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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

wäre, und es wird versichert, daß es nicht an dem Wunsche der hohen Dame gelegen hat, wenn dies nicht der Fall war. Ihr Gemahl wollte positiv, daß sie zur Bestärkung der Hoffnung, der gegenwärtige Zustand sei nicht von Bestand, im Lande verbleibe. Königin Marie begab sich mit ihrem Hofstaat, gegen achtzig Personen, unter denen sich zwei Prinzen Solms und der frühere hannoversche Gesandte in Berlin, Geheimrath von Stockhausen, befanden, nach der Marienburg, deren Geschichte ich jetzt kurz mittheile, indem ich sie an eine Charakterskizze ihrer erlauchten Burgfrau anschließe.

Die Königin Marie Alexandrine, eine Tochter des Herzogs Joseph von Altenburg, ist seit einigen zwanzig Jahren mit dem König Georg vermählt, dem sie, jetzt neunundvierzig Jahre alt, an Alter um ein Jahr voraus ist. Etwas über mittelgroß, ziemlich voll, von blasser Farbe, zeigt sie zwar fürstlichen Anstand, kann aber jetzt nicht mehr als schön gelten. Sich in politische Dinge zu mischen, hat sie niemals irgendwelche Neigung empfunden, eher wohl in kirchliche; denn sie gilt für eine ungemein fromme und stark in den Vorstellungen moderner Rechtgläubigkeit befangene Dame. Sonst gehört zu ihrer Charakteristik, daß sie den Werth des Geldes nicht zu kennen scheint und daß sie infolge dessen einerseits gegen Andere, aber andererseits auch gegen die eigenen Wünsche eine fast grenzenlose Freigebigkeit an den Tag legte. Vor ihrer Vermählung an die bekannte Einfachheit des Altenburger Hofes gewöhnt, hat sie später als Königin keine Gelegenheit versäumt, einen außerordentlichen Luxus zu entfalten. So suchte sie vor Allem auch sich eine passende, ihrer Würde entsprechende Sommerresidenz herzustellen. Der Wunsch der Königin war Befehl, und man ging rasch ans Werk, entdeckte an den Ufern der Leine einen Bergabhang, der passend schien für den beabsichtigten Bau und wo der letztere vom Eisenbahn-Knotenpunkte Nordstemmen nur eine Viertelstunde Weges entfernt war, und fand in dem talentvollen Baurath Hase auch einen Künstler, der sich der Aufgabe, eine Burg in echt mittelalterlichem Stile herzustellen, gewachsen zeigte.

Gewisse Uebelstände, z. B. der Mangel an sonstigem Grundeigenthum in der unmittelbaren Umgebung und die Nähe von mehreren Kalkbrennereien mit ihrem Qualm, von denen eine hart am Fuße des Schloßberges liegt, wurden übersehen und das Unternehmen begonnen. Hase trat, als es etwa halb vollendet war, zurück, wohl weil er nicht zu dem Major Witte paßte, der ihm als Schloßhauptmann mit guten Diäten beigeordnet war. Der Bau verschlang große Summen und rückte nur langsam vorwärts. Ein Gerücht ging, die Bauverwaltung verwende einen sehr beträchtlichen Theil der von ihr berechneten Gelder in den eignen Nutzen. Das Gerücht trat zuletzt so bestimmt auf, daß eine Untersuchung verhängt werden mußte. Dieselbe richtete sich gegen den Schloßhauptmann und dessen Verwalter Behrends, und letzterer, vor die bürgerlichen Gerichte gestellt, wurde schuldig befunden, Arbeiter, die für den Burgbau in Dienst genommen worden, statt für diesen zu Arbeiten auf dem Witte’schen Gute Hoyersum verwendet zu haben, und wegen solcher Veruntreuung mit Arbeits- oder Zuchthaus bestraft. Witte selbst wurde vor ein Militärgericht verwiesen und saß eine Zeit lang im Officiersgewahrsam, ehe jenes aber einen Spruch fällen konnte, brach die Junikatastrophe des vorigen Jahres herein. Mit ihr hörte die Eigenschaft Witte’s als hannoverscher Militär auf, und derselbe sieht gegenwärtig seiner Aburtheilung durch das gewöhnliche Schwurgericht entgegen. Die Sache zählt zu den stärksten der vielen Scandalgeschichten, mit denen unter dem Exkönig die neueste Geschichte Hannovers bereichert worden ist.

Nach Witte wurde der Baurath Oppler mit der Vollendung der Marienburg betraut, derselbe Architekt, der die Synagogen in Hannover und Breslau baut und der es verstanden, sich namentlich durch den vielvermögenden Prinzen Solms bei Hofe angenehm zu machen. Derselbe hatte an dem bisher Geleisteten allerlei auszusetzen. Die Thürme mußten geändert werden, die innere Ausschmückung, die Möbeln sollten dem äußern Charakter des Schlosses nicht entsprechen, und die Königin ließ sich überzeugen, obwohl die gründliche Umgestaltung des ganzen Innern, die Neubeschaffung der Tapeten, die eichenen Tische, Stühle und Schränke, die zum Verdruß der hannoverschen Zunftmeister von Berlin verschrieben wurden, wieder sehr erhebliche, ja kaum glaubliche Summen in Anspruch nahmen und die Vollendung des Ganzen von Neuem um Monate verzögerten, zumal ein Sturm noch ein Uebriges that, indem er dem einen Eckthurm des Gebäudecomplexes das Dach abriß.

Seitdem die Königin die Marienburg bezogen, galt letztere als der Heerd der antipreußischen Agitationen, die vor, während und nach den Parlamentswahlen unsre Polizei in Athem hielten. Mit wie vielem Recht sie dafür angesehen wurde, bin ich zu sagen außer Stande. Jedenfalls war sie ein Sammelpunkt und Wallfahrtsort der über die Einverleibung Trauernden. Alle Wochen berichteten die Zeitungen, daß solche Getreue, adelig und bürgerlich, dort ihre Aufwartung gemacht, um durch Ueberreichung von Teppichen, Albums, Adressen und dergleichen zu demonstriren. Daß der hier sitzende Hofadel den Bestrebungen für die Welfen, die besonders im Calenberg’schen statt fanden, der Verbreitung von Proclamationen aus Hietzing, der Berichterstattung dahin und andern Ränken durchaus fremd gewesen, will auch nicht einleuchten, und daß der eine der Prinzen Solms, der hier Hof halten half, blos um die Landluft zu genießen und den religiösen Tendenzen der Königin zu dienen, hier geblieben sein sollte, ist womöglich noch unwahrscheinlicher. Der junge Herr, einer der zahlreichen Solmse, die „ihre Beine unter Vetter Georg’s Tisch steckten“ und die der Volkswitz früher als „acht um den König“ bezeichnete, galt in der Blüthenzeit des Welfenthums als intimster Berather des König und Manchem neben Wermuth als dessen böser Genius.

Wie dem aber auch sei, die Preußen fanden Veranlassung, die Marienburg allmählich genauer ins Auge zu fassen und den bis dahin ungehinderten Verkehr der Insassen des Schlosses mit Wien und der Provinz Hannover in gewissem Maße zu beschränken. Die Verhaftung des Majors von Klenck, der zwischen hier und Hietzing Postenträgerdienste leistete, „vor den Fenstern der Marienburg“ ist bekannt, die Wegbringung des Geheimraths von Stockhausen aus derselben nach Minden ebenfalls. Der Prinz Solms wurde, weil er sich noch als hannoverscher Officier gerirte, ausgewiesen. Verdächtige Besuche, wie der des Herrn von Hake auf Ohr, eines der eifrigsten Agitatoren für welfische Zwecke unter den calenberger Bauern und Kleinstädtern, fanden keine Zulassung mehr.

Zuletzt überbrachte der preußische Major von Loucadou der Königin ein Schreiben des Königs Wilhelm, in welchem derselben – selbstverständlich in den zartesten Ausdrücken, – die Wahl gelassen wurde, entweder die Marienburg und das Land zu räumen oder sich gefallen zu lassen, als Gast des Königs von Preußen betrachtet zu werden, das heißt, einen preußischen Hofstaat anzunehmen. Die Königin sandte darauf ihren Kammerherrn, den Grafen Linsingen, an ihren Gemahl, wie es heißt, um dringend zu bitten, daß man sie durch die Erlaubniß abzureisen aus ihrer peinlichen Lage befreie. Mit welcher Antwort derselbe zurückgekehrt, ist bis jetzt nicht zu sehen. Ist es, wie versichert wird, eine abschlägliche, so wird sie vielleicht die Anwesenheit des Vaters der Königin, der am 12. Juni mit der Prinzeß Therese auf der Marienburg eintraf, ausgleichen und die Sache zu einer Lösung im Sinne verständiger Würdigung der Verhältnisse führen, nach welcher eine entthronte Königin unmöglich in dem Lande, das ihr einst gehuldigt, verbleiben kann, zumal wenn ihr Gemahl sich noch als dessen Souverän und als mit dem neuen König desselben im Kriege befindlich betrachtet.

Dies in Kurzem die Geschichte der Marienburg, und nun einen Ausflug, den ich in der zweiten Woche des Juni nach derselben machte und trotz der siebenunddreißig Gensd’armen und vierhundert Soldaten, mit denen die erste Nummer der mit welfischem Gelde in Paris gegründeten „Situation“ die Burg von den bösen Preußen umstellt sein läßt, ohne Nebelkappe, blos mit einem Retourbillet nach Nordstemmen für sechszehn Silbergroschen bewaffnet, glücklich ausführte.

Die Marienburg liegt etwa dritthalb Meilen südlich von Hannover, eine Strecke, die man mit der Eisenbahn nach Hildesheim und Cassel in einer reichlichen halben Stunde zurücklegt. Mit dem Nachmittagszuge fuhr ich mit einem Freunde aus Hannover ab. Rasch wechselten im Fenster des Waggons rechts und links die Bilder der Landschaft, der schöne Baumschlag der Eilenriede, die grünen Saatfelder und die rothen Dörfer des Leinethals und der Ebene, die weiter nördlich in die Haide übergeht, das Städtchen Sarstedt, endlich die bewaldeten Hildesheimer Berge im Rahmen des linken und die hohe, dunkelblaue Mauer des Deister

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_422.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)