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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

der Verschwörung. Und auch in diesem Falle bewährte sich auf’s Neue die Großmuth und der Edelsinn Doria’s; denn trotz der auf ihn herabbeschworenen Gefahren und trotz des Unglücks, das ihn durch den Mord seines Neffen betroffen, dessen verstümmelten Körper er vor sich liegen sah, bewahrte er dennoch so viele Milde und Mäßigung, daß er das von dem Senat über die Verschworenen gefällte Urtheil, Tod und Einziehung ihrer Güter, in Verbannung milderte und sich dadurch auf’s Neue die Bewunderung seiner Mitbürger erwarb. Nachdem der Senat auf diese Weise die Ruhe und Sicherheit in der Republik wieder hergestellt hatte, theilte er dem Kaiser, dem Schutzherrn Genua’s, die näheren Umstände des Geschehenen mit.

Kaiser Carl war über eine so seltsame und unerwartete Begebenheit höchlich erstaunt. Sein Scharfblick erkannte aber sogleich, daß Fiesco lediglich durch einen ihm von außen zugesicherten Beistand den Plan zu der Verschwörung ersonnen haben müßte. Er täuschte sich darin nicht und erhielt bald die gewisse Nachricht, daß der Herzog von Parma und selbst der Papst Fiesco’s Plan unterstützt hätten. Besorgt, es könnte der Krieg durch den König von Frankreich auf’s Neue in Italien angefacht werden, schob er die gegen den Kurfürsten von Sachsen und den Landgrafen von Hessen beabsichtigten Unternehmungen noch hinaus, und so war Fiesco’s Verschwörung der Grund, daß Deutschland noch für einige Zeit von dem Einmarsche der kaiserlichen Truppen verschont blieb. Dies war auch die einzige Wirkung, die Fiesco’s so wohl überlegtes und vorbereitetes Unternehmen hatte. Der Name Fiesco’s verfiel der Verachtung. Seine Güter wurden eingezogen und Hieronymus büßte seinen Verrath durch ewige Verbannung. Andreas Doria bekleidete die Würde eines Dogen noch mehrere Jahre, doppelt hochgeachtet und geliebt von seinen Mitbürgern. Sein Andenken lebt noch heute in Denkmälern, die man ihm errichtet hatte, und die Geschichte nennt ihn den Vater seines Landes und den Wiederhersteller von Genua’s Freiheit.




Der Dampf auf der Flucht.


Der jüngste und hoffentlich letzte deutsche Bruderkrieg ist nicht nur vor allen großen Kämpfen vor ihm ausgezeichnet durch die Sturmeseile seines Verheerungsgangs und sein rasches Ende, sondern er hat auch ganz neue Kriegsbilder an’s Licht gebracht durch den ehernen Fuß, den er auf die von Dampf und Elektricität getragenen Verkehrsmittel der Gegenwart zu setzen suchte. Das erste Flammenzeichen desselben loderte mit der strategisch gebotenen Zerstörung der Riesaer Elbbrücke auf. Mit gieriger Zunge schlug die gewaltige Lohe aus dem zusammenstürzenden Balkengefüge des stattlichen Bauwerkes zum abendlichen Himmel empor und darüber hin wälzte sich der schwarze Qualm gleich einer gewitterschweren Wolke, dem Laufe des herrlichen Flusses folgend. Prasselnd und zischend stürzten die lodernden Holzstreben in die Fluthen, daß der weiße Gischt hoch auf zum brennenden Trümmerwerke spritzte. Unten aber, im Strombette, kämpften die Wellen mit rauschender, drängender Gewalt gegen das niedergeschmetterte dämmende Gebälk an, während der dadurch stromaufwärts gestaute Wasserspiegel das ganze grauenvoll-prächtige Bild in schauerlichem Abglanz wiedergab.

Nacht ist’s geworden. Beim Flammenscheine der brennenden großen Elbbrücke konnte man am Abend des 15. Juni in der elften Stunde eine Abtheilung preußischer Husaren bemerken, welche schnurgerade auf den Riesaer Staatsbahnhof losritten, dort einen der Bahnbeamten herbeiholten, von den Pferden sprangen und beim trüben Lichte einer Laterne in den verschiedenen Maschinen- und Reparatur-Gebäuden herumtappten, um Locomotiven und Wagen zu annectiren. Aber der Bahnhofsinspector, ein vorsichtiger Mann, hatte Wagen und Maschinen bereits nach Chemnitz schaffen lassen. Als noch die Husaren vergebens jeden Winkel durchspähten, da horch, ein Pfiff! was war das? Rasch stürzten die Reiter aus den Gebäuden und siehe da, der „Hercules“, die letzte neugierige Maschine, welche um jeden Preis die Fremden beschauen wollte, verschwand mit lautem Pfeifen im Dunkel der Nacht.

Diesem ersten Auftreten der Kriegsfurie folgten ein paar Tage Ruhe. Die preußische Armee, ihren rechten Flügel an die Elbe gelehnt, drang nach Böhmen vor und schien nach dem westlichen Theil der sächsischen Bahnen nicht mehr zu fragen. Man suchte auf ihm den Verkehr so lange wie möglich offen zu halten und ließ ihn nur in dem Maße aufhören und sich zurückziehen, je nachdem die Preußen vorrückten. Als diese jedoch am 17. Juni Waldheim besetzten, fand der im selben Augenblick im Bahnhof einlaufende Personenzug es angezeigt, eilig zurück nach Chemnitz zu fahren, ohne sich in nähere Bekanntschaft mit den blauen Gästen einzulassen. Dieser Vorfall und eine Menge anderer beunruhigender Nachrichten zeigten nur zu deutlich, welchen Gefahren in diesem Kriege vor Allem das gesammte Eisenbahnmaterial ausgesetzt sei. Man begnügte sich nicht mit dem Aufreißen der Schienen und Zerstören der Brücken und Viaducte, sondern man bemächtigte sich sofort aller Transportapparate, von der Locomotive bis zum letzten Kohlenwagen. Ebendeshalb brachte man in Chemnitz noch am selben Tage mehrere große Wagen- und Locomotiven-Züge nach Glauchau und Zwickau in Sicherheit. Am 18. Juni aber, wo der Feind ganz nahe an die Stadt streifte, war nicht mehr zu säumen; was Hände hatte, griff zu, um lange, lange Züge zu formiren, die mit drei bis vier starken Maschinen bespannt zum Thore hinaussausten. So kamen zweiundvierzig Locomotiven und viele Hundert Wagen gen Zwickau. Es war Abend sieben Uhr geworden und zwei Maschinen schleppten den letzten von Gößnitz kommenden Zug in den geräumten Bahnhof, die wenigen verwegenen Reisenden stiegen aus, die zwei Locomotiven waren eben im Begriff zu drehen, um rasch wieder zurückfahren zu können, als mehrere Beamte mit der Schreckensbotschaft daher rannten: „Preußische Soldaten stehen draußen vor dem Bahnhof und sperren den Ausgang!“ Das war schon so gut wie gefangen, eine schlimme Geschichte! Aber die beiden Führer des „St. Egidien“ und der „Augustusburg“ verzagten nicht, der Riesenkraft und Vogelschnelle ihrer bestaubten Rosse konnten sie vertrauen und nöthigenfalls durch ein ganzes Regiment reiten, ohne aus dem Schritt zu kommen. Rasch stürmten sie dem Ausgange zu und richtig, dort standen die flinken Husaren, den Säbel in der Faust, auf dem rettenden Geleise, sie wichen nicht vom Platze, während zum Ueberfluß eine ungeheure aufgeregte Menge Volks die Reiter umringt hatte, hin und her wogte und mit größter Spannung den Dingen entgegensah, welche kommen mußten. Jetzt waren die Locomotiven dicht vor den Reitern. Was wird noch werden? fragte man sich. Alles hielt den Athem an, man sah im Geiste den wilden Kampf, die Klingen funkelten, man horchte auf den ersten Schuß – da öffneten sich plötzlich auf beiden Maschinen Abstoßhähne und Schnelldampfer zugleich, der Dampfpfeifen schrille, durchdringende Schreie ertönten und ein wahrer Höllenspuk hub an. Bald waren beide schwarze Riesen in Dampf gehüllt und drangen unbekümmert um Säbel und Pistolen unter Freunde und Feinde hinein. Entsetzt wich Alles den verderbenbringenden Rädern aus, die Pferde bäumten und sprangen zitternd bei Seite, scheu und unruhig gemacht, ließen sie den erschrockenen Reitern keine Zeit ihre Waffen zu gebrauchen. Die Bahn war frei, und wie ein Ungewitter brausten die beiden Renner dahin, „daß Kies und Funken stoben“. Die preußischen Husaren sind gewiß verwegene Burschen, die sich schon mit aller Welt herumgehauen haben, und ihr Ahnherr Ziethen war ein Reitersmann par excellence gewesen, aber solchen Gegnern wäre auch er aus dem Wege gegangen! Er wird euch vergeben, ihr kecken Reiter, und es ganz in Ordnung finden, daß ihr von jeder Verfolgung der „geflügelten Rosse“ abstandet.

Die beiden muthigen Rosselenker hörten den Sturm des Beifalls nicht, der ringsumher losbrach; ohne Ruhe und Rast flogen sie über die geschiente Fläche nach Glauchau. Die Eile war gerechtfertigt, preußische Patrouillen hatten sich auf dem Wege dahin sehen lassen und jeden Augenblick konnte man die Schienen aufreißen; wohlbehalten gelangten sie indessen nach Glauchau und ihr sauve qui peut trieb Alles, was Räder hatte, in die Flucht nach Zwickau.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_737.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)