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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Alle Wetter, Freund Aders, von Eurem Cassenzimmer mußten wir in das Gewölbe hinuntersteigen?“

„Ihr wart ja da.“

„Wie viele Stufen waren es?“

„Drei, und sie sind hoch.“

„Und hier von außen liegt um das Gemäuer die Erde hoch. Und und –“

„Was habt Ihr, Schwarz? Was rechnet Ihr?“

„Still, still!“

„Aber, wohin schaut Ihr denn da?“

„Stört mich nicht in meinen Gedanken.“

Der Polizeirath hatte, wie man sagt, im Kopfe gerechnet, auch wohl gemessen. Dann war sein Blick über die nahe niedrige Hecke hinweg in den Propsteigarten geglitten, über den Garten hinweg auf das Gebäude, dessen hohes, spitzes Dach hinten über die Bäume und Alleen emporragte. Er stand lange in seinen Gedanken, in denen er nicht gestört werden wollte.

„Was sehet Ihr da?“ fragte ihn der Landrentmeister.

„Nichts!“

„Aber, Schwarz, Ihr habt etwas. Was ist es?“

„Weiß schon Jemand von dem Diebstahle, Aders?“

„Außer uns Beiden weiß kein Mensch davon.“

„So sagt auch ferner keinem Menschen davon.“

„Was sprecht Ihr da wieder?“

„Außer uns Beiden darf Niemand den Diebstahl erfahren.“

„Aber, Mann, ich muß ja die pflichtgemäße Anzeige an meinen Vorgesetzten machen.“

„Ihr habt sie mir gemacht.“

„Ihr seid nicht mein Vorgesetzter.“

„Euer Vorgesetzter hat, wie Ihr wißt, heute eine Leiche in seiner Familie und ich nehme Alles auf mich; Ihr wißt, die Polizei kann Vieles auf sich nehmen.“

„Und wenn heute Nacht noch einmal sechzigtausend Thaler, wenn mir die ganze Casse gestohlen wird?“

„Ich nehme auch das auf mich.“

„Ihr?“

„Ja, ich. Aber wann verlassen heute Abend Eure Leute das Bureau?“

„Um sechs.“

„Erwartet mich nach sechs in Eurem Cassenzimmer. Bringt die Schlüssel des Gewölbes und der Schränke mit. Dann sorgt, daß wir Beiden allein sind.“

„Was habt Ihr vor?“

„Adieu!“

Der Polizeirath ging und der Landrentmeister sah ihm kopfschüttelnd nach.


2. Ein Leichenbegängniß.

Die Propstei war die Amtswohnung des Präsidenten der Landesregierung. Der Präsident der Regierung, Freiherr von Ballard, wohnte ganz allein in dem großen Gebäude; nur seine Enkelin war bei ihm und wenige Bedienung. Bis vor zwei Tagen hatte auch noch seine Tochter bei ihm gewohnt, aber jetzt war nur noch ihre Leiche da; sie sollte heute Abend begraben werden. Der Präsident von Ballard gehörte einer der ältesten adeligen Familien des Landes an. Früher waren die Freiherren von Ballard auch reich, eine der reichsten Familien im Lande gewesen. Das war aber nicht mehr so. Der Grund war folgender:

Zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten von Frankreich hatte ein Herr von Ballard seinem Landesfürsten einen wesentlichen Dienst geleistet. Der gedachte König hatte nämlich die Liebhaberei, seinen Nachbarn nach rechts und nach links ihre Länder wegzunehmen, von Rechtswegen natürlich. Das bloße, nackte Recht der Eroberung brachte erst später der erste französische Kaiser wieder zur europäischen Geltung. Ludwig der Vierzehnte errichtete seine Reunionskammern; die mußten die Sache untersuchen und den Rechtsausspruch thun: für Frankreichs Sicherheit sei es nothwendig, daß die Länder mit Frankreich vereinigt würden; dann sandte der König seine Armeen hin und ließ die Länder in Besitz nehmen. Auch auf das Land des Fürsten, dessen Unterthan der Freiherr von Ballard war, hatte der französische König seine Augen geworfen. Der Freiherr, der damalige, wußte die Gefahr abzuwenden, durch diplomatische Klugheit und Gewandtheit, durch eigene Opfer. Der Fürst behielt sein Land, und er schwor dem Freiherrn ewige Dankbarkeit, für sich und für ihre beiderseitigen Nachkommen, so lange es noch Fürsten des Landes und in dem Lande noch Freiherren von Ballard gebe. Allein mit einem ewigen Dank ist es wie mit einem ewigen Frieden. Auch die Freiherren von Ballard erfuhren es, und der letzte Freiherr von Ballard, der, dem heute die Tochter sollte begraben werden, hatte es erst recht erfahren, und weil sie es erfahren mußten, gingen sie zu Grunde. Indeß, kein Mensch und kein Geschlecht – und kein Volk – geht zu Grunde ohne eigene Schuld, sei es auch nur Mitschuld. Die Freiherren von Ballard, indem sie der Gunst ihrer Fürsten sich sicher wußten oder glaubten, wurden übermüthig, wollten werden gleich den Fürsten und verloren dadurch das Paradies ihres Reichthums und der Gnade ihrer Fürsten.

Nur Eins hatten sie bewahrt. Seit Menschengedenken war immer ein Freiherr von Ballard der oberste Verwaltungsbeamte der Provinz gewesen, in früheren Zeiten als Amtshauptleute, dann als Landdrosten, zuletzt als Regierungspräsidenten. Seitdem, bald nach der Reformation, das reiche Norbertinerkloster aufgehoben war, hatten sie auch in der geräumigen und stattlichen Propstei stets ihre Amtswohnung gehabt. Im Lande sagte man: die Stelle des Regierungspräsidenten ist bei den Ballards erblich, und die Propstei ist ihr Eigenthum. Ganz so war es freilich nicht. Der letzte Präsident von Ballard war ein stolzer, strenger Mann. Er wollte den Reichthum und Glanz seiner Familie wieder herstellen und versuchte das an dem Hofe seines Fürsten. An den Höfen der Fürsten wird der Adel mächtig, geht er aber auch wohl zu Grunde. Der Freiherr fand die Gunst, gar die Freundschaft des Fürsten. Er gewann Ansehen, eine reiche, schöne, junge Gräfin zur Frau. Aber die schöne, vornehme Frau war leichtsinnig, verschwenderisch, brachte ihr eigenes Vermögen durch, den Rest dessen, was der Freiherr noch besessen und sich neu erworben hatte. Er mußte, um nicht zum Bettler zu werden, sich auf seine Präsidentenstelle und in deren Propstei zurückziehen. Viel half es ihm auch nicht. Seiner Gemahlin behagte das Leben in oder bei der Provinzstadt nicht; sie hielt sich meist in der Residenz auf, mit ihrer Tochter, dem einzigen Kinde der beiden Gatten, einer bildschönen, jungen Dame, schöner, als die Mutter in ihrer glänzendsten Jugendzeit jemals gewesen war, dabei brav, edel und –. Aber welchen Schutz gewähren Bravheit und edler Sinn gegenüber einer leichtsinnigen und genußsüchtigen Mutter!

(Fortsetzung folgt.)




Ein Soldatenfürst des vorigen Jahrhunderts.
I.


„Heut’ hat er wieder seinen Aerger mit den Soldaten gehabt, da wird’s gewiß heillose Schläge setzen!“ So raunten sich die ehrsamen Bewohner der guten Stadt Halle in die Ohren, als sie an einem Wintertage des Jahres 1734 die stattliche Gestalt des fürstlichen Generals mit festem Tritte durch die Straße schreiten sahen, ein gefahrdrohendes Donnerwetter in den Mienen und Blicken. Sie wußten, daß in solcher Stimmung nicht mit ihm zu spaßen sei, und zogen sich vorsichtig nach links und rechts in die Häuser zurück. Nur Einer, ein schwarz gekleideter junger Mensch, war aufrecht mitten in der leer gewordenen Straße stehen geblieben; er hatte seinen Hut in der Hand, trat dem Gefürchteten, als dieser sich genähert hatte, in den Weg und sagte schnell und in festem Tone: „Ein Feldprediger; Ew. Durchlaucht suchen einen Feldprediger, ich bin Candidat, aber bis jetzt ohne Dienst und schier am Verhungern; vielleicht können Sie mich brauchen!“

Der Fürst stutzte über diese plötzliche Erscheinung. Aber die Wahl eines seinen Wünschen entsprechenden Feldpredigers machte ihm in der That gerade schwere Sorge, und die Dreistigkeit des armen Teufels, sein fester Blick und vor Allem seine ansehnliche Gestalt gefielen ihm. Ein paar Augenblicke lang maß er ihn schweigend vom Scheitel bis zur Sohle. Dann sagte er: „Uebermorgen bin ich auf meinem Lustschlosse Oranienbaum, dort melde

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_620.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2023)