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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Der Herzog von Jerusalem.
Ein anderer „heiliger Herr“.
(Schluß.)

In Hamburg angekommen, stieg Proli im Hotel de Saxe ab und sendete seine Jünger aus, um in allen Wirthslocalen die Herrlichkeit des Meisters und seines Reiches kund zu thun. Auch ließ er gedruckte Zettel für diesen Zweck austheilen. Allein es fehlte ihm der Magnet, der in Cork Wunder gethan und auch in London zum Theil gewirkt hatte – Geld und brünstige Glaubensschwestern. Nur eine junge Brünette schloß sich an, deren Namen wir aber nicht kennen und die Proli bis nach Offenbach begleitete. Sein nächstes Ziel war aber das Schwabenland. In einem eleganten Wagen, den er sich in Hamburg gekauft hatte, reiste er nach Stuttgart. Allein dort hatte die Regierung bereits Kenntniß von seinem abenteuerlichen Leben, und schon nach wenigen Tagen des Aufenthaltes daselbst wurde ihm von der Polizei der strenge Befehl, daß er innerhalb vierundzwanzig Stunden das Weichbild der Stadt und in achtundvierzig Stunden das Land zu verlassen habe, widrigenfalls er per Schub in seine Heimath gebracht würde. Die Stadt seiner nächsten Wahl war Würzburg, und sie erschien als eine gelungene, denn nun begannen wieder die prächtigen Tage, wie in Cork und London, und viele Gläubige aus dem männlichen und weiblichen Geschlecht sammelten sich unter seinem Banner. Länger als ein Jahr dauerte hier dieses selige Glaubensleben. Mittlerweile hatte er seine Sendboten auf dem Lande, namentlich im Spessart und im Odenwalde herumgeschickt, um das neue Evangelium von der Menschen Seligkeit im tausendjährigen Reiche ankündigen zu lassen, wobei er von der Geistlichkeit in Stadt und Land sowie von den Ordensleuten der beiden Klöster in Würzburg eifrig unterstützt wurde.

Namentlich aber wird ein Pater Johannes genannt, der Proli’s eifrigster Anhänger war und den er zum Patriarchen des neuen Reichs ernannt hatte, mit der Vollmacht an die Stelle des Papstes in Rom zu treten, wenn das Werk der Erlösung beginne. Man sieht, wie ernstlich die Sache betrieben wurde. Außerdem fand noch eine Ceremonie in der Hauscapelle statt, darin bestehend, daß Proli vom besagten Pater Johannes in Gegenwart der Auserwählten im Sinne der Salbung Jesu zum Herzog und Herrn vom neuen Jerusalem gesalbt wurde. Noch hatte die Polizei wenig Kenntniß von der Sache, da sie sehr geheim gehalten wurde. Als aber mancherlei Gerüchte über geheime Orgien umliefen und Klagen über Verführungen von Frauenzimmern bei den Behörden eingingen, auch der Pater Johannes in seinem Eifer so weit ging, daß er öffentlich von der Kanzel herunter an drei hintereinander folgenden Sonntagen mit den heftigsten Ausdrücken die Wiederkunft Christi (natürlich in der Person Proli’s), die Gräuel der Verwüstung und die Aufrichtung des tausendjährigen Reiches als ganz nahe bevorstehend ankündigte, da war auch schon am letzten Sonntage Befehl von München da, den Zusammenhang der Sache gerichtlich zu untersuchen, in dessen Folge mehrere Geistliche in’s Verhör kamen, ein Zeichen, wie man hier die Triebfedern der geheimen Verbindung erblickt hat. Sofort wurde der Pater Johannes gefänglich eingezogen. Seine Gefangenschaft währte eine Reihe von Jahren. Auch gegen Proli war Personalarrest verfügt worden. Allein er muß zeitig von der drohenden Gefahr in Kenntniß gesetzt worden sein, weil er in demselben Augenblick, wo die Gerichtsdiener den Haftbefehl vollstrecken sollten, aus Würzburg entwichen war.

Noch von Würzburg aus hatte Proli zwei von seinen Jüngern nach Irland gesendet, um der Miß H. in Cork von den Fortschritten der Mission Kenntniß zu geben und sie um weitere Geldhülfe anzusprechen. Diese trafen ihn nach ihrer Rückkehr in Offenbach, wo er bis dahin in harter Bedrängniß gelebt. Zwar hatte er dort im Jahre 1822 unter dem staatsklugen Großherzog Ludwig dem Ersten von Hessen und bei Rhein Aufnahme gefunden, da er sich hier in seinem engeren Vaterland Hessen, wozu sein Geburtsort Kostheim gehört, befand, allein die Verfolgung der bairischen Regierung erstreckte sich auch bis nach Hessen und auf Requisition derselben erhielt Proli sogar von der darmstädtischen Regierung Hausarrest. Es muß jedoch eine mächtige Verwendung am darmstädter Hofe stattgefunden haben, da er bald wieder in Freiheit gesetzt wurde und sogar das Bürgerrecht in Offenbach erhielt. Von wem diese Protection ausging, ist ein Geheimniß geblieben. Kaum war Proli im Besitz der irischen Geldsumme, als er auch sofort Anstalt machte, eine bleibende Niederlassung in Offenbach zu gründen. Für diesen Zweck kaufte er den neben der Bibelsmühle gelegenen Metzler’schen Blumen- und Pflanzgarten ganz nahe bei Offenbach, erwarb viele umliegende Aecker und Wiesen, verwandelte solche in einen prächtigen Park, erbaute ein Landhaus mit eleganter Einrichtung, im vorderen Theil des Parks eine Grotte mit Bad, und wo der Park in das freie Feld hinausreicht, einen Gartensaal, der, wie man im Volke sagen hörte, zu den irischen verschlungenen Tänzen im Paradiesesstand bestimmt gewesen sein soll.

Mancher, der Abends auf der Chaussee von Offenbach nach Frankfurt an dem Park Proli’s vorüberging und durch die Baumgruppen eine Menge Lichter aus dem Landhause schimmern sah, der mußte um so mehr an einen Feensitz glauben, als ein tiefes Geheimniß die Umgebung verschleierte. Auch hier hatte er seine Hauscapelle, worin er als Prophet auftrat und viele politische Veränderungen, wie die Entthronung Karl’s des Zehnten von Frankreich, die Julirevolution von 1830, die Bewegungen der Völker gegen ihre Fürsten, die Cholera und den Aufstand in Polen, Ueberschwemmungen, Theurung und andere Naturereignisse, voraussagte, weshalb er als Orakel für seine Gläubigen galt.

In seiner Lebensweise berührten sich die seltsamsten Extreme: ein geheimes, welches den strengsten Ordensregeln in gewissen Richtungen unterlag, und ein sichtbares, welches der Außenwelt sogar frivol erschien. Denn in seinem Cabinet hielt er abgeschlossen seine Offenbarungsstunden, lag auf den Knieen, kasteite sich, litt Hunger Tage lang, rang im Gebete, erwartete die Strahlen des Urlichtes aus der Höhe und wollte mit solchen Kasteiungen, nach dem Beispiele Jesu, Gott mit den Menschen versöhnen, Gottes Zorn von der Welt abwenden, ein Mittler zur Erlösung sein und überhaupt der Gerechtigkeit Gottes genug thun. Nach tagelangem Fasten und Ringen aß er nur Milch- und Wassersuppe, während seine Dienerschaft Ueberfluß hatte. Von diesen geheimen Offenbarungsstunden durfte Niemand wissen, der nicht geweiht war; hier fand sein Umgang mit Gott statt, hier fragte er ihn und hörte ihn antworten. Wenn er dagegen in Gesellschaft bei Tische war, aß und trank, lachte und scherzte er wie alle anderen Menschenkinder und gab keinerlei Merkmale seiner geglaubten überirdischen Mission zu erkennen.

Nachdem Proli etwa ein Jahr in Offenbach sich angesiedelt hatte, gelang es ihm, Proselyten zu finden. Zu den ersten zählt Johann Georg Göntgen, Doctor der Theologie und Philosophie, ein Pfarrerssohn aus Frankfurt, ein Mann von wissenschaftlicher Bildung, eine Zeit lang der freisinnigen Richtung zugethan und jetzt zur mystischen Tiefe Proli’s bekehrt. Man hat sich wundern müssen, wie ein Mann von Intelligenz seine angesehene Stellung als Oberbibliothekar an der Stadtbibliothek zu Frankfurt aufgeben und der buntfarbigen Seifenblase des tausendjährigen Reiches nacheilen konnte. Uebrigens hat er als ein sittlicher Charakter gegolten. Er wurde des Propheten Geheimsecretär und nahm zur Unterscheidung von der profanen Welt den geheimen Ordensnamen Samuel a sancta Sion, Archidiakonus des himmlischen Reiches, an, wie er auch auf seinen Erlassen unterzeichnete. Merkwürdig ist es, daß dieser Dr. Göntgen seinem Meister und Propheten Proli das Zeugniß ausgestellt hat: „Seit den Propheten des alten Bundes und mit Einschluß der Kirchenväter habe noch nie ein sterblicher Mensch eine so übernatürliche Sehergabe und einen solchen Schatz von Erkenntnissen Gottes und der Natur gehabt, als Proli.“ Gewiß ist, daß durch den Beitritt dieses Mannes und seiner Familie und Verwandtschaft Proli’s Sache an Ansehen sehr viel gewann. Auch wurde eine hohe Persönlichkeit am darmstädter Hofe als Protector der Proli’schen Gesellschaft genannt. Die Zahl der Mitglieder derselben mochte einschließlich der Frauen über fünfzig Personen betragen haben, ungerechnet die Dienerschaft, welche indessen weder zahlreich noch glänzend war, weil Proli darauf keinen Werth legte.

Während seines neunjährigen Aufenthaltes in Offenbach gab

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_344.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)