinen Brücken abgebrochen und Barricaden gebaut hatten. Die Hauptbrücke hatte man befestigt, es standen Kanonen darauf; Niemand durfte hinüber. Man mußte in der Stadt bleiben, sich mit dem, was man anhatte und mit sich trug, begnügen und alle andern Effecten ihrem Schicksal überlassen. Noch immer tröstete der Bademagistrat die Curgäste, es werde keine Schlacht geben, es würden nur einige Vorsichtsmaßregeln für den Fall getroffen, daß irgend ein kleiner Trupp Preußen etwa plötzlich in die Stadt käme. Diejenigen, welche ihre Wohnungen erreichen durften, wurden gebeten, nur ganz ruhig dazubleiben, die andern, die obdachlos geworden waren, ersuchte man, sich ein Unterkommen in den Gasthöfen zu suchen.

Die Nacht verging ruhig. Ein, zwei Schüsse hörte man in den Bergen fallen – das war Alles. Um sieben Uhr Morgens am 28. Juni wußten die Baiern noch nicht, wo die Preußen waren und in welcher Entfernung oder Nähe. Um acht Uhr gedachte der Anführer der bairischen Truppen eine Abtheilung Soldaten zur Recognoscirung auszusenden (dies sagte mir der Badecommissar um acht ein Viertel Uhr selbst), aber nach Verlauf von fünf Minuten schon erschallten die ersten Schüsse. Von halb neun Uhr an begann das Schießen stärker zu werden; häufiger und häufiger erschallten Kanonensalven, der Donner der Geschütze krachte, die Kugeln pfiffen; es begann Granaten und Kartätschen zu hageln, mit einem Wort, es begann ein heißer Kampf. Ich unterlasse es, die Einzelnheiten des Gefechts zu erzählen, weil ich mit dem Kriegswesen durchaus nicht vertraut bin und auch, aufrichtig gesagt, bei dem Sausen der Kugeln keineswegs Lust verspürte, dem Verlaufe der Sache zu folgen; ich bemerke nur, daß der Kampf zuerst jenseits des Flusses stattfand, sodann auf der Brücke und endlich in der Stadt selbst und besonders im Curgarten. Auf dem Berge hinter der Stadt waren von den Baiern drei Batterien errichtet worden (wir wußten davon nichts) und achtzehn Geschütze schleuderten ihre Kugeln, Granaten und Kartätschen über die ganze Stadt hinweg nach der Seite hin, von welcher die Preußen kamen, so daß in dem jenseit des Flusses gelegenen Theile der Stadt alle Häuser mit bairischen Mörsergeschossen wie besäet, einige stark beschädigt, ja halb zerstört wurden. In der Stadt selbst nahmen die Baiern viele Häuser ein, darunter mehrere, in denen sich Wohnungen von Curgästen befanden. Von hier aus ward aus den Fenstern geschossen. Der Kampf dauerte bis halb zwei Uhr. Da begann das Feuern in der Stadt aufzuhören. Die Baiern, total geschlagen, verließen die Stadt und die Preußen zogen als Sieger ein. Das Handgemenge dauerte übrigens auch noch hinter der Stadt, in den Bergen und auf der Straße nach Schweinfurt bis in die Nacht hinein fort.

Nicht etwa eine Abtheilung preußischer Truppen kam nach

  1. Aus dem in einer russischen Zeitung veröffentlichten Briefe eines Russen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_529.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)