Seite:Die Gartenlaube (1866) 790.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Wir waren daheim angekommen; tief bewegt sagten wir uns Gute Nacht. Am andern Morgen verließ ich das Thal.

Das war vor zehn Jahren. Was ist seitdem aus Tirol geworden? Zwei neue Kriege haben das Land erschüttert und das Volk zu den Waffen gerufen; es hat die Treue und Tapferkeit der Männer bewährt. Aber dem Geiste des Volks ist darum kein Licht aufgegangen. Die wenigen muthvollen Kämpfer gegen die hereinbrechende Nacht standen zu verlassen da, der vereinten Macht des Staates und der Kirche gegenüber: denn das bedeutet das Concordat, das beide zu Parteigenossen gegen jedes aufflackernde Flämmchen von rettender Wahrheit und Freiheit macht. Der deutsche Nationalgeist hat sich erhoben und die Tiroler jubelnd bei seinen Festen begrüßt. Als Turner, Schützen und Sänger schloß das deutsche Volk sie wie halb verloren gewesene und nun ganz wiedergefundene Brüder in die Arme – und was ist heute der Dank für den Kuß der Frankfurter Jungfrau, der dem Land Tirol galt? Die Protestantenhetze, der Sieg der „Glaubenseinheit“ Tirols!

Und wenn wir nun gar heute auf das Land blicken, das aus Deutschland hinausgeworfen und der vollen Gewalt der Jesuiten preisgegeben ist, die nun endlich von Deutschland frei sind – so bleibt uns nichts übrig, als gepreßten Herzens mit Schiller’s Worten die Frage an das allwaltende Schicksal:

„Wann wird der Retter kommen diesem Lande?“

F. H.




Ruine Wildenfels.
Erzählung von Friedrich Gerstäcker.
(Fortsetzung.)


Scheu, als ob sie den ganzen Spuk des alten Schlosses auf ihren Fährten wüßte, floh Rosel nach der Stadt zurück, mit der freilich schwachen Hoffnung, den Vater dort zu finden. Er war noch nicht zurückgekehrt, und immer noch, als Bärbel und die anderen Dienstleute schon lange in ihren Betten lagen, saß sie lauschend an dem nach dem Garten hinaus führenden Fenster und horchte auf das geringste Geräusch, bis ihr die Augen endlich vor Mattigkeit und Schwäche zufielen.

Und dort im Stuhl, fröstelnd vor Kälte, denn es hatte die Nacht scharf gefroren, erwachte sie, als eben der erste Sonnenstrahl auf die Wipfel der Bäume fiel. Dabei war ihr, als ob gerade eine Thür geschlossen würde. Sie fuhr empor und horchte – tiefe Stille lag auf dem ganzen Haus. War ihr Vater zurückgekehrt? Sie lauschte auf den Gang hinaus, ob sie irgend ein Geräusch hören könne, aber nichts regte sich, nur die draußen hängende Uhr hob aus und schlug Sieben. Sie warf sich ihr Umschlagetuch über die Schultern und trat auf den Gang hinaus. Die Mädchen mußten unten sein; sie konnte Niemanden hören, und vorsichtig schlich sie hinüber zu ihres Vaters Thür.

War er daheim? Leise klopfte sie zum ersten Mal an, und als keine Antwort erfolgte, stärker.

„Wer ist da?“ antwortete die Stimme des alten Jochus. „Bist Du es, Carl? Ich setz’ Dir meine Stiefeln gleich hinaus.“

„Ich bin’s, Vater.“

„Wer?“

„Ich, die Rosel.“

„Die Rosel? Alle Wetter, Mädel, was thust Du denn schon auf und was willst Du? Warte einen Augenblick, ich muß mich erst anziehen; ich mache Dir gleich auf.“

Rosel erwiderte nichts. Fest in ihr Tuch eingewickelt, stand sie draußen auf dem kalten Gang und horchte dem monotonen Ticken der Schwarzwälder Uhr. Es dauerte gar so lange, bis der Vater drin mit seinem Anzug fertig wurde. Jetzt endlich trat Jemand an die Thür, der Riegel wurde zurückgeschoben und Rosel stand auf der Schwelle. Fast unwillkürlich warf sie den Blick im innern Raum umher, vielleicht nur um zu sehen, ob sie allein wären, aber sie sah auch zugleich, daß das Bett des Vaters wohl ineinander gedrückt und die Decke zurückgeschlagen war, als ob es eben verlassen worden, doch das konnte sie nicht täuschen; das Bett war in dieser Nacht nicht berührt und der Vater jedenfalls erst am Morgen – vielleicht eben in diesem Augenblick – von seiner nächtlichen Wanderung zurückgekehrt.

„Aber Rosel,“ sagte Paul Jochus erstaunt, indem er sie kopfschüttelnd betrachtete, „Was hat Dich denn so früh aus den Federn getrieben und weshalb weckst Du mich so zeitig? Ist etwas vorgefallen, oder bist Du selber krank?“

„Nein, Vater,“ sagte Rosel und es wurde ihr schwer, zu sprechen, denn der Athem versetzte ihr die Brust, „ich bin wohl – aber – willst Du mir eine Frage beantworten?“

„Recht gern, Kind,“ entgegnete der Wirth, allein der Blick, der die Tochter dabei traf, strafte die bereitwilligen Worte Lügen, denn er flog scheu und mißtrauisch über sie hin; „was hast Du nur?“

„Du weißt, was ich neulich mit Dir besprochen habe, Vater,“ fuhr Rosel fort, „wie Du mir versprochen hast, daß Du dem Franz helfen wolltest, Alles – dort oben – aus dem Weg zu räumen, daß das unselige Geschäft aufgegeben sei und jener Mensch, den uns des Himmels Zorn hierher gesandt, Hellenhof verlassen wolle. Ist das geschehen?“

„Aber, liebes Herz,“ sagte der Vater mit einem erzwungenen Lachen, „um das zu fragen, hättest Du doch wohl auch noch ein paar Stunden warten können.“

„Ist das geschehen, Vater?“ drängte die Tochter.

„Gewiß ist’s,“ sagte der Mann halb unwillig, „der Brendel ist freilich noch nicht fort; er mußte erst seinen Paß zum Visiren zum französischen Consul schicken, und das hat ihn etwas aufgehalten, doch morgen reist er ab.“

„Und in der Ruine ist keine Spur jenes – jener Arbeit zurückgeblieben?“

„Nein, Kind, Alles glatt und sauber.“

„Gott sei Dank!“ stöhnte Rosel aus voller Brust, „so will ich denn die Angst auch gern umsonst getragen haben.“

„Was hast Du nur, weshalb denn Angst und vor was?“

„Nichts, Vater,“ sagte das Mädchen freundlich, „wenn der Franz die böse Sache aufgegeben hat, so ist Alles gut und es betrifft nicht uns, sondern fremde Menschen.“

„Aber was denn, Kind?“ frug der Wirth, der sich doch nicht ganz sicher fühlen mochte, „so sag’ mir doch, was Du hast und um was Du besorgt warst?“

„Um nichts, Vater, und ich danke dem Himmel, daß es um nichts war.“

„Aber ich bitte Dich darum.“

„Ich möchte nicht gern das Vergangene berühren und Dir weh thun.“

„Du hast mich nun neugierig gemacht, und ein Geheimniß ist’s doch nicht.“

„Ich weiß es nicht, Vater, aber ich glaube es nicht. Der Bruno war gestern Nachmittag wieder hier im Garten –“

„Hm,“ sagte der Wirth, der jetzt die Aufregung des Mädchens zu errathen glaubte, bedeutend beruhigt, „so – und bist Du freundlich mit ihm gewesen?“

„Weshalb soll ich unfreundlich mit ihm sein?“ sagte Rosel traurig. „Er ist brav und gut und wir leiden Beide gleich viel; er wird auch nicht wiederkommen. Es war das letzte Mal.“

„Aber was – was hat denn das mit der Ruine zu thun?“ frug der alte Jochus kopfschüttelnd.

„Er ist jetzt beim Criminalamt, Vater,“ sagte Rosel, doch leise und scheu, „und da – da erwähnte er zufällig, daß sie –“

„Daß sie – was?“ rief Jochus rasch.

„Mir jagte es Anfangs, als ich es hörte, einen Schreck ein,“ sagte das arme Mädchen, „aber so hat das ja nichts mit uns oder mit dem Franz zu thun – sie sind einer Falschmünzerbande auf der Spur und Alles, um was ich Dich bitten wollte, ist: mach’, daß der fremde Mensch, der Brendel, bald von Hellenhof wegkommt, damit der Franz keine Gemeinschaft mehr mit ihm hält.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_790.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)