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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Narkose selbst hatte ich weder eine Ahnung von dem, was mit mir vorging, noch irgend welche Träume.

Als ich diesmal erwachte, fühlte ich an der äußeren Seite des Schenkels, in der Gegend der Fractur, einen brennenden Schmerz und überzeugte mich, daß hier eine drei Zoll lange Oeffnung geschnitten war. Mein Arzt hielt mir aber einen Teller mit einem breitgedrückten Stück Blei und zahlreichen Knochensplittern vor, die zum Theil lose in der Wunde gesessen hatten, zum Theil von den spitzen Knochenenden abgekniffen worden waren. Der oder vielmehr die „Uebelthäter“ waren nun allerdings beseitigt. Um die Blutung zu stillen (denn durch den Eingriff mit Fingern, Sonden und Zangen waren viele Gefäße verletzt), mußte sowohl die Schuß- als die neue Schnittwunde vierundzwanzig Stunden lang verstopft bleiben; überstand ich diese Zeit, so war ich gerettet. Nun, meine zähe Natur hat mir geholfen, ich überstand’s. Die mächtigen Eiterhöhlen entleerten sich dann ziemlich rasch; zum Ueberflusse öffnete sich auch noch die erste Schnittwunde vom zweiten Tage wieder, die mittlerweile zugeheilt war, so daß jetzt der Eiter aus drei Oeffnungen Abfluß hatte.

Der herrlichste Appetit von der Welt und Alles, was zu seiner Befriedigung gehört; gute Verdauung, gesunder Schlaf; ein schönes, lustiges Krankenzimmer im Garten; eine in jeder Beziehung treffliche Verpflegung (seit der dritten Woche durch einen wackeren hannoverschen Sanitätssoldaten); der ermuthigende Zuspruch meines Arztes; eine Reihe froher Begebnisse, so namentlich die glückliche Rückkehr meines alten Schulfreundes, in dessen Hause ich lag, aus dem böhmisch-mährischen Feldzuge; Theilnahme von allen Seiten und endlich neue Aussichten für die Zukunft – das Alles beschleunigte meine Genesung. Jetzt, zu Anfang October, liege ich schon seit einer Woche frei im Bette, das Bein nur mit Lederschienen versehen; die Wunden haben sich fast ganz geschlossen, und allmählich soll ich das Bein an Bewegungen gewöhnen. Aber erst in vier Wochen darf ich fest damit auftreten, und dann auch nur mit Hülfe zweier Krücken. So lange muß also noch im Bette ausgehalten werden.

Resumire ich nun, so habe ich, die kommenden vier Wochen mit eingerechnet, vom Tage der Schlacht bis zum ersten Gehversuche einhundert fünfunddreißig Tage oder dreitausend zweihundert vierzig Stunden auf dem Rücken gelegen. Das kranke Bein hat sechs verschiedene Verbandarten erfahren: vier Tage lang einfache Umschläge, drei Tage Blechrinne, dreizehn Tage Gypsverband, zweiundzwanzig Tage Drahthose, fünfundfünfzig Tage doppelt geneigte Ebene, achtunddreißig Tage Lederschienen bei freier Lage. Während der ganzen Zeit haben mich nach- und nebeneinander fünfzehn Aerzte behandelt, darunter vier Civil- und elf Militärärzte, und unter letzteren wiederum ein Preuße, zwei Gothaer und acht Hannoveraner. An Charpie habe ich ungefähr dreißig Pfund verbraucht.

In Anbetracht seiner außergewöhnlichen Schwierigkeit ist mein Fall als ein überaus günstig verlaufener zu bezeichnen. Von einer großen Anzahl meiner hiesigen speciellen Leidensgefährten, d. h. im Oberschenkelknochen Verwundeter, sind mehr als die Hälfte gestorben; alle Anderen sind amputirt, nur fünf sind ganz geheilt, und von diesen fünf bin ich wieder so glücklich daran, mit der geringen Verkürzung von anderthalb Zoll davon gekommen zu sein. – Heftige Schmerzen habe ich eigentlich nur selten gehabt, desto mehr kleine, aber anhaltende Unbehaglichkeiten, die der Arzt häufig nicht beachtet und anerkennt, die aber das Befinden des Patienten wesentlich beeinflussen. Dahin gehört namentlich das sogenannte Aufliegen der hinteren Becken-, der Gesäß- und Rückenknochen; vor förmlichem Wundwerden haben mich indessen ein Luftkissen und ein Rehfell vortrefflich geschützt. Mit solchen Requisiten sollte man in den Lazarethen doch nicht so sparsam umgehen, wie es meist geschieht.

Zum Schluß noch das offene Geständniß, daß ich, nachdem die Gefahr glücklich vorüber, gar nicht so unglücklich über mein Unglück bin. Ich habe doch Vieles erfahren, woran ich früher nicht dachte; die gründliche Einsicht, daß Keiner für sich sagen kann: „Ich bin mir genug, ich brauche keine Hülfe,“ diese Einsicht allein ist gewiß eine treffliche Errungenschaft. Trotzdem möchte ich mich nicht zum zweiten Male in’s Bein schießen lassen; brauch’s auch nicht, denn ich bin invalid geworden. Dem rauhen hannoverschen Kriegsmann aber, der mich nicht einmal auf die geringe Entfernung von dreihundert Schritt in’s Herz treffen konnte, vergebe ich sein brudermörderisches Attentat. Und nun, Ihr Cameraden und Leidensgefährten, bekennt auch Ihr, wie’s Euch ergangen und was Ihr gelitten! Auf eine frohe Zukunft!

G. Hth.




Gegen die Wintersünden der Brustkranken.


Die rauhe Jahreszeit kommt sicherlich, aber in dieser kommen Einsicht und Interesse für vernünftige Rathschläge bei Brustkranken, denen der Winter doch so leicht lebensgefährlich werden kann, nur selten. Trotzdem soll dieser magern blassen Hustegesellschaft zum so und so vielsten Male ihr Sündenregister vorgehalten und eine tüchtige Winterstrafpredigt gehalten werden. Denn Lungenfrevler können nicht oft genug gegartenlaubt werden.

Vorerst merke sich der (tuberculöse) Brustkranke einmal recht ordentlich Folgendes: Dasjenige Stück seiner Lungenspitzen, das früher durch Einlagerung von Schwindsuchts- (Tuberkel-)Masse erkrankt ist, das wird niemals wieder gesund, das ist verloren. Dies schadet aber auch gar nicht viel, denn wir besitzen eine solche Masse Lunge, daß man recht gut ein ziemlich großes Stück davon, und sogar zum bequemen Leben noch bis in’s hohe Alter hinein, entbehren kann. Sodann zieht ja auch das kranke Lungenspitzenstück nicht etwa die weiter unten liegende gesunde Lungenportion allmählich mit in das Verderben hinein, denn der Naturheilungsproceß hat das Kranke vom Gesunden durch Bildung einer fast unzerstörbaren Scheidewand abgeschlossen. Der Besitzer von tuberculösen Lungenspitzen hat deshalb von seiner Lungenschwindsucht entweder gar keine Beschwerden und weiß oft gar nicht oder vergißt es ganz und gar, daß er brustkrank ist, – oder seine Lungenentartung ruft, zumal wenn sie in etwas größerer Ausdehnung vorhanden ist, mehr oder weniger Kurzathmigkeit, Husten mit und ohne (auch blutigen) Auswurf hervor. Und diese meist gar nicht sehr beschwerlichen Krankheitserscheinungen, die doch von jener unverbesserlichen Lungenentartung abhängig und deshalb auch mit Gewalt nicht wegzuschaffen sind, sind es, welche nicht blos den Kranken, sondern auch den Arzt recht häufig zu ganz unvernünftigem Handeln antreiben. Huste doch ruhig weiter, lieber schwindsüchtiger Leser, und maltraitire Deinen Körper und Dein Gemüth nicht mit Hundefett, Leberthran und dergleichen Antischwindsuchtsmitteln, Du kannst, ohne alles dieses Zeug, trotz Deiner Schwindsucht, mit Hülfe des Naturheilungsprocesses, natürlich aber nur wenn Du die nachfolgenden diätetischen Regeln streng befolgst, so dick, kräftig und alt werden, daß die Leute (die diesen und meine früheren Aufsätze nicht gelesen haben) Dich auslachen, wenn Du von Deiner Schwindsucht sprichst, und daß der Heilkünstler, der Dich behandelte, meint, er habe ein großes Heilkunststück an Dir gemacht.

Also um das, was man von Schwindsucht (Tuberkeln) in seinen Lungenspitzen mit sich herumträgt, um das kümmere man sich nicht weiter. Dagegen muß sich’s jeder tuberculöse Schwachbrüstige, zumal wenn er das dreißigste Jahr noch nicht hinter sich hat, seine hauptsächlichste Sorge sein lassen, daß er die noch gesunde Lunge unterhalb der tuberculösen Lungenspitzen kräftigt und vor einer neuen Einlagerung von Tuberkelmasse (vor einem Tuberkel-Nachschube) behütet. Das ist aber gar nicht so schwer; man braucht nur jeden unnatürlichen Blutandrang (weil dieser die Tuberkelablagerung begünstigt) von der Lunge abzuhalten und dieselbe sammt dem Brustkasten durch zweckmäßiges Athmen gehörig auszudehnen suchen. Unter allen Schädlichkeiten, die leicht einen Tuberkelnachschub nach sich ziehen können, steht die eingeathmete kalte, rauhe und unreine (mit Staub, Rauch, reizenden Gasen verunreinigte) Luft oben an; sie wirkt mit ihrer Kälte um so schädlicher, je wärmer die Luft war, die man kurz vorher einathmete.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_674.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)