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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Reichen würden es am Meisten büßen müssen, wenn der Hexenproceß wieder aufkäme: so lehrt es die Geschichte von Rom und Byzanz, so die Geschichte des Mittelalters und der spanischen Inquisition.

Gegen den Wunderglauben aber und gegen seine traurigen Folgen giebt es nur eine Macht: dies ist die Naturforschung. Sie kennt nur ein Wunder, das Wunder aller Wunder, die große, in Raum und Zeit unendliche Welt, die wirkliche Welt mit ihren unzähligen Schöpfungen und ihren mannigfaltigen, nie völlig auszulernenden und doch so einfachen Weltgesetzen. In sie einzudringen und des Wunderbaren, was sie bietet, so viel als möglich in sich aufzunehmen: dies ist der Trieb, welcher den echten Naturforscher beseelt, dies ist seine Religion. Bei Dingen aber, die er vorläufig noch nicht erklären kann, sagt er einfach: „Das weiß ich nicht!“ Er nimmt in solchem Falle nicht gleich etwas außer den Naturgesetzen Geschehendes, ein Wunder im Sinne des Mittelalters an. Er läßt die Sache unentschieden, zweifelt aber nie, daß sie auf natürliche Weise vor sich gehe. Dadurch unterscheidet sich die heutige Naturwissenschaft von der sogenannten Aufklärerei vor fünfzig Jahren, welche mit ihren damaligen schwachen Kenntnissen schon Alles erklären wollte. Aber es ist sehr unrecht, diese Leute deshalb heutzutage zu schmähen (wie gewisse flache Literaturhistoriker lieben). Altvater Goethe, der den Ton dazu angegeben hat, diese um Deutschland, besonders um die norddeutsche Geistesfreiheit so sehr verdienten Aufklärer zu verspotten und herabzuziehen, er hat damit wahrlich weder seinem kritischen Verstand noch seinem Vaterlandsgefühl Ehre gemacht!

Heutzutage bedarf es nur eines einfachen Mittels, um die Menschheit dauernd auf eine höhere Stufe geistiger und körperlicher Vervollkommnung zu erheben. Dieses Mittel ist, daß Jeder innerhalb seines Bereichs, so viel als ihm möglich ist, von den sich täglich mehrenden, täglich inniger ineinandergreifenden Entdeckungen der neueren Naturwissenschaft in sich aufnehme und dafür sorge, dieselben weiter zu verbreiten und den Sinn dafür in seinen Mitmenschen zu wecken und zu nähren. Damit kommt wahre Aufklärung von selbst, und die Gespenster des Mittelalters, die Ueberbleibsel heidnischer Barbarei, von welchen wir heutzutage noch allenthalben im staatlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Leben umgeben sind, werden vor der fortschreitenden Naturkenntniß erblassen, wie nächtlicher Spuk vor dem Licht der ausgehenden Sonne verschwindet.




Vom lustigen Fritz.

„Wo nur der verdunnerte Bengel stecken mag?“ fragte der würdige Altgeselle des ehrsamen Töpfergewerks, Herr Beckmann in Breslau.

Fritz Beckmann.

„Gewiß wieder in der ‚kalten Asche‘, im Theater,“ entgegnete seine Frau.

„Na, ich will ihn betheatern und ihm die kalte Asche auf seinem Buckel zu kosten geben, wenn er erst nach Hause kommt.“

In diesem verhängnißvollen Augenblick erschien der Gegenstand dieser elterlichen Auseinandersetzungen, ein untersetzter, frischer Bursche von fünfzehn bis sechszehn Jahren, mit einem schalkhaften, rosigen Gesicht und vor Lust lachenden Augen, daß man ihm im Ernste nicht böse sein konnte.

„Wo bist Du gewesen?“ fragte der Vater, indem er nach dem Stock im Winkel einen bedeutsamen Blick warf.

„In guter Gesellschaft,“ versetzte der lustige Fritz, „am dänischen Hofe, unter lauter Königen, Fürsten und noblen Herren.“

„Lauter Lumpengesindel!“ brummte der Alte. „Diesmal will ich Dir noch verzeihen, aber wenn Du noch einmal nach der kalten Asche gehst, so sollst Du die Bekanntschaft mit dieser ungebrannten Asche von gutem Birkenholz machen.“

Damit deutete der Vater auf den bewußten Stock in der Ecke, vor dem der lustige Fritz einen großen Abscheu hatte. Aber trotz dieser Drohung schlich er schon am nächsten Abend wieder nach dem Theater in der Taschenstraße, wohin ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht zog. Glücklich, für einen geleisteten Dienst eine Freikarte für das Paradies zu erlangen, saß er auf der höchsten Galerie und starrte mit athemloser Aufmerksamkeit auf die Bühne. Bald war der anstellige Junge mit sämmtlichen Schauspielern bekannt und half ihnen bei der Garderobe. Nebenbei benutzte ihn der Regisseur, wenn Noth am Manne war, als „Statistiker“, wie Fritz sich selbst zu bezeichnen pflegte. Freilich mußte er häufig ein solch’ unerwartetes Glück theuer bezahlen, da der Alte noch ein unüberwindliches Vorurtheil gegen das „Kummediantenpack“ hatte und ihm wiederholt erklärte, er würde die Schande nicht überleben, den Namen seines Sohnes auf dem Theaterzettel gedruckt zu sehen.

Die Liebe zur Kunst war jedoch stärker als seine kindliche Pietät, und am 30. August 1820 erschien wirklich der Name Beckmann und zwar in der Rolle des stummen Dänenkönigs „Harald“ in Kotzebue’s „Schutzgeist“ auf dem Theaterzettel, ohne daß den Alten der Schlag rührte. Ja, er söhnte sich sogar mit dem neuen Beruf seines Sohnes nach und nach aus, als dieser ihm die erste Gage von vier Thalern monatlich in’s Haus brachte, obgleich er selbst das Theater nie betrat. Der lustige Fritz blieb im Anfang seiner Laufbahn ziemlich unbemerkt und wurde mit seinem Freunde Peschke hauptsächlich zu Bedientenrollen und zum Heraustragen von Stühlen benutzt, weshalb er scherzend von sich und seinem Leidensgenossen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_689.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)