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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Wenn er nun die Sache auf seine alleinige Verantwortung nahm, sie geheim hielt, um – ja, Herr, das Wort muß heraus – um den Dieb desto sicherer zu fangen?“

Der Präsident erwiderte ruhig:

„Zwei Nächte hinter einander stiehlt kein Dieb an demselben Orte.“

„Wenn er nun dächte, daß der Dieb sich darauf verließe?“

Der Greis antwortete nicht. Jene Wuth war wieder über ihn gekommen.

„Wir hören nichts. Du hattest Dich geirrt. Horchen wir noch einmal. Dann an’s Werk!“

Sie horchten noch einmal. Um sie her blieb die tiefste Stille.

„Fassen wir an,“ sagte der Präsident.

Sie faßten den Stein an, auf dem ihre Hände sich schon einmal begegnet waren. Er lag in der Mitte der Mauer, in der Brusthöhe der beiden Männer. Er war viereckig und maß zwei Fuß und mehr im Gevierte. An seiner linken Seite war seine Kante in auffallender Weise abgerundet; dadurch zeichnete er sich vor den andern Steinen der Mauer aus. In dieser war dadurch eine kleine Lücke gebildet. Dennoch schien er in der starken Mauer fest eingefugt zu sein.

„Schiebe Du dort, ich halte hier,“ sagte der Präsident zu dein Diener.

Er stemmte sich mit der Schulter gegen die rechte, scharfe Kante des Steins, daß er, wenn er lose lag, auf dieser nicht weichen konnte. Der Diener drückte mit der Kraft seines ganzen Körpers auf die linke, abgerundete Kante. Der Stein wich hier in die Mauer hinein, nur langsam, kaum einen Zoll breit. Der Diener wiederholte den Druck; der Stein wich weiter, aber immer langsam. Der alte Mann machte eine Pause, um neue Kräfte zu sammeln.

„Er ist wie eingerostet,“ sagte der Präsident während der Pause. „Seit zweihundert Jahren hat Niemand mehr von ihm gewußt; vielleicht noch länger nicht. Die alte Handschrift, in der ich von ihm las, war vierhundert Jahre alt. Sie lag unter handdickem Staube in dem Propsteiarchive. Ich fand sie durch Zufall, schon als Knabe, und behielt den Fund für mich. Der Stein war auch für die Mönche ein Geheimniß gewesen; nur der jedesmalige Propst hatte Kenntniß von ihm. Welchen Zweck er hatte? Zur Ehre Gottes, sagte das alte Document, zur Ehre Gottes solle der Propst –“

„Still, Herr!“ rief leise der Diener.

„Was giebt es?“

„Es war mir, als hörte ich etwas.“

Sie schwiegen Beide, aber sie hörten nichts.

„Du irrtest Dich,“ sagte noch einmal der Präsident. „Setzen wir unsere Arbeit fort.“

Sie setzten ihre Arbeit fort, mühsam unter keuchendem Athem. Der Stein war schwer; er konnte nur auf einer Seite geschoben werden, und nur in schiefer Richtung. Endlich war eine Lücke da, nur eine kleine, man konnte nur mit der senkrecht gehaltenen Fläche der Hand hinein reichen. Aber die Lücke durchdrang die ganze Tiefe der Mauer.

„Es ist drüben dunkel!“ sagte der Präsident.

„Wird man uns leuchten, wenn man uns fangen will?“

Der alte Diener sprach es für sich. Sie arbeiteten weiter. Der ganze Stein war nach und nach gewichen, zur Seite schief in die Mauer hinein. So war eine Oeffnung entstanden, durch welche ein Mensch in den Raum jenseits der Mauer gelangen konnte; er mußte sich freilich hineinlegen und konnte so nur hindurch kriechen. Herr und Diener machten, als die Oeffnung da war, unwillkürlich eine Pause. Sie mußten sich ausruhen und mußten noch einmal horchen. Sie sprachen kein Wort; sie hörten nichts. Der Präsident bewegte sich zuerst wieder. Er wollte sich in die Mauer legen. Der Diener hielt ihn zurück.

„Lassen Sie mich hinein, Herr!“

„Du fürchtest noch immer einen Hinterhalt?“

„Herr, es muß heute ein Unglück kommen.“

„Und da willst Du es auf Dich nehmen?“

„Ja,“ sagte der alte Diener entschlossen.

Der Präsident sann einen Augenblick nach.

„Nein!“ rief er dann.

„Herr, Sie haben heute Ihr Kind begraben!“

„Schweig’!“

Der Präsident legte sich in die Maueröffnung. Aber er brachte nur seinen Oberkörper hinein. So konnte er mit der Hand durch die Mauer langen, weit hinein in das undurchdringliche Dunkel auf der anderen Seite. Er that es, aber zögernd, fast nur zollweise, wie der Stein gewichen war, als wenn er fürchtete, mit jeder Linie weiter werde ihm die Hand plötzlich ergriffen, festgehalten. Nichts berührte ihm die Hand. Er wurde sicherer und tastete mit der Hand zur Seite. Er erreichte etwas. Er faßte es, er hob es auf. Die Hand wog es. Er hatte gefunden, was er suchte.

„Nimm an,“ sagte er zu dem Diener.

In die Hand des Dieners glitt eine große, schwere Goldrolle. Er legte sie neben sich unten an der Mauer nieder. Den Präsidenten schien wieder jene krankhafte Heftigkeit ergriffen zu haben.

„Ah,“ rief er. „Die Luft ist rein. Ich sagte es. Jetzt rasch, rasch!“

Er brachte Arm und Hand zum zweiten Male in die Oeffnung und langte wieder hindurch. Die Hand brauchte nicht mehr zu suchen. Sie fuhr nach der Stelle, an der sie die erste Rolle gefaßt hatte und wo noch viele lagen. Er nahm eine zweite und wollte die Hand zurückziehen. Es war unmöglich – er wurde gehindert.

(Fortsetzung folgt.)




Bilder aus dem Thiergarten.
Von Brehm.
Nr. 8. Der Baumeister unter den Thieren.


„Das Thier hat auch ein Schicksal. Es hängt dasselbe ab von seinem Verhältniß zur Natur und den natürlichen Umgebungen, zu dem Menschen, wenn es mit ihm in Verkehr kommt, zum Theil auch von sich selbst.“ So sagt Scheitlin, der warme Thierfreund, ich möchte sagen, der Thiere Bruder, zu dessen köstlichem Werke ich immer und immer wieder greife, wenn mich die öde Weisheit Derer geärgert, welche im Thiere nun einmal nur einen Gegenstand sehen. Gewiß hat das Thier ein Schicksal! Oder ist es kein solches, fort und fort befehdet zu werden von einem rücksichtslosen, unbarmherzigen, unmenschlichen Feinde, welcher sich aber gerade Mensch nennt; ist es kein Schicksal, alle Waffen und Mittel, auch die erbärmlichsten und niederträchtigsten, gegen sich angewendet zu sehen; nicht blos einen ehrlichen Kugeltod fürchten zu müssen, sondern auch feigen, gemeinen Meuchelmord, Giftmischerei z. B. oder die verrätherische Schlinge, die tückisch gestellte Falle?

Ich weiß, daß der Mensch ein Recht hat, sich gegen die Uebergriffe der Thiere zu wehren, bedauere aber doch alle, welche er verdrängte, und am innigsten eines von ihnen, welches mir, als ich noch ein vielfachen Unfug stiftender Knabe war, wegen der vortrefflichen Ausnutzung seines kleinen Gehirns, so oft zum Muster aufgestellt wurde. Ich meine den Biber, der mir in Raff’s Naturgeschichte seine Geschichte so erbaulich erzählte. Mit den Jahren lernte ich wohl auch die Quellen der erwähnten Naturgeschichte kennen – über den Biber und sein Leben aber doch recht wenig dazu. In der kaiserlichen Menagerie zu Schönbrunn sah ich einen Holzhaufen, unter welchem zwei Biber stecken sollten, im Berliner Thiergarten einen künstlichen Biberbau, welchen man auch für ein großes gemauertes Waschbecken hätte halten können; ein Freund in Dessau benachrichtigte mich, daß sich in der Nähe von Wörlitz ein natürlicher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_636.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2020)