Seite:Die Gartenlaube (1866) 531.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

sich mit Scheltworten auf Herrn Komissarshewskij. Einer der Soldaten schlug ihn mit dem Flintenkolben auf die Schulter. Herr Komissarshewskij sagte, er sei ein Ausländer, Russe; wo der Gastwirth sei, wisse man nicht. Die Preußen glaubten ihm nicht; er zeigte seinen Paß vor, den sie zerrissen und fortwarfen. Die Soldaten schleppten Herrn Komissarshewskij mit gefälltem Bajonnet in die Wohnungen des Hauses. Oben befahl man ihm, die Thüren der Wohnungen zu öffnen. „Ich habe keine Schlüssel,“ sagte Herr Komissarshewskij; „ich habe schon erklärt, daß ich nicht der Wirth bin, brecht die Thür ein.“ Mit diesen Worten stieß er selbst mit dem Fuße die Thür ein. Die Preußen traten ein und untersuchten alle Wohnungen des Hauses. Sodann stiegen sie bis zu den Dachkammern hinauf. An der Thür des Bodenraumes richteten sie ihre Flinten gegen Herrn Komissarshewskij und sagten ihm: „Finden wir auch nur einen einzigen Baiern, so tödten wir ihn und Dich.“ Zum Glück für Herrn Komissarshewskij war Niemand im Bodenraume, die Preußen beruhigten sich und sagten zu der Gemahlin des Sängers, daß sie demselben kein Leid hätten zufügen wollen, daß sie aber überzeugt gewesen seien, in diesem Hause seien Baiern verborgen. Man vergegenwärtige sich die Lage der Dame, während man ihren Gemahl im Hause umherführte!

Ich habe einige Fälle angeführt, um zu zeigen, daß die baierischen Behörden auch nicht im Entferntesten auf unsere Sicherheit bedacht waren, und wenn Niemand von uns getödtet oder verwundet wurde, so verdanken wir dies lediglich dem Zufall und der Vorsehung.

Gegenwärtig kommen alle die erschreckten, verwirrten Ausländer allmählich zu sich. Einige haben Mittel und Wege gefunden, die Stadt zu verlassen. Andere – darunter auch ich – nahmen die unterbrochene Wassercur wieder auf. Fast alle Damen haben sich in barmherzige Schwestern verwandelt und sind vom Morgen bis zum Abend mit der Pflege der Verwundeten beschäftigt, indem sie den Wundärzten hülfreich an die Hand gehen, Verbände anlegen und diejenigen speisen und tränken, die solcher Hülfe bedürfen. Aus den Häusern wird Wäsche, Bettzeug, Essen und Trinken gebracht.

Ich bin, wie erwähnt, durchaus nicht vertraut mit dem Militärwesen und maße mir nicht an, zu beurtheilen, in welchem Grade die Baiern nöthig hatten, gerade Kissingen zum Schlachtfelde zu wählen; aber im Namen der Nächstenliebe wage ich es, die Frage zu stellen: haben die bairischen Behörden uns gegenüber recht gehandelt, indem sie unser Leben, das Leben unserer Frauen und Kinder einer solchen Gefahr aussetzten? Hatten die Baiern einmal den Entschluß gefaßt, Kissingen zum Kampfplatze zu bestimmen, warum haben sie uns nicht davon in Kenntniß gesetzt und uns aufgefordert, abzureisen oder in der Umgegend in sichern Orten eine Zuflucht zu suchen? Warum täuschte man uns bis zum letzten Augenblick mit der Angabe, es sei keine Gefahr; wir sollten unbesorgt sein? Als die Baiern auf den Bergen heimlich drei Batterien mit achtzehn Geschützen auffuhren, deren Mündungen gegen die Häuser gerichtet waren, konnten sie da wohl glauben, daß ihre Kugeln, Granaten und Kartätschen nur Preußen treffen würden?

Führen die Baiern mit den Preußen Krieg, so müssen nur diese und jene unter den Schrecknissen des Krieges leiden; macht man aber friedliche Ausländer, die in eine nicht im Kriegszustand befindliche Stadt, sondern an einen Curort kamen, zu unfreiwilligen Theilhabern an diesen Schrecknissen des Krieges, so ist dieses eine directe Verletzung der internationalen Beziehungen. War die Stadt in Gefahr, so hätte man sogleich es verkünden, die Cursaison schließen, die Kranken zur Abreise auffordern sollen, statt so ohne alle Umstände zu verfahren. Oder haben vielleicht die Baiern auf die Anwesenheit von Ausländern in der Stadt als auf ein Mittel zum Erfolg gerechnet, in der Hoffnung, daß die Preußen eine von Ausländern angefüllte Stadt nicht zu beschießen wagen würden?

In der That muß man sich bei der ungeheuren Artillerie, über welche die Preußen verfügten, darüber wundern, daß sie die Stadt nicht zerstörten, daß sie dieselbe ganz unversehrt ließen. Es fand sich keine einzige preußische Kugel, keine einzige preußische Kartätsche in der Stadt!

Die Baiern werden vielleicht ihre Handlungsweise mit der Plötzlichkeit des Ueberfalles zu rechtfertigen suchen. Es ist nicht wahr: ein plötzlicher Ueberfall kann von einer kleinen fliegenden Colonne gemacht werden; von der Annäherung eines Heeres von fünfzigtausend Mann nicht vorher unterrichtet zu sein, ist unverzeihlich und undenkbar. Oder führen die Baiern mit verbundenen Augen Krieg? Wozu aber die Batterien? Wozu achtzehntausend Mann Truppen? Also sie wußten davon und rüsteten sich.




Krokodile in München.


Die große Zahl von Wandergästen, die sich in friedlichen Sommern der bairischen Hauptstadt zuwenden, wird nicht blos von den landschaftlichen Reizen der nahen Alpen und des Oberlandes angezogen, auch die Stadt selbst lockt gar viele Besucher herbei, denn durch König Ludwig den Ersten ist dort bekanntlich eine Menge merkwürdiger Bauten und Kunstschätze aller Art geschaffen und angesammelt worden, welche gesehen zu haben zu den Cardinalpflichten jedes Touristen gehört. Dieser Fürst hatte seine Neigung mit großem Uebergewichte den bildenden Künsten zugewendet, wie er denn durch die Berufung von Architekten, Malern und Bildhauern recht eigentlich der Gründer einer neuen Kunstschule geworden ist. Die Wissenschaften hatten sich einer solchen Begünstigung nicht zu erfreuen; mindestens weiß man nicht viel mehr von solcher Förderung zu erzählen, als daß er in jüngern Jahren einem deutschen Dichter einen Jahrgehalt zu verleihen beschloß, lange Zeit zwischen Heine und Platen schwankend und endlich für Letzteren sich entscheidend.

Es ist eine nicht seltene Erscheinung in der Geschichte der Fürsten, daß der Nachfolger, in der Absicht, seiner Thätigkeit ein neues Feld zu schaffen, gerade das Gebiet bebaut, das der Vorgänger brach gelassen; so war es auch, als König Maximilian 1848 auf den sturmumbrandeten Thron stieg und, von dem Drange seiner persönlichen Neigungen und Studien geleitet, sich bald als Schirmherrn der Gelehrten und Dichter ankündigte, als den er sein ganzes schönes, nur zu kurzes Leben hindurch sich bewährte. Für alle Fächer wurden die ausgezeichnetsten Männer der Wissenschaft berufen und bald hatte sein königliches Wort auch die meisten der gefeiertesten Dichternamen der Gegenwart um sich versammelt, sicher in der Hauptabsicht, die Dichtkunst selber zu fördern, eine eigene neue Dichterschule entstehen zu lassen, wie sein Vater eine Malerschule sich hatte bilden sehen und wie er selbst im Gebiete der Architektur sich mit der Lieblingsidee trug, einen neuen selbstständigen Baustyl hervorrufen zu können.

Es war keine sehr ebene Bahn, welche die Dichter in München zu wandeln hatten; wenn aber auf ihr mehr der Dornen lagen, als eben nothwendig gewesen wären, so mag die Schuld sich wohl auf beide Seiten vertheilen: auf die eine, weil sie den Wildgarten, der zu einem Park umgeschaffen werden sollte, etwas sehr geringschätzig betrachten mochte, auf die andere, weil durch den Charakter des bairischen Volksstammes – sei es zu Lob oder Vorwurf – unleugbar ein starker nativistischer Zug geht, der ihn zurückhaltend und abwehrend gegen alles Fremde macht.

In wie fern der Gedanke des Königs, der mit seinem Volke Frieden haben wollte und hatte, verwirklicht ward und eine Dichterschule entstand, läßt das Bild von Th. Pixis, das die Gartenlaube diesmal bringt, erkennen, das Bild der in München von den „Berufenen“ (so heißen sie in der Volkssprache noch immer) gegründeten Dichtergesellschaft der „Krokodile“ oder „vom Krokodil“. Was dieser Name eigentlich zu bedeuten hat, ist wohl schwer zu ermitteln; die scherzhafte Veranlassung dazu soll ein kleines Gedicht von Hermann Lingg gegeben haben, also lautend:

Im heil’gen Teich zu Singapur,
Da liegt ein altes Krokodil
Von äußerst grämlicher Natur
Und kaut an einem Lotusstiel.

Es ist ganz alt und völlig blind,
Und wenn es einmal friert des Nachts,
So weint es wie ein kleines Kind,
Doch wenn ein schöner Tag ist, lacht’s!

Wahrscheinlicher liegt eine geheime Hindeutung auf Aegypten als die Urstätte aller menschlichen Cultur zu Grunde, denn besser

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_531.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)