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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Der Brief,“ sagte Seeburg, „den Du wegen der Halskette geschrieben, war also Dein letzter? Ist keiner verloren gegangen?“

„O, wie wurmt’s mich!“ rief Vroni, „daß ich nicht wieder geschrieben habe. Der Schulmeister hat mir oft –“

„Der Schulmeister,“ unterbrach sie Seeburg, „der hat Dir wohl die beiden Briefe aufgesetzt und geschrieben?“

„Ja,“ gab Vroni erröthend zur Antwort. „Mein Geschreibsel kann Niemand lesen.“

Seeburg schwieg einen Moment betroffen still. So lag es zu Tage, daß der größere und leidenschaftlichere Abschnitt der Correspondenz vom Schullehrer allein fabricirt worden sei. Das gab ihm einen tiefen Stich.

„Wenn Sie mir meine Briefe zurückgeben,“ sagte das Mädchen betrübt, „so muß ich auch die Halskette holen –“

„Keinesfalls,“ sagte Seeburg freundlich, „die ist Dein. Ich habe sogar eine Uhr gekauft, weil Du immer eine gewünscht hast; aber da Du jetzt anderen Sinnes geworden –“

„O nein!“ rief Vroni mit freudestrahlendem Gesicht, „bedenken Sie nur, wie bös die Leute sind – ich habe Sie so gern – es freut mich so, daß Sie wieder da sind! Sie haben ja gesagt,“ fügte sie hinzu, „daß Sie morgen wieder abreisen –“

„Was sollte ich thun?“ war die Antwort. „Ich bin Deinetwegen gekommen, und als mein Wagen vorfuhr und Du mich erkanntest, liefest Du weg, statt mich zu begrüßen.“

„Ich war zu sehr überrascht,“ sagte das Mädchen. „Bleiben Sie nur, wir werden wieder recht lustig sein.“

„Versprichst Du das?“

„Ja,“ sagte Vroni und verschämt sich abwendend fügte sie hinzu: „Sie wissen ja, wie lieb ich Sie immer gehabt.“

Mit diesen Worten, die Seeburg vollständig beruhigten und in eine heitere Stimmung versetzten, lief sie davon. Solche herrliche Aussicht und eine Flasche Carlowitzer hoben Seeburg’s Humor.

Nicht lange darauf klopfte es an die Thür des kleinen, mit Blätterwerk überwachsenen Hauses, das jenseits der Weiden stand. Da wohnte der Schulmeister, und Alles zuckte im Alten zusammen, als er dies Klopfen hörte. Wie betäubt konnte er nicht einmal laut Herein rufen, aber es war auch gar nicht nöthig, denn Seeburg stand schon mit weitgeöffneten Armen vor ihm.

„Da bin ich!“ rief er. „Sie haben sich Herr Schullehrer, so herzlich gesehnt, an meiner Brust zu ruhen!“

„Was soll der Spaß?“ murmelte der Schulmeister scheu und grimmig, wie ein gefangenes Wild umherblickend.

„Ich habe Ihre glühenden Liebesbriefe erhalten und nicht nur beantwortet, sondern auch baar bezahlt; ich gestehe, daß sie mir für den Spaß, den sie mir gemacht, nicht zu theuer waren! Die Natur hat Ihnen ein schwärmerisches Herz gegeben und Sie haben Ihre Sache gut geführt, auch war es sehr klug von Ihnen, daß Sie der Versuchung widerstanden haben, mir Ihre Photographie zu senden.“

„Mein Gott, die Vroni …“ stotterte Balthasar Saiblinger, Ausflüchte suchend, wiewohl er Alles entdeckt sah.

„Vroni weiß von der ganzen Sache nichts,“ erwiderte Seeburg. „Auch jetzt noch nicht. Sie haben sich einen Spaß gemacht, mir zu schreiben, und ich, Ihnen zu antworten. Was habe ich anders thun können? Hätte ich nicht geschrieben, Sie wären im Stande gewesen, sich aus Liebeskummer in den See zu stürzen.“

„Mein Gott,“ stammelte der Schullehrer, in die Enge getrieben, „verdammte Geschichte! O, mich hat der Teufel geritten – ich, dummer Kerl, habe einen Mann wie Sie anführen wollen – ich verdiene ein paar ganz gehörige Ohrfeigen.“

„Lassen Sie sich darüber kein graues Haar wachsen,“ sagte Seeburg in lustigster Laune. „Alle Liebe hat ihren Kummer, das wissen Sie, edler Liebesdichter, am besten! Seien Sie heute Mittag mein Gast, da soll bei Wein und einem guten Gänsebraten das Herz wieder gesunden, das ich Ihnen so leichtsinnig gebrochen habe!“

„O, lieber Herr Seeburg,“ rief der Schuldige mit einem lauten Ausbruch der Reue, „wie großmüthig Sie sind! Welch’ ein edler Charakter! Mein Lebtag will ich an diese Stunde denken und mich ihrer noch auf dem Sterbebette erinnern!“

„Schon gut,“ unterbrach ihn Seeburg, „oder Sie verfallen wieder in Liebesklagen! Hier meine Hand!“

Sie gaben sich die Hände und Seeburg fügte hinzu:

„Für so viel Liebe sei Ihnen verziehen!“

Sie speisten Mittags zusammen und dabei erschien auch Vroni und plauderte und tändelte mit Herrn Seeburg, wie sie es früher gethan.




Ein Kämpe für Deutschlands Einheit.


Noch immer blüht im politischen Leben der Deutschen die Redensart üppiger als billig, aber auch die Rede, die wahre Frucht der Ueberzeugung, der wahre Samen der That, trat in den letzten Jahren bisweilen in erfreulicher und vielverheißender Gestalt auf.

Wer das große Leipziger Turnfest von Dreiundsechzig mitgefeiert hat, wird sich vor Allem des letzten Tages und der schönen stolzen Rede zur Erinnerung an die Völkerschlacht entsinnen, welche der Feier die Krone aufsetzte. Die Tage vorher hatten manche Fahne geschwungen, hier erhielten diese Fahnen erst die rechte Weihe. Die festlich erregte Stimmung der Versammelten hatte neben manchem Phrasenconglomerat auch manch gutes Wort vernehmen lassen, diese Ansprache mit ihrem ernsten, aus den Tiefen einer reichen Seele emporflammenden Pathos war die Rede der Reden. Sie wirkte auf die Hörer fast wie eine That, und sie wird auch ferne Leser mächtig ergriffen haben. Der Mann auf der Tribüne redete gewaltig, nicht wie die bloßen Theoretiker, es war in dem Gang seiner Gedanken, im Schwung seiner Empfindung, im Klang seiner Stimme ein Etwas wie politische Religiosität, ein freudig begeistertes Erbeben aller Saiten des Gemüthes unter dem Flügelschlag einer großen Hoffnung, die durch Studium und eigenes Nachdenken zu gewisser Zuversicht geläutert war, ein edles Prophetenthum, dem auch Geister schwachen Glaubens nicht widerstanden.

Den Bewohnern Leipzigs war diese Stimme nicht unbekannt. Schon oft hatten sie ihre Mahnung vernommen, wiederholt hatte sie das Beste bei Leipzigs festlichen Tagen gethan. Die Studirenden, die junge strebsame Kaufmannschaft, weite Kreise der Stadt blickten auf den Privatdocenten Heinrich von Treitschke als auf einen ihnen in kurzer Zeit theuer gewordenen Lehrer, und wenn er jetzt, von einer glaubensverwandten Regierung hinwegberufen, von der sächsischen als preußisch gesinnter Ketzer gern entlassen, als Scheidender sprach, so mischte sich in die Wirkung seiner Rede ein starkes Gefühl der Wehmuth, zugleich aber die Hoffnung, ihn in bessern Tagen wiederkehren zu sehen zur Fortsetzung seiner Arbeit für sein Volk in der Heimath.

Was Heinrich von Treitschke erstrebte – es beginnt sich jetzt zu verwirklichen in dem deutschen Einheitsstaate unter Preußens Führung, und darum dürfte auch der Moment erschienen sein, jetzt, wo Treitschke’s jüngste publicistische Schrift „die Zukunft der deutschen Mittelstaaten“ auf den ausgezeichneten Mann von Neuem die allgemeine Aufmerksamkeit gelenkt hat, den weitesten Kreisen des deutschen Volkes Mittheilung zu machen über den Gang seines Lebens und seiner Thätigkeit.

In Dresden 1834 geboren, wo sein Vater, jetzt Generallieutenant a. D., damals als Hauptmann bei der leichten Infanterie stand, bezog er nach sorgsamer Vorbildung als noch nicht achtzehnjähriger Jüngling Ostern 1851 die Universität, zunächst Bonn, wo er vorzüglich Dahlmann hörte, aber auch tapfern Antheil nahm an dem fröhlichen Studentenleben und, eine frische genußfähige Natur, vielfach in der schönen rheinischen Landschaft umherstreifte, später Göttingen und Tübingen und zuletzt Leipzig, wo besonders Roscher und Albrecht seine Lehrer wurden. Hier habilitirte er sich zwar schon 1859 als akademischer Docent, begann aber seine Lehrerthätigkeit für’s Erste noch nicht, sondern, nach einem neben publicistischen meist poetischen Bestrebungen gewidmeten Aufenthalte in München, erst 1861, mit seinen Vorlesungen über neuere preußische

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