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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

herüber getrieben werden sollte. Aber auch diese Idee fand keine Anhänger, führte jedoch zu einem einfacheren Plane desselben Charakters, der die größte Aussicht hat, ausgeführt zu werden.

Aus allen diesen im Laufe der Jahre projectirten Verbindungen der beiden Länder ersehen wir so viel, daß die Idee in allen möglichen Formen über, auf, in und unter dem Wasser versucht und mehr oder weniger technisch durchdacht worden ist, so daß es verhältnißmäßig leicht sein mag, Alles zu prüfen, das Beste zu behalten und auszuführen. Es handelt sich wesentlich nur noch um die Entscheidung über einen unterseeischen Eisenbahn-Tunnel und ein Dampf-Floß, welches die Eisenbahnzüge von beiden Gestaden hinüber und herüber führen soll, so daß sich der Kampf über die verschiedenen Projecte ganz bestimmt in zwei Lager vertheilt. An der Spitze beider stehen berühmte englische Ingenieurs, Hawkshaw und Fowler.

Wer etwa während der letzten schönen October-Tage auf dem Canale zwischen Dover und Calais hinüber und herüber gefahren ist, wird vielleicht zwischen den dampf- und segelbeschwingten Schiffen ein Fahrzeug bemerkt haben, das ohne Dampf und Segel mit der größten Hartnäckigkeit sich gegen die Bewegungen des Windes und der Wogen festzuhalten suchte. In größerer Nähe wird man auch ein eigenthümliches Leben auf dem Deck und nach der Tiefe hinunter bemerkt haben, wie ernste Männer, die Niemand für Fischer halten konnte, eigenthümliche Instrumente an verschiedenen Tauen bald versenkten, bald wieder heraufzogen und den auf dem Meeresgrunde gemachten Fang – keine lebendigen Fische, sondern auf den ersten Anblick allerhand steinigen Schmutz – durch mysteriöse Instrumente genau untersuchten und ihre Forschungen sorgfältig zu Papiere brachten. Dieses Schiff war der Schleppdampfer Nelly unter dem wissenschaftlichen Commando des Ingenieurs Hawkshaw, der durch Erbauung einer über London hinlaufenden ungeheuren Eisenbahn berühmt geworden ist. Er untersuchte den schon vielfach durchforschten Meeresboden zwischen Calais und Dover genauer, als es jemals geschehen ist, und mit den genialsten, zu diesem Zweck besonders erfundenen Instrumenten und Bohrern, welche auf eine für die Laien unbegreifliche Weise oben vom Schiffe aus tief in den harten Kalkfelsenboden des Meeresgrundes getrieben wurden. Auch er will einen Eisenbahn-Tunnel tief unter dem Canale hin mauern und mit Eisen ausfüllen lassen, aber auf eine eigne Weise, deren Einzelnheiten er vorläufig noch für sich behält, so daß im Publicum auch die verschiedensten Gerüchte darüber im Umlaufe sind. Namentlich herrschen die verschiedensten Ansichten über Kosten und Zeit, so daß Einige von zehn Millionen Pfund und zehn Jahren sprechen, während sich Andere bis in das Doppelte hinaus verlieren.

Dadurch verliert die Sache auch in unseren Augen um so mehr Halt, als der Concurrent Hawkshaw’s, Mr. Fowler, der gefeierte Ingenieur der ersten großen Londoner Untergrund-Eisenbahn, mit seinem Projecte viel klarer, faßlicher und gleichsam verführerischer hervortritt. Er will die beiden Gestade und Völker per Eisenbahn auf dem Meere, und zwar durch eine riesige Dampf-Fähre, lebendig verbinden. Solche Fähren im Kleinen, welche ganze Lastwagen über Flüsse setzen, kennt wohl ziemlich Jeder. Fowler will eben solche bauen, nur viele hundertmal länger und vollkommener und zwar in der Form von etwa funfzehnhundert Fuß langen Dampf-Flößen mit ganz ebenen Decks und Schienen darauf. Für diese Dampf-Fähren sollen vor Dover und Calais besondere Docks mit ruhigem Wasser gebaut werden, um sie ungestört von den Meereswogen aufzunehmen und an ganz bestimmten Stellen zu befestigen. Geneigte, bewegliche Uebergangsbrücken oder Platformen mit Schienen darauf sollen die Züge von den Landeisenbahnen her mit diesen Dampf-Fähren unmittelbar verbinden. Um dies deutlicher zu machen, denken wir uns den jetzt alle Abende um neun Uhr von London nach Dover abgehenden großen Post-Eisenbahnzug für Frankreich und den ganzen Continent; er kommt jetzt um Mitternacht in Dover an, wo die Passagiere, die nach Calais u. s. w. wollen, mit ihrem Gepäck in eine barbarische nächtliche Verwirrung heraussteigen und von Gepäckträgern, Hotelagenten und Gaunern oft arg mißhandelt oder wenigstens unverschämt übertheuert werden. Der verdutzte oder ärgerliche Passagier muß dann auf schlüpfrigen Hafendämmen und Treppen, stets in Angst um sein Gepäck, hinunter steigen und sich auf dem Dampfer irgendwie unterzubringen suchen. Der mitternächtliche Wind ist hier auch in der besten Jahreszeit meist unangenehm und mißhandelt die Passagiere während der kurzen Ueberfahrt in der Regel so arg, daß Jeder dem Neptun reichliche Opfer bringen muß, um dann mitten in der vollsten Qual der Seekrankheit in Calais wieder auszusteigen und unter neuen Verlegenheiten, Zeitverlusten, Aergernissen und Kosten vom Dampfer wieder nach der Eisenbahn überzusiedeln.

Alle diese Quälereien würden mit der Fowler’schen einfachen Verbindungs-Maschinerie beseitigt sein. Der in Dover ankommende Zug steigt auf der geneigten Platform hinunter auf die Schienen der Dampf-Fähre, welche dann sofort, ungestört von Wind und Wogen, schnurstracks über den Canal nach Calais hinüberschießt, um den Eisenbahnzug wieder auf die Schienen der aufsteigenden und mit dem Landeisenbahnhofe verbindenden Platform abzugeben, von wo aus man dann sofort auf festem Lande weiterfahren kann, ohne ein einziges Mal durch Aus- und Einsteigen und Uebersiedelung gestört worden zu sein und vom Meere nur etwas bemerkt zu haben, geschweige von einer Seekrankheit. Da der Zug auf der Dampffähre still steht, wird es ganz von dem Belieben der Passagiere abhängen, während der Ueberfahrt auszusteigen, auf dem riesigen Deck hin und her zu spazieren, sich über die Ohnmacht der Meereswogen zu freuen und eine Cigarre dazu zu rauchen, ohne den Damen in dieser frischen Brise unangenehm zu werden. Es wird nämlich mit Sicherheit vorausgesetzt, daß die Dampffähre mit ihrer ungeheuren Last und Länge auch den wüthendsten Stürmen den größten Gleichmuth entgegensetzen und die Reisenden vor jeder Anfechtung einer Seekrankheit bewahren werde. Dies ist wichtiger, als es scheinen mag, da sich ungemein viel Personen, besonders Franzosen und überhaupt Landratten, aus Furcht vor dem Sturme und der Seekrankheit abhalten lassen, einen Calais-Dampfer zu besteigen. Die unmittelbare leichte und wohlfeile Verbindung der beiden Länder und Völker wird den Verkehr von Menschen und Waaren sofort um Hunderte von Procenten steigern und die Jahrhunderte alte Feindschaft derselben, wenn nicht beseitigen, doch ganz wesentlich mildern, so daß wir Alle damit eine neue Bürgschaft für den Weltfrieden gewinnen.

Die Fowler’sche Dampffähre scheint die meiste Aussicht auf allgemeine Annahme und Ausführung zu haben. Es ist, soweit wir es verstehen, die einfachste und billigste Lösung des großen Problems, an welchem sich seit mehr als einem halben Jahrhundert eine Menge sachverständiger Ingenieurs und noch mehr Laien die Köpfe zerbrochen haben. Während die Kosten zur Ausführung aller anderen, zum Theil sehr abenteuerlichen und schwierigen Projecte bis zwanzig Millionen Pfund Sterling und zwanzig Jahre steigen, hat Fowler ausgerechnet, daß er seinen Plan in etwa zwei Jahren für höchstens zwei Millionen Pfund Sterling verwirklichen könne. Das sieht ohne Weiteres glaubwürdig aus; auch können wir uns auf den gewöhnlichsten Flußfähren, welche große Lastwagen übersetzen, ein kleines Bild der Ausführbarkeit dieser lebendigen Völkerbrücke machen: wir brauchen uns die Fähre nur viele hundert Mal größer, das Wasser viel tausend Mal breiter und statt des Lastwagens einen ganzen Eisenbahnzug zu denken. Noch ist es freilich unentschieden, ob die Völkerbrücke auf oder unter dem Meere ausgeführt werden wird, auf eine oder die andere Weise geschieht es aber gewiß sehr bald, so daß wir wohl in kurzer Zeit aus jedem Theile Deutschlands, sogar aus Italien durch die Alpen hindurch mit Dampf, trockenen Fußes und ohne Unterbrechung, nach jedem Theile Englands hinüber und von da eben so leicht herüberfliegen können.

H. B.




Künstlerneid. Die Illustration, welche wir S. 741 unserm Leserkreise nach einem Oelgemälde H. Schaumann’s vorführen, führt uns selbst hinter die Coulissen einer Thierkünstlerbühne, wo so eben ein Affe, ein Pony und ein Pudel sich um einen wahrscheinlich aus den Reihen des dankbaren Publicums empfangenen Lorbeerkranz streiten. Wir werden wohl daran thun, wenn wir dem Künstler eine satirische Absicht unterlegen, denn allerdings wird mit dem Lorbeerkranz, der nur höchste Thaten des Geistes, des Muthes und der Kunst lohnen sollte, oft recht frivol umgesprungen, und ist in der That nur zu wünschen, daß bei all solchen Fällen so ein Hufthier zur Hand sei, das, wie hier der Pony, wenigstens den rechten Gebrauch von den Blättern des Kranzes zu machen weiß. H. Schaumann gehört derzeit zu denjenigen Münchnern Künstlern, deren Arbeiten täglich mehr geschätzt werden; sein „Wiedersehen auf dem Schlachtfelde“ wird eine der nächsten Nummern der Gartenlaube schmücken.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_744.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)