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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 50.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Auferstanden.
Von Paul Heyse.
(Fortsetzung.)


Endlich legte Eugen sich in schwerem Grübeln zu Bett und fiel nach der anstrengenden Wanderung des Tages in einen unruhigen Schlaf, aus dem er oft auffuhr, um im Dunkeln nach seinen Pistolen zu greifen, die er auf alle Fälle bereit gelegt hatte. Ein ängstlicher Traum jagte den andern. Zuletzt sah er das schöne blasse Gesicht auf der Todtenbahre, und die gelbe Alte stand mit einem Schüsselchen voll Polenta neben ihr und redete ihr zu, einen Löffel voll zu nehmen, das sei gut gegen das Sterben. Als aber die Todte sich nicht regte, fing die Alte einen herzzerreißenden Jammer an, immer lauter und gellender, bis der Träumer endlich von dem schrillen Ton erwachte. Da merkte er erst, daß nicht Alles geträumt war. Es war heller Morgen und draußen vor seinem Fenster, zu Füßen des Thurmes, hörte er eine schneidende Weiberstimme singen, Worte, die er nicht verstand. Er sprang eilig an’s Fenster und sah wirklich die alte Magd, die, einen Korb am Arm, den steilen Fußweg den Felsen hinauf erstieg, dabei oft still stand und nach dem Thurm sich umwendend ihre Ritornelle sang, sichtbar in der Absicht, dem Fremden etwas damit zu sagen. Denn als sie ihn jetzt bemerkte, wie er den Kopf zum offenen Fenster hinausstreckte, wiederholte sie lauter und langsamer ihre eintönige Improvisation, von der er nichts als das Wort „Capuziner“ verstand, machte ein Zeichen, als ob sie sagen wolle, daß Vorsicht nöthig sei, und verschwand dann oben hinter dem Gestrüpp, das von Klippen herabhing.

Verwundert und aufgeregt trat Eugen vom Fenster zurück; da sah er, daß der einäugige Diener inzwischen eingetreten war und mit einem lauernden Blick ihn beobachtete. Zwar bemühte er sich sofort, eine einfältige Miene anzunehmen, und fragte unterwürfig, ob der Herr Capitän Befehle für ihn habe und ob er die Chocolade bringen dürfe. Aber es entging Eugen nicht, daß der Bursche, während er sprach, gespannt hinaushorchte nach der Stimme der Alten, die eben in der Ferne verklang. Der Herr Marchese lasse sich entschuldigen, setzte er hinzu, während er die Pistolen behutsam vom Stuhl nahm, um die Kleider des Fremden hinauszutragen. Er habe einen nothwendigen Gang zu thun und werde erst spät in der Nacht zurückkehren. Morgen, falls der Herr Capitän sich so lange verweile, hoffe er ihm seine Aufwartung zu machen. Eugen antwortete einsilbig und zerstreut. Er fragte dann, ob sonst keine Dienerschaft im Castell sei, da er Jemand brauche, ihm seine Instrumente nachzutragen. „Niemand, als ein altes Weib, das die Küche besorgt,“ erwiderte Taddeo rasch. „Die aber ist halb unrichtig im Kopf und würde dem Herrn Capitän leicht etwas zerbrechen oder verderben.“ Er selbst, sagte er und machte sich an dem Schranke zu schaffen, dürfe das Schloß nicht verlassen, wenn sein Herr auswärts sei. Er würde sich sonst eine Ehre daraus machen, den Herrn Capitän zu begleiten. Indessen seien einige Hirtenbuben in der Nähe, die gern den Weg weisen und zu jedem Dienst willig sein würden.

Der Fremde hatte das Letzte schon überhört. Der nächste Zweck seines Hierseins war ihm plötzlich so fern gerückt, daß er, als er eine halbe Stunde darauf das Castell verließ, um die Recognoscirung der nächsten Punkte zu beginnen, sogar seine Karten vergessen hatte. Als er es bemerkte, ging er dennoch weiter, langsam, auf seinen Stockdegen sich stützend, den Kopf schwer von Gedanken. Erst auf dem obersten Rande des Höhenzuges, der die eine Wand der Thalschlucht bildet, stand er still und sah in die Tiefe zurück. Einige hundert Fuß unter ihm lag das Castell. Er konnte jetzt, so weit es die Baumwipfel nicht verschatteten, die Anlage des Baues bequem überblicken und auch in das Gärtchen hineinsehen, das trotz seines Rosenflors durch die hohe Ummauerung einen düstern, gruftartigen Eindruck machte. Keine menschliche Gestalt ließ sich auf den schmalen Kieswegen erblicken und die Fenster, welche nach dieser Seite hinausgingen, waren mit dichten Jalousien geschlossen. Von hier oben gesehen, schien das ganze Haus unbewohnt. Nur einmal regte sich etwas am Brunnen unter der Platane. Als der Späher sein Fernrohr auf die Stelle richtete, sah er eine weibliche Gestalt in bäuerlicher Tracht ein paar schwere Wassergefäße über den Hof schleppen und in einer Seitenthür verschwinden. Bald darauf stieg eine leichte Rauchsäule über die Kastanienwipfel empor, das einzige Zeichen, daß hinter diesen von Cypressen gehüteten dichtverschlossenen Mauern sich noch Leben rege.

Erst jetzt flackerte etwas wie Haß gegen den Schloßherrn in der Seele des jungen Officiers auf, während er all’ die Stunden nur mit einem dumpfen Staunen über dem seltsamen Räthsel gebrütet hatte. Er malte sich’s mit einer feindseligen Freude aus, wie wohl ihm sein würde, wenn jetzt Krieg wäre und ihm der Auftrag würde, an der Spitze eines stürmenden Corps sich des Castells zu bemächtigen; wie er dann ohne Umstände in die verschlossenen Thüren einbrechen und die lichtscheuen Geheimnisse des alten Felsennestes an den Tag bringen wollte. Dann wollte er das blasse Gesicht fragen, wer ihm seine Jugend gestohlen, und den Räuber ohne Gnade zur Verantwortung ziehen.

Einstweilen aber war kein Krieg und er, allein und ohnmächtig, nur auf seine Klugheit und Ausdauer angewiesen. Er machte sich, unwillkürlich aufseufzend, von dem Blick in die Tiefe los

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_777.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)