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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

jeden Tag wie Schulkinder auf den Glockenschlag, und das einfache Mahl mundet uns herrlich.“

„Und was sagt Ihre Gemahlin zu Ihren Morgenspaziergängen als Blousenmann?“

„Davon weiß sie nichts. So gutmüthig und opferwillig wie sie ist, würde sie sich Entbehrungen auflegen, was mir peinlich wäre. Ich schleiche mich früh, wenn sie noch schläft, fort, sie glaubt, daß ich einzig meiner Gesundheit wegen einen Morgenspaziergang mache; wenn ich zurückkehre, finde ich sie, mich freudig begrüßend, bei der Bereitung des Frühstückes, welches mir doppelt willkommen ist. Niemand weiß, daß der Blousenmann und Notenschreiber mit dem Schriftsteller identisch, und kommt es einmal später an das Licht, nun, dann bin ich entweder so unbekannt, daß sich Niemand darum bekümmert, oder so berühmt, daß es mir in den Augen romantischer Personen eine Glorie verleiht, daß ich einst auch Handarbeiter war, denn mit den wachsenden Einnahmen werde ich die Blouse ablegen. Der Mensch muß eben zu leben verstehen!“




Ein Denkmal praktischen Gemeinsinnes.


Wie viel Tausend Europäer stürzen jährlich in’s Wasser und verlieren ihr Leben im Kampfe mit diesem fürchterlichen Elemente! Was für Mittel hat denn nun die europäische Vernunft ausgesonnen, um solchem Unglücke vorzubeugen, und mit welchem Erfolge? Sie hat Korkwämser, Schwimmgürtel und andere artige Dinge vorgeschlagen, die wirklich gegen das Ertrinken sichern, wenn man sie – am Leibe hat. Da sitzt aber eben der Knoten; Niemand hat sie am Leibe, wenn er in’s Wasser fällt. Es ist zum Verwundern, daß die Vernunft hierbei nicht mit der Mode in Verabredung trat, was doch sonst so häufig der Fall ist; daß sie, wenn diese Dame Pochen, Culs de Paris und Andres mehr gäng und gebe machte, daß sie, sage ich, diese Dinge nicht von Kork lieferte. So wären die Damen vor dem Ertrinken gesichert gewesen; den Herren hätte sie dann auch leicht durch falsche Schultern und andere Zusätze zu Hülfe kommen können.

Sie setzt Prämien auf die Rettung der Verunglückten. Das ist vielleicht schön, wenn es an innerlichen Prämien fehlt und wenn die Retter im Wasser nicht ebenso rettungslos sind, wie die zu Rettenden; wenn ihre ganze Hülfe nicht allein darin besteht, am Ufer um Hülfe zu schreien, Kähne, Stangen etc. zu suchen, indeß der Unglückliche unterliegt.

Sie zieht endlich den armen, leblosen Kämpfer heraus und überliefert ihn der medicinischen Kunst, um ihn von dieser methodisch in’s süße Leben zurückführen zu lassen. Fern sei aller Spott, nur Achtung, wahre, innige Achtung, fühle ich für die menschenfreundlichen Aerzte, die hierin arbeiten. Aber bringt ein Naturkind herbei, von den sogenannten Wilden, die mit dem Wasser so vertraut wie mit der Luft sind, laßt es Alles mit ansehen, und es wird am Ende, wenn der Todte wirklich wieder aufersteht, fragen: „Wendet Ihr Europäer denn diese Mittel an, weil Euer Bruder ertrunken ist, oder laßt Ihr ihn ertrinken, damit Ihr Gelegenheit habt, diese Mittel anzuwenden?“

Dergleichen Anführungen und Auseinandersetzungen wären vielleicht vor siebenzig Jahren nöthig gewesen, um die Schwimmkunst dem großen Publicum zu empfehlen, und man brachte dergleichen Empfehlungen damals wirklich vor. Wir, das gegenwärtig lebende Geschlecht, wollen uns ein wenig darauf zu Gute thun, daß wir nicht mehr so pathetischer Ansprachen bedürfen, um uns zu überzeugen, daß Reinlichkeit und körperliche Rüstigkeit wünschenswerthe Dinge sind. In allen nur einigermaßen bedeutenderen deutschen Städten existiren, zum Theil mit den Schulen und sonstigen Bildungsinstituten verbunden, jetzt seit einer Reihe von Jahren schon mehr oder weniger zweckmäßig eingerichtete öffentliche Schwimmanstalten. Der Prospect, mit welchem das Gründungscomité für die auf Actien in’s Leben zu rufende neue Schwimmanstalt zu Leipzig, der die Stadt die Ausfüllung einer in der Reihe der öffentlichen Wohlfahrtsinstitute entstandenen fühlbaren Lücke verdankt, am 26. Februar 1866 vor die Oeffentlichkeit trat, konnte mithin den wohlthätigen Einfluß des Badens und Schwimmens auf die Entwickelung und den Gesundheitszustand von Jung und Alt als eine bekannte und anerkannte Sache voraussetzen.

Seit fast einem Vierteljahrhundert besaß Leipzig eine Schwimmanstalt; sie befand sich an der Westseite der Stadt, wo die Elster sich dieser in einem kleinen Bogen zuwendet, ein wenig oberhalb der Stelle, an welcher der Marschall Poniatowsky 1813 ertrank. Als sie angelegt wurde, breitete sich noch auf beiden Seiten des Flusses eine im Privatbesitz befindliche Wiese aus. Im Mai 1842 von einem Privatmanne, Herrn Neubert, begründet und hauptsächlich nach den Vorschlägen des bekannten Schriftstellers von Corvin-Wiersbitzki erbaut, erhielt sie im Laufe des Sommers unter dessen Direction ihre Vollendung. Ueber zwanzig Jahre trafen sich seitdem die Freunde der Schwimmkunst und des kühlenden Flußbades in ihren Räumen und fühlten sich heimisch darin. Inzwischen wuchs die Stadt, Gärten und Wiesen machten einem neuen Theile derselben Platz und der Zeitpunkt rückte heran, wo die vorschreitende Bebauung der nächsten Umgebung den längeren Fortbestand der Anstalt unzulässig machen mußte. Die Häuserreihen, welche auf unserem Bilde der neuen Schwimmanstalt den Hintergrund füllen, umfaßten völlig die Stelle, welche ihre Vorgängerin einnahm.

Es war natürlich, daß die Frage über die Verlegung die betheiligten und maßgebenden Kreise lebhaft beschäftigte. In den Erwägungen, welche beiderseits darüber gepflogen wurden, stellte sich endgültig die Ansicht fest, daß für das Unternehmen besser gesorgt sein würde, wenn es nicht von Seiten der Stadt selbst ausgeführt und erhalten werde, da diese einestheils weder so schnell, noch so wohlfeil bauen, anderntheils auch nicht einmal so vortheilhaft verwalten könne, wie Privatleute. Beliefen sich doch die Herstellungskosten der allerdings sehr vollständigen und großartig ausgedachten Schwimmanstalt, welche das Rathsbauamt im Auftrage projectirte, auf die abschreckend hohe Summe von mehr als hundertundzwanzigtausend Thalern. Der Rath entschloß sich daher, sobald im Spätsommer vorigen Jahres die Neubert’sche Anstalt für immer geschlossen war, einer größeren Anzahl mehrjähriger Besucher derselben in einer am 23. October abgehaltenen Versammlung die Bildung einer Actiengesellschaft für den vorliegenden Zweck zu empfehlen, dieser aber die unentgeltliche Ueberlassung des erforderlichen Areals zu verheißen. Ein in jener Versammlung gewählter vorbereitender Ausschuß prüfte hierauf wiederholentlich die Bedürfnisse und Aussichten der Anstalt, suchte sich aus den an ähnlichen Unternehmungen andernorts gemachten Erfahrungen ein selbstständiges Urtheil zu bilden, ließ die Baupläne des Rathsbauamtes vereinfachen und durch den Architekten Herrn Dimpfel neue Risse und Kostenanschläge entwerfen, erlangte später seitens der Stadt die feste Zusicherung, daß diese den erforderlichen Flächenraum der zu bildenden Gesellschaft auf fünfundzwanzig Jahre unentgeltlich überlassen, das Bassin, sowie Zu- und Abflußcanal für Rechnung der Stadtcasse herstellen und für kürzeste Zugänge sorgen wolle. Endlich fand der Beschluß des Rathes auch die einstimmige Genehmigung der Stadtverordneten.

Darüber war der Winter vergangen; erst im März dieses Jahres konnte die Zeichnung der bei den so gewonnenen Grundlagen noch für nothwendig, aber auch ausreichend erachteten sechshundert Actien zu fünfzig Thaler begonnen werden. Sie war schneller bewerkstelligt, als man dachte, die Gesellschaft constituirte sich und legte die weiteren Maßregeln, insbesondere auch die Ausführung des Baues und die Betriebsordnung, alsbald in die Hände eines aus fünfzehn Mitgliedern bestehenden Verwaltungsrathes. In den letzten Tagen des April geschah auf der Stelle, welche die Anstalt jetzt einnimmt, der erste Spatenstich, am 8. Juli waren die Baulichkeiten – Dank der energischen Thätigkeit des Herrn Wasserbauinspectors Georgi, welcher die Ausgrabungen leitete, des Architekten Dimpfel, welcher den Bau beaufsichtigte, und der Gewerken, der Baufabrik Wenck, Werner und Voigt und des Maurermeister Klemm – soweit gefördert, daß es möglich war, die „Saison“ zu eröffnen. Von da an ließ sich gemächlich vollenden, was eilig angefangen war. Unsere Abbildung zeigt die fertige Anstalt in reger Benutzung. Sie liegt, etwa sechszehn Minuten westlich von der Mitte der Stadt entfernt, auf einer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_580.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)