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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

für das Volkswohl, und die besten Erzeugnisse seines scharfen Verstandes und bedeutenden Wissens hatten unter der falschen Berechnung seines Vertrauens auf Volk oder Partei zu leiden.

Wie dies die Würdigung seines Verdienstes in unseren Augen nicht beeinträchtigen kann, ebenso müssen wir dem Vorwurf entgegentreten, daß sein Streben oft zu weit über die Grenzen seines Berufs hinausgegangen sei. Das gewöhnliche Urtheil hängt zu ängstlich am äußeren Beruf, dessen Grenzen der persönliche Vortheil zieht; der innere Beruf, den Roßmäßler sich selbst erwählt, hatte so weite Grenzen, daß Vieles, was innerhalb derselben auf seiner berechtigten Stätte stand, Uneingeweihten als Zeugniß einer zersplitterten Thätigkeit erscheinen konnte. Gerade deshalb ist ein Grenzgang um Roßmäßler’s inneres Berufsgebiet eine Aufgabe, die wir dem Manne und dem Freunde, dem Schriftsteller und Patrioten, dem Gelehrten und dem Volkslehrer, dem Bürger und Familienvater – all’ deren Pflichten für ihn auf einem Blatte standen – schuldig sind.

Dieser Roßmäßler’sche „Beruf“ hat seine eigene Geschichte, die seinen Lebensgang vor dem vieler anderer Gelehrten seines Fachs auszeichnet. Bis zu seinem dreiundvierzigsten Jahre (1849) erscheint uns heute sein ganzes Dasein als Vorbereitung für die folgenden achtzehn Jahre seiner wahren Berufserfüllung. Bis dahin war er vor Allem fachgelehrter Lehrer, Schriftsteller und Forscher; seine Verbindung mit dem Bürgerthum fand rein auf politischem Wege statt, indem der noch junge Professor in Tharandt, der berühmten sächsischen forst- und landwirthschaftlichen Akademie, wohin derselbe in dem allgemeinen Bewegungsjahr 1830 gekommen war, von ein paar ebenfalls jungen Rechtsgelehrten für die damals sehr rührige sächsische Opposition gewonnen und sogar zu deren erstem Constitutionsfestredner erwählt worden war. Vorher, um dies hier kurz zu erwähnen, hatte Roßmäßler, nach Beendigung seiner Leipziger theologischen Studien, dritthalb Jahre als Lehrer an einer Privatschule im weimarischen Städtchen Weida zugebracht und sich dann ausschließlich und rein autodidaktisch dem damals noch sehr mangelhaften Ausbau seiner naturwissenschaftlichen Kenntnisse ergeben. Mochte auch der junge Naturforscher in Weida den Unterricht in der Naturkunde mit Vorliebe betreiben, so lag ihm doch da wie später in Tharandt der Gedanke noch fern, die Naturkunde zu einem Haupttheil des allgemeinen Volksunterricht zu erheben. Dagegen stand er auf politischem Boden schon damals fest auf der Linken und bewies den Entschluß, nichts Halbes in seinem Leben und Streben zu dulden, auch auf dem Gebiete des Glaubens, indem er im Jahre 1846 mit seiner Familie sich der deutsch-katholischen Religionsgesellschaft anschloß, weil er „einer Kirche, von der er innerlich längst abgefallen war, auch äußerlich nicht mehr angehören wollte“.

Seine schriftstellerischen Leistungen hielten sich noch streng an seine Fachgebiete und seinen akademischen Beruf. Seine „Systematische Uebersicht des Thierreichs“ und sein Werkchen über die „Forstinsecten“ sind Lehrbücher; seine „Ikonographie der europäischen Land- und Süßwasser-Mollusken“ ist ein gelehrtes Forscherwerk, das ihn zu einer Autorität in der Zunft stempelte; selbst Werke, die für den Dienst praktischer Benutzung bestimmt waren, wie seine Schrift über den „Fichtenrüsselkäfer“ und „Das Wichtigste vom innern Bau und Leben der Gewächse, für den praktischen Landwirth faßlich dargestellt“, trugen noch nicht den Charakter der Volksthümlichkeit.

Da kamen die Tage der Krisis: das Jahr 1848 mit dem Frankfurter Reichstag. Roßmäßler betrat als Vertreter des zweiundzwanzigsten sächsischen Wahlbezirks die Paulskirche. Errang er sich auch unter den Rednern des Parlaments keine hervorragende Bedeutung, so wurde seine Thätigkeit in den Ausschüssen um so mehr in Anspruch genommen und zwar hauptsächlich in der Abtheilung für die Volksschule.

Mehr als die Sitzungen des Parlaments waren die dieser Ausschüsse für ihn selbst zur Schule eines neuen Strebens geworden. Während in der Paulskirche der täglich verbittertere Parteikampf der Reaction in die Hände arbeitete, hatte Roßmäßler einen Zustand der Volksschule im Allgemeinen kennen gelernt, der ihm, als mit der gewaltsamen Aufhebung des Rumpfparlaments in Stuttgart (18. Juni 1849) der Sieg der Reaction vollendet war, die Ueberzeugung aufdrängte, daß, um dem Volke die Freiheit zu sichern, ihm erst die Wege der Bildung gesäubert und gesichert werden müßten. Und er stand mit dieser Erfahrung nicht allein. Derselbe geistige Proceß – so erzählt Roßmäßler’s späterer Strebegenosse Otto Ule in „Die Natur“ – vollzog sich an Vielen, die an jenen Kämpfen, wie er, aus reiner Begeisterung für die edelsten und höchsten Ideen Theil genommen. Sie hatten es erfahren, sagt er, daß der Tempel der Freiheit sich nicht in die Luft bauen läßt, daß er einer sicheren Grundlage bedarf, und sie erkannten, daß die Bildung diese Grundlage sei und daß nichts diese Bildung sicherer zu gewähren vermöge, als die Naturwissenschaft. So regte sich gleichzeitig weitverbreitet das Streben, naturwissenschaftliche Aufklärung über das Volk zu verbreiten, freiere, geistigere Weltanschauung zu begründen, und diesem Streben kam unbewußt das Volk mit seinem Verlangen nach naturwissenschaftlicher Belehrung entgegen. Soweit Ule. Wenn aber die Sorge für diese Belehrung Andere nur zu einer Erweiterung ihrer Thätigkeit veranlaßte, so erfüllte sie dagegen unsern Roßmäßler so ganz und gar, daß er mit aller Entschiedenheit seines Wesens sich selbst zum naturwissenschaftlichen Volkslehrer der Deutschen ernannte und diesem selbstgewählten Beruf treu blieb bis an sein Ende.

Aeußere Umstände bestärkten ihn in diesem Entschluß. Weil er, als die sächsische Regierung die Parlamentsmitglieder Sachsens von Frankfurt abberief, nicht diesem Ruf, sondern dem Rumpfparlament nach Stuttgart gefolgt war, verhängte man über ihn einen Proceß, nach dessen für ihn günstigem Ausgang gleichwohl der akademische Lehrstuhl ihm entzogen wurde und nur eine kleine Pension ihm verblieb.

Vollkommen frei und nun Herr seiner vollen Zeit, begann Roßmäßler die neue Laufbahn in dem ihm so lieb und werth gewordenen Schwabenlande, und zwar verband er fortan die beiden Mittheilungsweisen des lebendigen, unmittelbar wirkenden Wortes und der weitertragenden Schrift. In dem gastfreundlichen Ludwigsburg, seinem Asyl nach der Stuttgarter Parlamentssprengung, begann er zunächst die Abfassung des Buches, das in der That als Programm für alle seine späteren populär-naturwissenschaftlichen Werke gelten kann, seines Lieblingswerkes: „Der Mensch im Spiegel der Natur“, welches er von 1849 bis 1852 in fünf Bändchen vollendet hat. Es bietet eine novellistische Einführung in die Elemente der Naturwissenschaft und damit zugleich die Gelegenheit, „über das Treiben der Menschen in Staat und Kirche, in Gemeinde und Werkstatt den Alles durchdringenden Hauch der natürlichen Weltanschauung auszugießen.“ Als „naturwissenschaftlicher Reiseprediger“, wie er sein neues Volksamt selbst bezeichnete, trat Roßmäßler zum ersten Male am 29. December 1849 in Frankfurt auf, wo er „über den Zustand der Naturwissenschaft und die Bedeutung derselben für wahre Menschenbildung“ sprach.

Die öffentlichen Vorlesungen fanden ganz außerordentlichen Anklang. Zum ersten Male erhielt das Volk – wie Brehm dies in „Roßmäßler’s Ehre[1] so schön hingestellt – von einem Naturgelehrten auf seine deutsche Frage keine lateinische Antwort. Ja, dieser ehemalige Professor machte sogar die heiligen Geheimnisse der Naturkunde, namentlich der Geologie, zu einer Art öffentlichen Schaustücks, indem er zur Erleichterung der Auffassung durch Anschauung seinen Vorlesungen mit kolossalen, zum Theil transparenten Wandtafeln zu Hülfe kam. Als Sohn eines namhaften Kupferstechers war er selbst ein geschickter Zeichner und Lithograph, der die Illustrationen zu seinen Werken, namentlich der Ikonographie, selbst ausführte oder so sach- und fachkundig leitete, daß auch die Holzschnitte zu seinen späteren, zum Theil prachtvoll ausgestaltenen Schriften zu den vorzüglichsten ihrer Art gehören.

So argwöhnisch war aber die Reaction geworden und in so scharfem Contrast erschienen die Gesetze der Natur, wie Roßmäßler sie, obwohl jede politische und religiöse Anspielung sorgfältig vermeidend, doch offen und rückhaltslos entwickelte, mit den Einrichtungen und Geboten des Staats und der Kirche, daß beide ihren hemmenden Arm ihm bald genug fühlen ließen. Nachdem er in

  1. Die schon in Nr. 32 der Gartenlaube von uns empfohlene, mit dem Bildniß Roßmäßler’s illustrirte Gedächtnißschrift (Leipzig, Robert Friese). Da für Naturforscher und Volksschriftsteller keine „Schillerstiftung“ besteht, um für deren Hinterbliebene zu sorgen, so hat sich ein „Roßmäßler-Comité“ in Leipzig gebildet, welches durch diese Schrift die Verehrer und Freunde unseres Todten an ihre Dankespflicht mahnen und ihnen Gelegenheit geben will, durch Ankauf des Werkchens eine Unterstützungssumme für Roßmäßler’s Hinterbliebene aufzubringen, ohne daß auch an den Namen dieses Mannes sich der Klagelaut einer öffentlichen Bitte hängen müsse. Wir legen unseren Lesern dieses Unternehmen noch einmal ans Herz.
    D. R.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_630.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)