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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Hausarrest, während die Priesterinnen des Hauses über die Gefangenschaft Juda’s durch die gottlosen Hände Babels wehklagten.

In dieser kritischen Sachlage muß wieder eine hohe und einflußreiche Vermittelung stattgefunden haben, weil die gerichtliche Untersuchung stecken blieb, Dr. Göntgen seiner Haft entlassen wurde und nur den Befehl erhielt, als ein Ausländer das Land zu räumen, obschon ihm bald nachher gestattet wurde, wieder seinen Aufenthalt in Offenbach zu nehmen. Proli aber behielt Hauswache, angeblich auf sein eigenes Verlangen, um vor den Armen geschützt zu sein, denen er nichts mehr geben könne. Proli’s Entschluß, nach Amerika auszuwandern, soll den Grund abgegeben haben, den Staatsproceß niederzuschlagen.

Daß Proli mehr als ein listiger Betrüger, daß er ein wirklicher Schwärmer war, beweist seine Kühnheit, womit er Alles that und Alles wagte, um sein Bundesideal zu verwirklichen. Dem entsprach auch sein Aeußeres. Er war groß und schön von Gestalt, mit starkem blondem Haupthaare, das in reichen Naturlocken bis auf die Schultern herabfiel, mit einem langen blonden Vollbart, frischen Colorit des Angesichts und dunkelblitzenden Augen. Den Hals trug er entblößt und einen Rock von schwarzer Farbe, oben am Halse ausgeschnitten, der mit den Röcken der Jesuiten einige Aehnlichkeit hatte. In Haltung und Sprache hatte er etwas Gewinnendes. Leute und besonders Damen, die Proli’s lockenumwalltes Haupt gesehen, haben gemeint, einen Christuskopf zu erblicken.

Als die bewaffnete Macht in Offenbach gegen Proli vorgeschritten war, mußte an die Auswanderung ernstlich gedacht werden. Es wurde deshalb ein Mitglied des himmlischen Reiches nach Bremen geschickt, um dort ein Fahrzeug zur Ueberfahrt nach Amerika („Isabella“) als Eigenthum zu erwerben. Die darmstädtische Regierung gestattete aber noch Zeit genug, um die Vorbereitungen zu treffen. Erst Mitte des Jahres 1831 verkaufte Proli sein Landgut mit einem Verlust von einhundertsechsunddreißigtausend Gulden (es befindet sich jetzt im Besitz des Rentiers du Fay von Frankfurt) und zu Anfang des Monats Juli war die himmlische Gesellschaft reisefertig. Noch am Tage vor seiner Abreise übersendete Proli zweitausend Thaler der Stadtcasse zur Unterstützung der Armen, die über den Verlust ihres Wohlthäters laute Klagen führten. Mit sechsundvierzig Köpfen langte er in Bremen an und reiste von da am 17. Juli 1831 auf der „Isabella“ ab. Die Fahrt ging glücklich von Statten und währte fünfzig Tage.

Schon tauchte in nebelgrauer Ferne die Landzunge von New-York aus den Wogen des atlantischen Oceans empor, da wurde auf dem Schiffe das Schauspiel eines Huldigungsactes aufgeführt. Die Gesellschaft war auf das Verdeck zusammen berufen und Proli prächtiger als jemals gekleidet und mit goldenen Ketten behangen, als Dr. Göntgen mit einer Urkunde in der Hand vortrat und der gläubigen Heerde ankündigte, daß der anwesende Herr Proli, welcher seither in der Niedrigkeit gelebt, von sehr hoher Geburt sei und sich vorläufig den Namen Maximilian Graf von Leon beigelegt habe, daß das neben ihm stehende Fräulein Häusser, welche schon seit sechs Jahren ihm angetraut sei (wahrscheinlich nach den Formen des himmlischen Reiches ohne kirchliche Trauung, die in Proli’s Augen unwirksam war), zu gleichen Ehren und Würden als Gräfin Leon erhoben würde und daß die Gesellschaft dem hohen Paare ihre Huldigung darzubringen habe. Zu gleicher Zeit wurden auch die Hofchargen zur Verherrlichung des hohen Paares vergeben: Dr. Göntgen, Proli’s Schwager, wurde Conferenzminister, nachdem er seither Cabinetssecretär gewesen; Zickwolf geheimer Finanzrath und Obercassendirector; Häusser (wahrscheinlich Proli’s Schwiegervater) wurde Oekonomierath; Nettelroth (ein Ladendiener) wurde Oberhofmeister; Boson (dessen Stand und Herkunft wir nicht genauer kennen) wurde Haushofmeister; Kahl (ein Bäckerssohn von Darmstadt) erhielt den Titel Consul; Blankenstein (Gärtner bei Proli) wurde zum Domänen-Verwalter erhoben, dessen Sohn zum Secretär und dessen Tochter zum Hoffräulein und zur Gouvernante ernannt. Ein gewisser Erbs wurde zum Leibkammerdiener befördert etc.

Am 3. September 1831, als kaum der erste Morgenstrahl den Osten röthete, landete die „Isabella“ im Hafen von New-York und der neue gräfliche Hof betrat das Land. Es erging nun ein umfangreiches Schreiben an Rapp’s Harmonie zu Economy ab, welches mit den Worten beginnt:

„Friede, Heil und Segen von der Dreieinigkeit Gottes werde dem alten Patriarchen Georg Rapp und seiner gläubigen Gesellschaft in Jesus Christus auf ewige Zeiten zu Theil!

Im Namen und Auftrag Seiner königlichen Hoheit des Erzherzogs Maximilian von Este,[WS 1] als Gesalbten Gottes vom Stamme Juda und von der Wurzel David, welcher Euch im Jahre 1829 (am 14. Juli, siehe oben) durch den Unterzeichneten die Rückkunft Christi zum Gericht und zur Bereitung des Reiches Gottes verkündigte, als der Grund zur Philadelphier Kirche in Nordamerika gelegt wurde, gebe ich Euch hiermit zur Nachricht, daß er nun persönlich und zuerst incognito unter dem Namen Graf Leon den Boden der Vereinigten Staaten berührt hat, etc.“

In dieser Epistel werden die Reiseeffecten erwähnt, welche die Proli’sche Gesellschaft mitbringe, bestehend aus mathematischen und physikalischen Instrumenten und einer beträchtlichen Bibliothek aus allen Fächern der Literatur, sowie auch zwischen den Zeilen zu erkennen ist, daß sie im Besitze großer Geldmittel sei. Sie schließt mit der Bitte um Ueberlassung so vieler Wohnungen und Localitäten, als zur Beherbergung der hohen Gesellschaft nöthig sei.

Acht Tage später, am 19. September, setzte sich die Proli’sche Gesellschaft in Bewegung und reiste über Albany, Buffalo und Erie nach Pittsburg, von wo die Landreise nach Economy geht. Viele Bewohner dieser Städte, welche durch Zeitungsnachrichten hiervon in Kenntniß gesetzt waren, brannten vor Begierde den Mann zu sehen, der von so hohem Range sei, angeblich über sechs Millionen spanische Thaler im Besitze hätte und das himmlische Reich der Herrlichkeit bringe. Allein Proli vermied es, sich öffentlich sehen zu lassen. In Pittsburg angekommen, wurde der Conferenzrath Dr. Göntgen sammt dem Oberhofmeister Baron Nettelroth (Ladendiener) nach Economy vorausgeschickt, um die Ankunft des gräflichen Hofes vorzubereiten. Der alte Patriarch Rapp, der ebenfalls nicht frei von Schwärmerei war, hatte den Glauben, daß Graf Leon ein Prophet sei, dem der Engel die sieben goldenen Leuchter, welche er Johanni gezeigt, anvertraut habe und daß derselbe bei seinem hohen Range auch ein kolossales Vermögen in die Colonie bringe. Dies war der Grund, warum er zur Aufnahme des gräflichen Hofes sich sehr bereitwillig zeigte.

Im October 1831 kam die Gesellschaft auf zahlreichen Wagen in Economy an und wurde auf Rapp’s Veranstaltung mit Pauken, Trompeten, Hörnern und Zwerchpfeifen, sowie durch aufgestellte Kinder mit Blumenkränzen und Vivatrufen an der Grenze der Colonie empfangen und nach Economy geleitet, wo sie zuerst in Rapp’s Castell prächtig bewirthet wurde und dann die für sie bestimmten Wohnungen bezog. Der nächste Sonntag war zu einer kirchlichen Feier für die eingesiedelte Gesellschaft bestimmt. Für den Zug in die Kirche hatte Graf Leon Alles aufgeboten, um einen nach seiner Ansicht imponirenden Eindruck zu machen, bewirkte aber damit, wie mit seiner Prophetenrede nur das Gegentheil und gab den einfachen Harmonisten den ersten Anlaß zum Mißtrauen. Dieses Mißtrauen wuchs in dem Maße, als man wahrnahm, daß die eingewanderte Gesellschaft jene Geldmittel nicht besaß, welche man vorausgesetzt hatte. Da die Proli’sche Gesellschaft nicht an Arbeit, sondern an Lebensgenuß gewöhnt war, so befürchtete man sich eine schwere Last aufgeladen zu haben. Das empfand der alte Rapp am tiefsten. Denn seine Colonie bestand aus etwa achthundert Gliedern und war nach philadelphischen Grundsätzen so eingerichtet, daß sie eine große Familie bildete, die ihren Centralpunkt in dem Patriarchen Rapp hatte. Jedes Glied dieser Colonistenfamilie mußte für die Gesammtheit arbeiten und aus dem Gesammtvermögen erhielt jedes seinen Unterhalt. Die Harmonisten waren in allen Stücken gänzlich von ihm abhängig, weil er während seiner achtundzwanzigjährigen Bewirthschaftung der Colonie einen Schatz von fünf Millionen Dollars aufgehäuft hatte, den er für sein Eigenthum ansah, obschon derselbe aus den Arbeiten der Harmonisten zusammengebracht war.

So waren Rapp und Proli ganz verschiedene Charaktere, die sich unmöglich vertragen konnten. Rapp war Egoist von der starrsten Consequenz; Proli Socialist in der weitesten Bedeutung. Rapp forderte blinde Unterwürfigkeit und angestrengte Arbeitsamkeit für das gemeine Beste, das freilich ihm zu gute kam; Proli verhieß Wohlsein, Vergnügen, Freiheit. Nur in dem einen Stück trafen sie zusammen, daß Beide sich zum Herrschen berufen glaubten: Rapp durch einfache Befehle; Proli durch den Glauben an seine göttliche Mission; Rapp durch Androhung barbarischer Strafen;

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Erzherzog Maximilian Joseph von Österreich-Este (1782–1863); österreichischer Fachmann für Artillerie und Festungswesen und Hochmeister des Deutschen Ordens
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_346.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)