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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

aufgezählt, erklärt er, daß er nach solchen Unbilden, wie sie wohl keinem Fürsten und Herrn oder Menschen angethan wurden, der das reinste Regentengewissen hat, der allen Zeitforderungen für ein großes, freies, einiges Deutschland zugejubelt, nun die Regierung niederlegen zu wollen, und schließt: „In irgend einem fernen Ort will ich über den Wechsel menschlicher Dinge nachdenken und zu Gott beten, daß die künftige Generation sich würdiger der Freiheit benehme, wie die jetzige, für die ich mein angestammtes Eigenthum geopfert und die besten Kräfte in langjähriger Regierungszeit.

Schloß Guteborn, im Juli 1848

Heinrich der Zweiundsiebenzigste Fürst Reuß.“

Also auch da noch zeigte sich jene bedauernswerthe Selbsttäuschung des Mannes, der, nur von Launen geleitet, jede Selbstständigkeit, jede freie persönliche Regung, die seinem Willen entgegentrat, mit absolutistischer Rücksichtslosigkeit unterdrückte, der nur Unterthanen haben wollte, die in jedem bescheidenen Almosen, das ihnen aus Landesmitteln zufloß, eine außerordentliche Gnade des durchlauchtigsten, gnädigsten Herrn erblicken sollten, der sich die übertriebensten Lobeserhebungen von seinen Schmeichlern als baare Münze und Ausdruck der Volksmeinung bieten ließ.

Diesem letzten Worte Heinrich’s des Zweiundsiebenzigsten an sein Volk folgte bald darauf nachstehende Abdankungsanzeige: „Meinen zahlreichen auswärtigen Freunden und Bekannten die Anzeige, daß ich die Regierung niedergelegt habe. Aus meiner Entsagungsurkunde für diejenigen, die mich kennen, ein deutlich Bild … Ich füge hinzu: Nicht das Auferstehen Teutschlands – ich glaube nicht, daß ein Teutscher mehr demselben huldigt, und jedes Opfer für Teutschlands Größe zu bringen bereit – sondern die Masse von Erbärmlichkeit, die in der Flachsenfingerei eines kleinen Staates mit dem März auftauchte und an die Stelle wahrhaft glücklicher Zustände (!!!) trat, hat mich vertrieben. Im Anfange gänzliche Unkunde und Schwäche der Civilbehörden, durch die die Wühlerei erst groß gezogen ward, welche, von zwei Städtchen ausgehend, nach und nach natürlich weiter fraß und Alles ansteckte. Mein im Kleinen ausgebildetes Wehrsystem … unbenutzt.“ Nachdem er wiederum seine angeblichen Verdienste um das Volk aufgezählt, fährt er fort: „Ein paar Beispiele jenes Undanks. An einem schönen Märzmorgen beendige ich eine Conferenz mit meinem Oberforstmeister mit den Worten: ‚Nun, Herr Oberforstmeister, wir haben heute das Waidwerk begraben.‘ (Das heißt auf den ruhigen und den Gesetzen der Natur folgenden Wegen.) Statt dessen raubt man mir’s mit Gewalt in acht Tagen. Ich berufe im April wiederholt die Beurlaubten der dem Bunde gehörigen Linie und die von mir geschaffene Landwehr ein, um gegen einen der vielen damaligen, kurz nach dem Schloßbrand von Waldenburg eintretenden Stürme Front machen zu können. Die Gemeinden halten auf Befehl der Wühler die bis dahin unbescholtene Mannschaft mit Gewalt zurück. Und das Alles nach schwerem Krankenlager, zum Schlusse möchte ich sagen: der Genesungsfeste!

Da ist mein Dableiben unmöglich, weil ich nichts halb sein will, und überhaupt da Teutschland eine Einheit sein soll und die kleinen Herrscher eine Unmöglichkeit. Mein Entschluß die Regierung niederzulegen wird um so eiserner, als die bekannte infame Sturmpetition bei Gera unser ältestes Schloß entwürdigte. Dort dieselbe Traurigkeit der Behörden, die Bürgerwehr, eintausendzweihundert Mann stark, läßt mich im Stich etc.

Heinrich der Zweiundsiebenzigste.“

Die letzte Proclamation Heinrich’s des Zweiundsiebzigsten aber, von der wir leider nur Bruchstücke mittheilen können, da dieselbe zu umfangreich ist, datirt vom 25. März 1849 und war an seine Ebersdorfer Residenzbewohner gerichtet, die ihn aus Nahrungsrücksichten eingeladen hatten wieder unter ihnen zu wohnen, natürlich als Abgedankter. „Ihr guten, lieben Ebersdorfer,“ sagt er, „Ihr waret mir treu, hold und gewärtig … Und wenn Alles mich vielleicht nach und nach vergaß, durch die erbärmliche Schwachheit meiner Civilbehörde dazu hingerissen … wenn kein Corps, keine Gemeinde rein blieb, dies- und jenseits verachtenswerther Undank und Dummheit mich unmöglich macht, unter Euch könnte ich unberührt schlafen; und kein 19. Juni würde meinen Schloßhof entehren. Dafür seid Ihr Ebersdorfer Männer! Treuen-Ebersdorf sollt Ihr heißen … würde es Euch in einem Diplom zugefertigt haben, umhangen von allgemeinen Ehrenzeichen, das nicht erlassen im Sturm der Zeit, oder durch die Faulheit eines Euch bekannten etc. So aber, da ich nichts mehr bei Euch zu befehlen, nehmt mein Manneswort, legt es in Eure Gemeindelade, mag es der Nachwelt Zeuge sein, daß es … zwei Gemeinden, Ihr und Köstritz gab, die noch Christen blieben! Ihr wißt, daß die Erbärmlichkeit, Rathlosigkeit, politische Feigheit, Verrätherei meiner Beamten meinen starken Arm abgehauen hat, der Euch schützte; und aus einem Bier-Crawall eine allgemeine Flamme gemacht! Ich bin auf ein erbärmliches Einkommen beschränkt, ein Drittel meines früheren! Denkt an den Brand von Schleiz, Euren Glanzpunkt! Denkt an das Jahr 1830 in Gera, meinen Glanzpunkt! Denkt an das Jahr 1806, meiner Mutter Glanzpunkt! Denkt an das Jahr 1813 (Vertrag von Frankfurt), meines Vaters Glanzpunkt! So bin ich … als Fürst Reuß in eine wahrhaft dürftige Lage gekommen, trotz Aufgabe von Allem, was mich bisher erfreut. Kinder, ich kann meine Dürftigkeit mit zwei Pferden und zwei Dienern gegen sonst nicht in Ebersdorf herumtragen … und bei den entsetzlichen Erinnerungen von 1848, wo mich jeder Blick an den Raub, den meine Gottvergessenen Unterthanen an mir verübt … Kinder, sage ich, so kann ich nicht unter Euch weilen!“ Er schließt mit der Versicherung, daß sein Motto: „Volkeswohl ist Fürstenglück“ es ewig bleiben werde …

Bis zum Ende seines am 17. Februar 1853 erlöschenden Lebens lebte Heinrich der Zweiundsiebenzigste im freiwilligen Exil zu Dresden. Reußenland hat er nie wieder betreten. Er starb in der unzerstörbaren Selbsttäuschung befangen, das Opfer einer Verrätherei seiner Beamten geworden sein, während er nur das Opfer seiner eigenen absolutistischen Launen wurde. Selten hat es wohl einen Regenten gegeben, bei welchem Worte und Handlungen in so schroffem Contrast standen, wie bei diesem Heinrich Reuß. Wir haben nicht mit zu grellen Farben gemalt; manche Partien des Bildes, die einen düsteren Schatten werfen, nur angedeutet. Aber das Bild wird eindringlicher als tausend Leitartikel die Gefahren jener kleinstaatlichen Zersplitterung in Staatskörper zeigen, die in keiner Weise der Aufgabe eines wirklichen Staates gerecht werden können; wenn wir auch nicht leugnen wollen, daß namentlich die Thüringer Kleinstaaten viel zur Heraufbildung und Cultivirung des Volkes gethan haben – mehr als mancher Mittel- und Großstaat. Es versöhnt in Etwas mit dem Manne, welcher der letzte Souverän von Reuß-Lobenstein-Ebersdorf war, daß er diese Mißstände erkannte, wie aus seiner oben angeführten Proclamation hervorgeht. Einer spätern Zeit aber mag es vorbehalten bleiben, unter Benutzung mancher noch jetzt unzugänglichen, in den Archiven schlummernden Actenstücke ein ausführlicheres Charakterbild dieses deutschen Kleinfürsten zu zeigen, dessen Motto zwar „Volkeswohl ist Fürstenlust“ hieß, zu dessen Vertheidigung aber beim Sturmesandrang der Revolution sich nicht ein Arm erhob!




Michel Berend.


Wieder ein deutsches Grab in fremder Erde – und zwar ein deutsches Dichtergrab. Erst wenn sie draußen sterben, erfährt man daheim, was man an ihnen verloren hat. Und nach so vielen Verlusten sind wir noch heute nicht im Stande, die Summen von Talent, Wissen, Geist und Charakter zu schätzen, welche von den Stürmen des Vaterlandes als frische, grüne Blätter vom Baume Deutschland in alle Winde getrieben wurden. Zu diesen frischen, grünen Blättern gehörte Michel Berend. Seine deutschen Landsleute und Collegen von der Presse haben ihm am 7. September in Brüssel das letzte Geleite gegeben. Dort hatte die Cholera ihn hingerafft.

Berend ist der Sohn eines Bankiers in Hannover. Das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_595.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)