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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

kehrten zurück, denn die Telegraphenarme da oben beim Bahnwärter auf dem Berge, welche den gefürchteten Zug ankündigen mußten, hingen immer noch unbeweglich am Maste herunter und das Wasser rauschte und strömte in die Tender, Rauchsäulen stiegen empor, die Armee fing wieder an zu marschiren, Zug um Zug fuhr ab, immer zwei zugleich nebeneinander, und fort nach Herlasgrün, von da nach Eger. In Herlasgrün aber war derselbe lähmende Wassermangel eingetreten. Viele Züge waren nämlich von ihren Locomotiven mit Anstrengung der letzten Kräfte nach Herlasgrün gefahren worden, in der festen Zuversicht, hier endlich Wasser zu erhalten; es gab auch Wasser, der plötzlich eintretende starke Bedarf erschöpfte indessen bald den geringen Vorrath, – es herrschte überhaupt seit längerer Zeit ein allgemeiner Wassermangel, der sich auf allen Bahnhöfen empfindlich fühlbar machte, – nur wenige Maschinen konnten deswegen ihren Durst löschen und weiterfahren, die größere Anzahl hielt da, aneinander gereiht, und harrte des nassen Elementes. Wohl wurde dies ihnen von geschäftigen Händen in Kübeln, Kannen und Töpfen aus den nächstgelegenen, d. h. ziemlich entfernten, Teichen und Wasserlöchern, Bächen etc. mühsam zugetragen, aber wie viele Kannen verschluckt nicht so ein Tender, ehe es „genug“ heißt!

Diese sich verproviantirenden Züge oder Maschinen versperrten aber den auf zwei Geleisen anstürmenden Colonnen aus Reichenbach den Weg, und die nur mit einem Geleis versehene, dort abzweigende Egerbahn, auf welcher, wie erwähnt, die Flucht weiterging, konnte die anbrausenden Fluthen natürlich nur langsam verschlingen. Eine Stauung trat ein, die immer größere Dimensionen annahm; mehrere Locomotiven, die endlich wieder Wasser erlangt hatten, wandten sich mit ihren Wagen aus diesem Wirrwarr heraus und flohen nach Plauen, um nach Hof zu entschlüpfen, obgleich man die telegraphische Nachricht hatte, an der baierischen Grenze würde, wie bereits angekündigt war, der Vorsicht wegen die Strecke unfahrbar gemacht werden und man könne also schon an der Arbeit sein.

In Plauen angekommen, wird diese letztere Nachricht durch den Telegraphen als bereits geschehen bestätigt. Was nun? Man hängt die Wagen los, läßt sie in Plauen stehen und jagt mit den bloßen Maschinen zurück nach Herlasgrün; einige Maschinen aber sausen hin nach der fünf Meilen entfernten Grenze und treffen die Leute in der besten Arbeit, das Geleis unfahrbar zu machen; beim Anblick der Flüchtlinge baut man jedoch die Strecke schnell wieder und läßt die Versprengten durch. Kaum beginnt aber das Werk der Zerstörung auf’s Neue, als zwei Nachzügler ankommen; soll man schon wieder einhalten? Gewiß, nur nicht warten, und noch einmal baut man dürftig zusammen; die zwei Maschinen rollen darüber hin und sind geborgen!

In Herlasgrün war unterdessen dem Wassermangel nothdürftig abgeholfen worden und der Knäuel begann sich aufzurollen, so daß die von Plauen Zurückkehrenden sich der Hauptarmee anschließen konnten, deren Spitzen bereits in Oelsnitz eintrafen.

In den Städten des Voigtlandes aber, ganz besonders in Adorf, standen die Bürger und Turner mit Spritzen, Schläuchen und Eimern bereit; unermüdlich mit einander wetteifernd, pumpten und trugen sie den so nothwendigen nassen Stoff in die Tender, so daß kein langer Aufenthalt und keine Stockung entstand und der Marsch schnell weiter gehen konnte.

Es war Mittag. In Herlasgrün fing es an wieder ruhiger zu werden; am Horizonte verschwand der letzte Wagen, das Echo der die Thäler durchbrausenden Züge wurde immer schwächer, vereinzelte Rauchschleier zogen an den Fichtenkronen hin und zerflossen in der Luft, endlich war es still. Man hatte nun Zeit, über das so eben Geschehene nachzudenken, denn vorher theilte man die Hast der Züge und konnte ihr Verschwinden kaum erwarten; man schaute sich jetzt ängstlich nach allen Seiten um; aber nein, kein Verstümmelter, kein Unglück, nicht einmal ein zertrümmerter Wagen! War es wirklich möglich, daß Alles so glücklich abgelaufen? Welche unübersehbare Gefahren hatten gedroht bei dem Drauf und Drüber der wuchtigen Massen, dem Unglück war oft kaum auszuweichen gewesen, und dennoch – – Alles glücklich vorüber.

Die einen Tag später nach Zwickau unternommene preußische Expedition, welche vorher bei Werdau auf der Bahn einen tiefen Graben aufgeworfen hatte, überzeugte sich bald, daß Alles entwischt war. Die Kohlenwagen, welche man dort vorfand, kamen noch von den verschiedenen Steinkohlenschächten, wohin sie zur Beladung geschafft worden und dann in der Eile stehen geblieben waren.

Die Hauptarmee des Wagenheers war in Böhmen, in Eger, glücklich angekommen. Den 20. Juni waren daselbst über einhundertundvierzig sächsische Locomotiven und Tausende von Wagen beisammen, denn auch die in Plauen auf der Flucht stehen gebliebenen Wagen wurden einige Tage darauf nachgeholt, indem man an der baierischen Grenze das Geleis herstellte, die Wagen darüberfahren ließ und dann jenes wieder zerstörte.

Sicherlich verdienen die Männer, welche für die Rettung der ihnen anvertrauten Apparate der Bahnen eine solche ganz unberechenbare Gefahr bestanden, unsere Bewunderung so gut, wie die tapfersten Kämpfer im Feuer der Schlacht. Das Glück flog mit ihnen an den Abgründen hin und hielt die Tausende von Rädern treu an den Schienen! Möge dasselbe Glück ihnen den tapfern Dienst auch im Leben des Friedens lohnen!

Die flüchtigen Schaaren sind seitdem mit dem Frieden zugleich in’s Land zurückgekehrt, und der große Durchstich hinter Werdau ist während der Zeit längst wieder ausgefüllt worden, die Züge rollen darüber hin, den friedlichen Verkehr vermittelnd. Auch die Löcher und Durchstiche in Deutschland werden hoffentlich noch ausgefüllt und zwar wiederum durch – die Locomotive, welche die Nationen zusammenführt, weit besser und gründlicher, als dies mittelst Kanonen, Reden und Festessen geschieht.




Hinter der Mainlinie.
Kosmopolitische Weltfahrten und Erinnerungen.
Nr. 2. Die Krönungsstadt unter dem neuen Adler.


Frankfurt! – Wie der Zug auf dem Main-Weser-Bahnhof anlangt und der Schaffner jenen Namen kurz und schnell in das Coupé wirft, zieht an meiner Seele die ganze tausendjährige Geschichte des großen Gesammtvaterlandes vorüber; und als ich dann später durch die engen vielgewundenen Gassen streife, starren rechts und links mächtige steinerne Zeugen früherer Jahrhunderte auf mich nieder. An der „schönen Aussicht“, einem langen stolzen Kai am rechten Ufer des Mains, erhebt sich das Haus der Carolinger, die alte Sala, welche sich Ludwig der Fromme an der Frankenfurth zum Ruhesitz erbaute. Hier empfing er die Abgeordneten der Slaven und des Dänenkönigs Harald. Hier gebar ihm seine zweite Gemahlin Carl den Kahlen. Hier trauerte er über seine unnatürlichen Söhne, die bald gemeinsam den Vater, bald sich untereinander bekriegten. Hier starb auch Ludwig der Deutsche, unter welchem Franconeford in den Zeitbüchern schon den glänzenden Namen eines „Hauptsitzes des östlichen Reichs“ erhielt. Aus dem alten Königssitze ist ein Bürgerhaus mit Comptoiren und Waarenlagern geworden; seit fast zwei Jahrhunderten im Besitze der Familie Bernus, welcher auch der in der jüngsten ereignißschweren Tagen mehrfach genannte Senator Freiherr von Bernus angehört. Aber von dem alten Palatium zeugt noch immer die ehemalige Hauscapelle mit ihren starken Kreuz- und Erdgewölben.

Die weitere Geschichte Frankfurts und seiner Bedeutung für das heilige römische Reich deutscher Nation sind am besten in einem steinernen Buche zu lesen, das da der Römer heißt, und in hohen Hallen und Sälen, farbigen Wandgemälden und sinnigen Inschriften von der Herrlichkeit einer untergegangenen Welt erzählt, stumm aber beredt erzählt. Also nach dem Römer!

Schon stehe ich an der Pforte. Aber wo sind die rothgekleideten Hellebardirer, die[WS 1] sonst in der weiten Vorhalle feierlich gemessenen Schrittes auf- und abwandelten und vor dem ausgehenden

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: diie
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_739.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)