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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Wenn ein Lichtstrahl aus einem Körper in einen andern von größerer oder geringerer Dichtigkeit übergeht, so wird er dabei von seinem Wege abgelenkt. Diese Ablenkung ist eine nothwendige Folge der verschiedenen Geschwindigkeiten des Lichtes in den Körpern von verschiedener Dichtigkeit und befolgt ein Gesetz, welches sich nur unter Zuziehung mathematischer Ausdrücke aussprechen läßt und womit wir daher unsere Leser verschonen wollen. Das Gesetz scheint auf den ersten Blick wieder ein Spiel des Zufalls, allein bei genauerer Betrachtung zeigt sich ein merkwürdiger Grund dafür. Es ist nämlich eine nothwendige Folge der Bedingung, daß der Uebergang eines Lichtstrahles von einem gewissen Punkte eines Körpers bis zu einem gewissen Punkte eines anderen Körpers von anderer Dichtigkeit in der möglichst kürzesten Zeit erfolge.

Hier haben wir also drei Fälle, in denen das Bestreben der Natur darauf gerichtet ist, etwas mit möglichst wenig Material herzustellen, etwas für die möglichst längste Dauer zu schaffen und etwas in der möglichst kürzesten Zeit auszuführen.

Dr. H.




Thee-Abenteuer.[1] Wer in Italien Reisen gemacht, wird sich erinnern, daß überall von Allen geklagt wird, wie selten guter Thee zu haben ist. Mein Bruder Heinrich Heine liebte sehr guten Thee, und er konnte gern aus dieser Ursache an irgend einem Orte, wo er guten Thee fand, längere Zeit verweilen. Aber nicht blos der gute Thee, den wir in unserer Locanda erhielten, fesselte uns an Lucca, sondern auch eine englische Familie, deren interessante Bekanntschaft zu machen, wir gleich anfangs das Glück hatten. Sir James Brown oder Smith oder Bell, ich habe den Namen wirklich vergessen, hatte eine sehr starke, nach allen Seiten gut proportionirte Gattin und, sehr bemerkenswerth, zwei schöne, blondlockige Töchter. Ihre Namen habe ich nicht vergessen, die ältere hieß Arabella, die jüngere Sara. Wir wohnten in einem Hause, die englische Familie Bel-Etage und wir über ihnen, und kamen öfter in ihrem Salon zusammen. Man kann nicht immer in englische Augen sehen, man kann nicht immer über Shakespeare und Byron sprechen, und so führte uns unsere Unterhaltung auch einmal auf das wirthschaftliche Gebiet. Da hörten wir denn von allen Mitgliedern der Familie die einstimmige Klage über das schlechte Essen, und ganz besonders über den schlechten Thee in Italien.

„Letzteres, was den Thee betrifft,“ versetzte die gesetzte Mistreß, „können wir glücklicher Weise verbessern; wir führen jetzt überall unseren guten Thee aus England mit uns.“

„Bitte um Entschuldigung,“ unterbrach sie mein Bruder, „das Essen zwar will ich nicht besingen, aber der Thee, den uns unser Wirth Abends servirt, ist vortrefflich und macht dem Italiener alle Ehre.“

Es wurde über diesen Gegenstand viel hin und her gestritten, wir vertheidigten lebhaft die Theeehre unseres dicken schwarzbärtigen Hauswirthes.

„Meine hochgeehrte Societé,“ sagte Heinrich in animirter Stimmung, „lassen wir Thatsachen sprechen, entscheiden Sie selbst, und schenken Sie uns morgen Abend die Ehre Ihres Besuches zu einer Tasse Thee in unserem home.“

Die Einladung wurde graciös angenommen. Anderen Abends, zur bestimmten Stunde, fand sich Alt- und Jung-England auf unserer Etage ein. Sonstige Einwohner gab es in diesem Hause nicht. Dem Wirthe war angedeutet, daß wir den Abend etwas früher als sonst den Thee wünschten, weil wir den einen oder den anderen Gast erwarteten. Wir hatten schon geraume Zeit über alle möglichen Tagesinteressen geplaudert, und es war die höchste Zeit, daß der Thee servirt wurde. Kein Thee kam. Wir ließen den Wirth dringend erinnern, daß die schickliche Theestunde bereits im Verschwinden sei – es half nichts, kein Thee erschien. Unsere Verlegenheit nahm mit jeder Minute zu, und Heinrich, der vortrefflich Englisch sprach, wandte alle mögliche geistige Kraft auf, um die Unterhaltung in Fluß zu erhalten und die Secunden zu tödten. Doch – kein Thee kam.

In einem freien Moment der Unterhaltung bat Heinrich mich heimlich, selbst zum Wirthe zu eilen, um den so ängstlich erwarteten Thee herbeizuschaffen. Allein der Wirth erschien schon von selbst an der Schwelle unserer Zimmerthür mit Gesticulationen, als ob er nach dem alten System telegraphiren wollte; dabei entschlüpften seiner keuchenden Brust tieftönende Seufzer. Ich konnte aus der verrückten Exaltation des so unglücklich aussehenden Mannes nicht ganz klug werden und bat deshalb meinen Bruder, mit dem Wirthe sich selbst zu verständigen. Endlich, nach vielen Exclamationen, stürzte dieser die verzweiflungsvollen Worte heraus:

„Sie können heute Abend keinen Thee bekommen!“

Man denke sich nach dieser Erklärung unsere schmachvolle Lage: eine kaum kennen gelernte englische Familie laden wir zum Thee zu uns, sie ist so liebenswürdig, mit Beseitigung aller conventionellen Formen Großbritanniens unsere Garçon-Wohnung zu betreten, wartet in aller Engelsgeduld auf ihr allabendlich gewohntes Fluidum, das wir noch extra so gerühmt hatten, und nun die Berliner Anzeige: „Is nicht!“ Endlich erklärte sich unser in Schweiß triefender Wirth deutlich: da die englische Familie allezeit ihren Thee eine Stunde früher, als wir, zu genießen pflegte, so bekamen wir von dem aus ihren Zimmern zurückgebrachten guten Thee einen prächtigen Aufguß, der natürlich ganz vortrefflich schmeckte, nebenbei gesagt, dem Wirthe gar nichts kostete und von uns dennoch sehr theuer bezahlt wurde.

Eigenen Thee hatte er gar nicht im Hause. Da nun die Familie für diesen Abend zu uns zum Thee eingeladen war, natürlich also zu Hause keinen Thee zubereitet hatte, so fiel auch ebenso natürlich unser Ausguß für diesen Abend weg. Der unglückliche Wirth, der nicht wußte, daß gerade diese Familie bei uns Thee trinken würde und kein sonstiges Arrangement eingeleitet hatte, theilte mit uns die ganze Verlegenheit des Wartens; Heinrich erzählte nun der ganzen Familie in den humorvollsten Ausdrücken die ganze Wahrheit dieser tragi-komischen Geschichte, was ein langes, anhaltendes Gelächter hervorbrachte. Die blondlockigen Misses waren ganz besonders heiter. Das Ende vom Liede war, daß die englische Familie jetzt uns einlud, bei ihnen den so verspäteten Thee einzunehmen. In der größten Heiterkeit verließen wir Alle unsere Kneipe und stiegen lachend nach der Bel-Etage hinunter. Selten aus unserer Reise hatten wir einen so unvergeßlich heitern Thee-Abend zugebracht.




Teufelsthränen, Vesuvthee und Graspapier. Seit jenen unseligen „Pharao-Schlangen“, die trotz aller Warnungen gar manche Wohn- und Kinderstube mit ihren verderblichen Quecksilberdämpfen erfüllen durften, hat uns das industrielle Paris bereits mit einer ganzen Reihe von ähnlichen chemischen Spielzeugen beglückt, vor denen aber in den meisten Fällen dringend zu warnen ist. Hierher gehören zunächst die sogenannten Teufelsthränen, eine Speculation, welche gar leicht manches Auge kosten und andern Unfug anstiften kann. Sie sind freilich, laut Etikette in Frankreich, England, Belgien, Amerika etc. „patentirt“ – das macht indessen ihre Gefährlichkeit um nichts geringer. Es sind ovale oder rundliche rothe Dingerchen, die in einer an beiden Seiten mit Kork verschlossenen Glasröhre dutzendweise in Paris für einen halben Franken (vier Neugroschen), bei uns für acht Silbergroschen verkauft werden. In jeder dieser „Thräne“ befindet sich ein Stückchen Natrium-Metall, mit in Petroleum getränkter Baumwolle umwickelt und mit rothgefärbtem Collodium überzogen. Die Spielerei ist also auf einen alten, längst bekannten chemischen Vorgang begründet, im Uebrigen aber gut ausgedacht, denn die Erscheinung, welche die in einen Teller mit Wasser geworfenen Teufelsthränen zeigen, indem das Natrium-Metall unter Zischen und zuweilen mit Entzündung des Steinöles sich zersetzt, wird auf Unwissende ihren Eindruck nicht verfehlen. Auf der Gebrauchsanweisung steht in französischer und englischer (aber nicht in deutscher) Sprache die Warnung: „Die Teufelsthräne nicht in den Mund zu nehmen,“ doch nasse Hände etc. können ebenfalls eine unvorbereitete Explosion und damit Umherspritzen des Feuers, gefährliche Brandwunden und dergleichen bewirken, abgesehen davon, daß selbst nach gefahrlosem Verlaufe des „Kunststücks“ das im Teller enthaltene Aetz-Natron Kleider, Teppiche etc. leicht beschädigen kann. Nebenbei bemerkt sind dergleichen Flecke, resp. Löcher, oft noch durch sofortiges Befeuchten mit Essig und dann Abwaschen mit Wasser abzuwenden.

Minder bedenklich ist eine andere chemische Neuigkeit, der Vesuv-Thee. Er besteht aus einem Gemisch von einfach- und doppeltchromsaurem Ammoniak. In einem Löffelchen über Spiritus gelinde erhitzt, bläht er sich dann zu krausen Gestaltungen auf, welche allenfalls Aehnlichkeit mit chinesischem Thee oder mit kleinen Pflanzengebilden haben. Das chromsaure Salz ist ebenfalls giftig und erfordert für Kinder etc. alle Vorsicht, sonst aber kann es nicht leicht Veranlassung zu Unglücksfällen geben, da es nichts Eßbarem ähnlich ist, als „Thee“ aber sich bereits in das nicht giftige grüne Chromoxyd verwandelt hat. Noch interessanter und weniger gefährlich ist das Wunder- oder Gras-Papier, welches, ebenfalls aus diesem Chromsalz bereitet, beim Entzünden die niedlichsten Pflanzengebilde, Gras, Blumen, Früchte etc. hervorbringt.

R.




Im Verlage von Ernst Keil in Leipzig erscheint in zweiter Ausgabe und ist in allen Buchhandlungen zu haben:

Die Bibel.
Für denkende Leser betrachtet
von
Gustav Adolf Wislicenus.
12 Lieferungen in groß Octav à 7½ Ngr.

Die gegenwärtige Verwirrung in religiösen Dingen wirkt sowohl innerlich als äußerlich hemmend ein, schwächt die großen Bestrebungen der Zeit ab, und hindert den Einzelnen, mit sich selbst in Einklang zu kommen. In der hier angekündigten Schrift werden die Geschichten und Lehren der Bibel dargestellt und betrachtet, mit vollgerechter Würdigung der Vergangenheit, aber auch in unbestechlicher Wahrheitsliebe. Sie ist keine neue Auflage des vor bereits zehn Jahren erschienenen Bibelwerks desselben Verfassers, sondern eine durchaus neue Arbeit. Nur in Betreff der Grundsätze steht sie wie jene auf dem Boden der Wissenschaft, vor der die Bibel eine Erscheinung der Geschichte, ein Glied in der Kette menschlicher Geistesentwickelung ist, in welcher Eigenschaft sie keine Ausnahmestellung einnimmt, sondern ebenso wie andere Bücher dem Urtheile der denkenden Menschen unterliegt. Die bekannte, gemeinverständliche Darstellungsweise des Verfassers macht das Werk zu einer populären Erscheinung, die dem ganzen denkenden deutschen Volke willkommen sein muß. – Die erste Lieferung des Werkes liegt bereits vor.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. Aus den „Erinnerungen an meinen Bruder Heinrich Heine, von Maximilian Heine.“ S. 1866, Nr. 5.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_712.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)