Seite:Die Gartenlaube (1866) 735.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Der geschichtliche Fiesco.
Nach urkundlichen Quellen von Julius Bacher.
(Schluß.)


Als sich die Ruhe in der Versammlung wieder eingestellt hatte, begann Fiesco mit der ihm eigenen Beredsamkeit ihnen ein Bild der unerträglichen Gewalt des alten Doria und des Ehrgeizes Gianettino’s, sowie der Zärtelichkeit des Kaisers für diese Familie zu entwerfen, indem er nicht unterließ, ihnen die Gefahren zu zeigen, welche daraus für ihre Person und die Freiheit des Vaterlandes hervorgehen müßten, da es keinem Zweifel unterläge, daß unter diesen Umständen Gianettino zur Regierung gelangen und alsdann nicht nur alle Freiheiten unterdrücken, sondern daß derselbe auch bemüht sein würde, die Obergewalt in der Republik in seiner Familie erblich zu machen. „Jetzt, meine Freunde,“ fuhr Fiesco mit feuriger Beredsamkeit fort, „steht es in Eurer Macht, diese ungerechte Herrschaft zu stürzen und die Freiheit Eures Vaterlandes auf einem festen Grunde aufzubauen und für alle Zeiten dauernd zu sichern. Die Tyrannen müssen niedergestoßen werden. Ich habe zu diesem Zweck die wirksamsten Maßregeln getroffen. Meine Genossen sind zahlreich. Ich kann mich im Nothfall auf Alliirte und Beschützer verlassen. Zum Glück sind die Tyrannen ebenso sicher, wie ich vorsichtig gewesen bin. Ihre stolze Verachtung ihrer Mitbürger hat allen Argwohn und jede Besorgniß aus ihrem Herzen verbannt, welche sonst die Verbrecher scharfsichtig zu machen pflegt, die Rache, die sie verdienen, voraus zu sehen, und schlau, sich dagegen zu verwahren. Sie werden nun den Schlag fühlen, ehe sie eine feindliche Hand über sich vermuthen. Laßt uns also hinaus stürmen und durch ein edles Unternehmen, das fast mit keiner Gefahr verbunden ist und einen sichern Erfolg verspricht, unser Vaterland befreien!“

Diese Worte, mit dem unwiderstehlichen Feuer einer von einem großen Unternehmen erfüllten Seele gesprochen, riefen in der Versammlung die beabsichtigte Wirkung hervor. Fiesco’s Vasallen, die gewöhnt waren, ihrem Oberherrn in Allem blindlings zu folgen, antworteten mit helltönenden Beifallsbezeigungen; ebenso alle von Fiesco herbeigezogenen Abenteurer, sowie Diejenigen, welche sich in mißlichen Verhältnissen befanden und denen die mit dem Aufstande verbundene Unordnung sichere Aussicht auf Gewinn und Bereicherung gewährte. Die angeseheneren und besonneneren Genuesen, denen das Unternehmen frevelhaft und darum verwerflich erschien, wagten, durch die Uebermacht in Schrecken gesetzt, dennoch nicht, ihre Stimme dagegen zu erheben.

Nachdem Fiesco sich auf diese Weise die Zustimmung und den Beistand der Versammelten zu seinem Unternehmen gesichert zu haben glaubte, entwickelte er den Plan, nach welchem dasselbe ausgeführt werden sollte, und da die nahende Nacht dazu bestimmt war, ließ er seine Gäste bis dahin reich bewirthen. Während dessen war er bemüht, ihren Muth durch eine beredte Zusprache zu erheben, indem er vorsichtiger Weise in ihrer Mitte blieb, um einer etwaigen Sinnesänderung bis zum Erscheinen der festgesetzten Stunde vorzubeugen.

So kam denn die für die Doria und deren Freunde so verhängnißvoll werdende Mitternacht des 2. und 3. Januars 1547, und ehe Fiesco die letzten Befehle an die Versammelten richtete und ihnen die Thore öffnen ließ, ging er, von der Wichtigkeit der nahenden Stunde und der vorauszusehenden Gefahren gedrängt, seiner von ihm zärtlich geliebten Gattin ein Lebewohl zu sagen. Dieselbe war aus dem edeln Hause der Cibo und durch Schönheit und Tugend vor Vielen ihres Geschlechtes ausgezeichnet.

Obgleich der Graf vorsichtig seine Gemahlin bestimmt hatte, sich in einem von den Höfen entfernten Theil des Palastes aufzuhalten, indem er als Grund dafür eine den Genuesen zu veranstaltende Festlichkeit bezeichnete, so hatte das ungewohnte und geräuschvolle Treiben dennoch ihre Aufmerksamkeit erregt und sie trotz der bezeichneten Veranlassung dazu mit einer gewissen Besorgniß erfüllt, da sie niemals vorher eine so große Menge Leute aus so verschiedenen Classen in ihrem Palast versammelt gesehen hatte, und sie war darum auf den nahe liegenden Gedanken gerathen, es müßten sich mit der vorgeschützten Festlichkeit noch irgend andere und gefährliche Zwecke verbinden. Eine solche Voraussetzung schien ihr um so mehr gerechtfertigt, als auch ihr Gemahl in der letzten Zeit eine sonst an ihm nicht bemerkte Aufregung und Zerstreutheit verrathen hatte, die er, wie ihr nicht entgangen war, vor allen Menschen zu verbergen sich bemühte. Von dem heißen Wunsch erfüllt, von ihrem Gemahl Aufklärung über die Vorgänge in dem Palast zu erhalten, hatte sie ihn zu wiederholten Malen, jedoch vergebens, zu sich bitten lassen; erst als die Glocken von Genua’s Thürmen die Mitternacht ankündigten, sollte ihr Verlangen befriedigt werden; wenige Augenblicke darauf trat Fiesco bei ihr ein. Seine Erregung, die er trotz seiner großen Willenskraft Angesichts der nahenden blutigen Stunde nicht mehr zu verbergen vermochte, schien ihre schlimme Voraussetzung zu bestätigen, und von Liebe und Sorge um ihren Gemahl erfüllt, warf sie sich an seine Brust und bat, ihr nichts zu verhehlen.

Der Graf glaubte ihr seine Pläne nicht länger verschweigen zu dürfen und theilte ihr daher dieselben mit. Ein tödtlicher Schrecken bemächtigte sich ihrer bei der Vorstellung eines so blutigen Unternehmens, und von den übelsten Ahnungen über den Ausgang desselben übermannt, suchte sie den heiß geliebten Gemahl durch Thränen und Bitten davon zurückzuhalten. Umsonst strebte Fiesco sie zu beruhigen und zu trösten; von der Ueberzeugung erfüllt, daß der Aufstand ihrem Gatten zum Unheil gereichen müßte, ließ sie von Bitten und Flehen nicht ab und gerieth endlich in Verzweiflung, als Fiesco trotz alledem dennoch auf seinem Vorsatz beharrte. Einer Ohnmacht nahe legte er sie auf eine Ottomane, indem er ihr zurief: „Leben Sie wohl! Entweder sehen Sie mich nie wieder, oder morgen soll Alles in Genua zu Ihren Füßen liegen!“

Mit diesen stolzen und zuversichtlichen Worten eilte er, ihre Ohnmacht benutzend, aus dem Zimmer und befand sich wenige Minuten darauf in der Mitte der Verschworenen. Ohne Zögern ertheilte er nun die nöthigen Befehle. Eine Abtheilung der Verschworenen erhielt den Auftrag, sich nach den verschiedenen Thoren der Stadt zu begeben und sich derselben zu bemächtigen; eine andere sollte die bedeutendsten Straßen und festesten Plätze besetzen, während sich Fiesco selbst vorbehielt, den Hafen, in welchem sich Doria’s Galeeren befanden, also das gefahrvollste Unternehmen, anzugreifen. Die Genuesen ahnten nicht, daß ihre nächtliche Ruhe in einer so unerhörten Weise gestört werden sollte, während Fiesco’s Palast die gefährlichen Ruhestörer wohlbewaffnet und voll Muth entließ. Ohne den geringsten Widerstand zu finden, gelang es ihnen, einige Thore in raschem Ueberfall zu nehmen, die noch übrigen indeß nur nach einem hitzigen Gefecht mit der Besatzung derselben. Kurze Zeit darauf waren die Genuesen, von dem ungewohnten Treiben, dem Geschrei der Verschwörer und Angegriffenen aufgeschreckt, erwacht und aus ihren Häusern geeilt, um die Ursache des ersteren kennen zu lernen. Sie fanden Straßen und Plätze mit Bewaffneten angefüllt und zogen sich, das Uebelste befürchtend, sogleich in ihre Wohnungen zurück, in banger Erwartung des Ausganges dieses nicht geahnten Ueberfalls.

Während dessen war Fiesco mit Verrina und einer Anzahl der auserlesensten Soldaten nach dem Hafen geeilt. Verrina erhielt den Befehl, mit der Galeere, welche Fiesco angeblich zu einem Feldzug gegen die Türken bemannt hatte und die nun in dem Hafen neben Doria’s Schiffen lag, die Mündung des letztern zu verstopfen, um die Möglichkeit einer Flucht von der Stadt aus zu verhindern, da es ja darauf ankam, sich der beiden Doria zu bemächtigen. Denn die Galeeren Doria’s waren bis auf die angeketteten Rudersclaven unbemannt, ebenso abgetakelt und vermochten daher keinen Beistand zu leisten.

Der Name eines so beliebten Mannes, wie Fiesco, begeisterte Viele aus dem Volk, man griff eilig zu den Waffen und reihte sich mit dem Rufe „Fiesco und Freiheit“ den Verschworenen an, während der zu der Partei des Doria zählende Adel sich in seine befestigten Paläste zurückzog, um sich vor einer Plünderung zu sichern. Bald drang der Tumult und das Losungsgeschrei der Verschworenen in Doria’s Palast, und Gianettino, der mit seinem Großoheim in demselben wohnte, verließ eilig sein Lager, im Glauben, der Tumult sei Folge eines unter den Schiffsleuten ausgebrochenen Aufstandes, sammelte

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_735.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)