Seite:Die Gartenlaube (1866) 645.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

ihre Werkzeuge zur Hand, dann dröhnen die Schläge der Hacken und die Stöße der Spaten durch die Stille des Schlachtfeldes, auf und nieder bewegen sich die Werkzeuge, fast im Tacte graben sie die weite Grube – das „letzte Quartier“ der Gefallenen. Die Männer arbeiten schnell und mit einer gewissen Hast. Sie bauen diese letzten Wohnungen mit handwerksmäßiger Geschicklichkeit, aber doch scheinen sie sich besonders zu eilen und bald ist der große, tiefe Graben ausgehöhlt. Nun verschnaufen sie Alle ein wenig, sie lehnen auf ihren Spaten und wischen den Schweiß von der Stirn. Aus dem Hohlwege schaut die schauerliche Karawane, sie bringt Schläfer herbei das letzte Quartier zu füllen. Zwei Reiter geleiten den Zug. Sie sind frisch und wohlauf, ihre braunen Gesichter strotzen von Kraft unter der Husarenmütze hervor, und doch irrt das Auge trübe blickend über die Reihen hinweg, welche jetzt neben dem Rande der Grube gebildet werden; die Reiter sehen da Manchen, den sie gekannt haben, der noch vor wenig Stunden ihnen zurief und mit der Hand winkte. Diese Hand hängt nun zerschmettert herab, dieser Mund ist nun auf ewig geschlossen.

Langsam werden die Todten von den Wagen herabgehoben. Einige Männer in bürgerlicher Kleidung leiten im Verein mit den uniformirten Todtengräbern das ernste Geschäft. Diese Männer haben weiße Binden um ihre linken Arme gewunden und auf den Binden zeigt sich ein rothes Kreuz – es sind die Samariter des Schlachtfeldes, denn sie pflegen Freund und Feind, und wo sie nicht mehr pflegen können, da wirken sie für die Bestellung des letzten Quartiers und suchen zu erforschen, wer von den Freunden in dem feuchten Grabe ruht.

Die Todten werden nebeneinander geschichtet, sie liegen in doppelter Reihe, so, daß ihre Füße zusammenstoßen. Da ruhen sie, die vor wenigen Stunden noch so erbittert gegeneinander fochten, friedlich, still! Die Uniformen bilden einen scharfen Contrast. Die weiße Farbe der österreichischen Waffenröcke neben dem Dunkel der preußischen; graue Jäger neben blauen Dragonern, braune, schmerzzerissene Gesichter, umspielt von schwarzen Haaren, neben bleichen, ruhigen Antlitzen, welche blondes Haupt- und Barthaar einrahmt, der Italiener neben dem Pommern, der Czeche neben dem Märker – Alle hinein, Alle bereit, das letzte Quartier friedlich mit einander zu theilen.

Zuweilen tönt ein lautes, schmerzliches Geheul durch die Stille. Da tragen sie auf einer Bahre oder Karre zwei Leichen daher, die sie gefunden haben in dem schrecklichen Hohlwege vor Chlum. Diese stummen Männer lagen unter einem Busche, dessen Zweige in den Weg nickten; als sie vorwärts zum Kampfe schritten, die beiden Krieger, stießen sie hier zusammen, Keiner wollte, durfte weichen, und so entspann sich der Kampf. Es waren erbitterte, starke Gegner; die Patronen sind verschossen gewesen und die Wuth des Gefechtes hat Beide erfaßt, so wild und mächtig, daß sie es ohnedies verschmäht haben würden, Kugeln zu wechseln, darum nehmen sie die blanke Waffe zur Hand und fallen sich an. Ein verzweifelter Kampf beginnt, die Blätter des Gebüsches werden herabgeschlagen, die Männer ringen gegen einander, schon bluten sie aus vielen Wunden, endlich sinkt der eine nieder in den Sand. Noch einmal versucht er es, sich zu erheben, aber die Wunde ist tödtlich gewesen, das Eisen des Gegners hat zu gut den Weg zum Herzen gefunden – im Tode bricht das Auge und der Sterbende fällt zuckend in den Schatten des Gebüsches. Sein Gegner versucht sich zu halten, umsonst! auch ihn hat der Stoß des Gefallenen hart getroffen. Er will sich weiter schleppen, noch ist Rettung möglich, da kracht es über, neben, unter ihm, von dem Logement des Hügels sanft die verderbliche Granate, die Aeste des Busches splittern gleich Regen auf ihn hernieder und ein Stücklein Eisen, kaum einen Zoll lang, fährt durch die Brust – noch ein dumpfer Schrei, ein krampfhaftes Zusammenschlagen der Hände, dann bricht der Kämpfer zusammen und im Sturme vorwärts wankend, bettet er sich auf den Körper seines erschlagenen Feindes. Wieder eine convulsivische Bewegung, die Arme strecken sich, sie umklammern die Leiche des Gegners und so, das Haupt auf die Brust desselben gelegt, verscheidet der Sieger auf dem Besiegten. Als die Leichenträger den Hohlweg absuchen, finden sie die Beiden in starrer, grausiger Umarmung; über ihnen nicken die zerschmetterten Zweige des Gebüsches im leichten Morgenwinde, vor ihnen sitzt der große, braune Hund des Oesterreichers, der seinen Herrn endlich gefunden hat und nun das klagende Gewinsel um den Todten ausstößt, welches markerschütternd aus der Kehle eines Thieres zum Ohre des Menschen dringt.

„Wir wollen sie Beide zusammenbetten, wie wir sie gefunden haben,“ sagt der Unterofficier zu den Leuten mit ernster Stimme, und also geschieht es. Man trägt den Preußen und den Oesterreicher auf einer Bahre in die Grube, und der arme braune Hund sitzt traurig davor und winselt so lange, bis er seinen Herrn nicht mehr sehen kann, denn die Todtengräber schaufeln hastig die Grube zu, sie müssen oft genug den braven Hund verscheuchen, der immer wiederkehrt und die Erde aufscharren will. Endlich ist genug Sand darüber geworfen, unter demselben schlummern sie Alle, die in das „letzte Quartier“ gewiesen wurden. Nun beten die Todtengräber leise; ringsum ist es wieder still, nur die klagenden Töne des Hundes unterbrechen das Vaterunser. „Fertig,“ tönt das Commando, „links um,“ und von dem weiten Grabe hinweg schwenken die Arbeiter, um von Neuem das ernste Tagewerk an anderer Stelle zu beginnen. Als sie sich nach einer Weile umwenden, sehen sie den Hund auf dem Grabe sitzen, er hat seine Schnauze in den Sand gebohrt, seine langen Ohren hängen herab, der Schwanz schlägt den Boden, der den geliebten Herrn bedeckt. Kein Rufen vermag das treue Thier von der Stelle hinwegzulocken, und als die Patrouillen beim Scheine des Mondes über das Feld ziehen, erblicken sie den Hund noch in derselben Stellung. Er kann nicht zu seinem Herrn dringen, er hütet den Eingang zum „letzten Quartier“ des Gefallenen.




Dichters Abschied in der Fremde.


Der helle heitere Herbsttag, an welchem ich diese Zeilen schreibe, wird in der Geschichte der deutschen Colonie in London immer eine Art von Epoche bezeichnen und auch im Vaterlande drüben wird man sich seiner erinnern, so lange das Interesse für Poesie und politisches Märtyrerthum in den Herzen der heranwachsenden Generation einen Nachhall erweckt; es ist der Tag, an welchem Gottfried Kinkel nach sechszehn Jahren des Exils London verlassen hat, um dauernd nach dem deutschen Festland überzusiedeln. Allerdings kehrt er noch nicht in unsere engere Heimath zurück. Aber die langen Jahre der Verbannung sind endlich vergangen; die vor Kurzem erlassene Amnestie hat auch ihm die Heimkehr in’s Vaterland geöffnet, und wenn Kinkel jene Thätigkeit als Professor der Kunstgeschichte, die er im Jahre 1849 in Bonn abbrach, zunächst wieder in der Schweiz aufnimmt, so ist es doch klar genug, daß er damit nur den ersten Schritt auf die Brücke setzt, die ihn früher oder später wieder hinüberführen wird in die Mitte des deutschen Volkes. Die Landsleute drüben erwartet daher die angenehme Pflicht, den heimkehrenden Verbannten zu bewillkommnen; wir in London haben Abschied von ihm genommen – mit den herzlichsten Glückwünschen für seine Heimkehr und für die Zukunft, der er entgegengeht, aber auch nicht ohne ein tiefgefühltes Bedauern, daß er aus unserer Mitte scheidet. Denn mit ihm scheidet aus London die hervorragendste Gestalt der deutschen Emigration, ein Mann, um dessen Haupt wie um kein anderes die populäre Tradition einen idealen Schimmer gewoben hat, der wie kein zweiter neben ihm die doppelten Ansprüche des Dichters und des Volkskämpfers, des Mannes der Wissenschaft und der Freiheit in sich vereinigt. So verschieden die Urtheile auch über ihn lauten mögen, diesen frischen Zauber seiner Persönlichkeit haben weder die Schläge des Schicksals, noch die Angriffe offener und versteckter Gegner zu erschüttern vermocht, und kein anderes Mitglied der deutschen Emigration könnte einen weiteren Kreis aufrichtiger Freunde und Bewunderer in London zurücklassen, als Gottfried Kinkel.

Es ist nicht meine Absicht, von diesem Momente aus weit in die Vergangenheit zurückzugreifen. Ich will nur von Neuem

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_645.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)