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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Es thäte Noth, daß man noch ein neues Schloß, doppelt so groß wie das alte, und noch einen neuen Marstall baute,“ erwiderte Wilhelm, „für all das gierige Hofvolk, das freie Wohnung und Pferdefutter verlangt!“

„Ich muß gehen und meinen Rapport abliefern,“ bemerkte der Lieutenant, „gehab’ Dich wohl, Wilhelm, und sei guten Muthes.“

Der Officier ging in’s Schloß und wandte sich hier den der Generaladjutantur eingeräumten Bureaux zu, wo er einen Rapport abzugeben und eine Meldung zu machen hatte. Als er das Schloß wieder verlassen wollte und, auf der Portalschwelle stehen bleibend, seinen Mantel eben dichter um sich schlug, um in das Wetter draußen hineinzuschreiten, fühlte er eine Hand leise, beinahe wie zitternd, sich auf seine Achsel legen; er blickte um und sah im Schein der zwei auf der Rampe flammenden und im Winde hin und her flackernden Lichter in das Gesicht eines ältlichen Mannes, der aus großen Augen mit einem eigenthümlichen Blicke zu ihm aufschaute, fast wie hülfeflehend, wie ganz namenlos geängstigt, in dessen bleichen Zügen etwas unheimlich Gespanntes lag und dessen zitternde Stimme doch mit einer solchen Unbefangenheit und Heiterkeit „Guten Abend, mein lieber Herr Mensing!“ sprach, daß Niemandem das Gezwungene des Tones hätte entgehen können; ein Kind hätte es wahrgenommen, wie sehr sich dieser Mann Gewalt anthat, um so unbefangen zu sprechen.

„Ah, Sie sind es! … Guten Abend, Herr Inspector,“ antwortete der Officier dem Manne, der sehr elegant in Frack, kurze, seidene Beinkleider und seidene Stümpfe gekleidet war, die dargestreckte, aus glänzend weißen Manschetten hervorragende Hand schüttelnd … „aber um Himmelswillen, wie sehen Sie denn aus, Sie blicken mich ja an, als ob Sie einen Geist sähen, lieber Steitz … sind Sie nicht wohl?“

„Wohl? gewiß sehr wohl; weshalb meinen Sie, ich wäre nicht wohl? ich befinde mich à merveille, lieber Freund…“

Der blasse und jetzt plötzlich scheu um sich blickende ältliche Herr rief dies mit einem auffallenden Eifer und einem erzwungenen Lachen aus, daß es unheimlich anzuhören war.

„Hören Sie, lieber Steitz,“ sagte der Lieutenant, seinen Arm unter den des Inspectors schiebend, „gehen Sie in Ihre Wohnung zurück?“

„Das wollte ich eben … wollen Sie mich begleiten?“

„Wenn Sie’s erlauben, ja; wir sind alte Freunde, denk’ ich, oder besser, Sie sind immer voll Freundlichkeit und Güte gegen mich gewesen, und darum möchte ich mir jetzt herausnehmen, Ihnen eine kleine Strafpredigt zu halten; das mag von einem so jungen Menschen, wie ich bin, einem so respectabeln Herrn wie Ihnen gegenüber, sehr anstandswidrig sein … thut aber nichts, es geht nun einmal nicht anders; die Strafpredigt verdienen Sie, und es kann sie Ihnen kein Anderer halten, denn kein Anderer hier oben kennt das Geheimniß, das Sie drückt, als ich …“

Die beiden Männer waren während dieser Worte aus dem Schloßportal hinausgeschritten und gingen auf dem Kieswege davor links dem Nebengebäude zu, in welchem die Wohnung des Schloßinspectors Steitz lag.

Bei den letzten Worten des Officiers aber war der Inspector plötzlich, wie von einem elektrischen Schlage berührt, stehen geblieben … Mensing fühlte, daß eine Erschütterung durch seine ganze Gestalt ging, daß der Arm, der auf dem seinen lag, zitterte.

„O mein Gott,“ sagte er, wie nach Athem ringend, „Sie wissen – Sie, Mensing, Sie wissen …?“ und wie mit einem Ausbruch von Leidenschaft, aber mit ängstlich gedämpfter Stimme rief er dann: „Was – was sagen Sie? Was wissen Sie?“

Mensing schaute, betroffen von dieser gewaltigen Aufregung des Mannes, in die Züge desselben, deren Ausdruck ihm die dunkelnde Nacht verbarg, aber die noch entsetzter und bleicher, als vorhin, auszusehen schienen.

„Es kommt mir vor, als ob dieser alte Steitz über all das, was der arme Mensch in der letzten Zeit hat erleben müssen, verrückt geworden wäre!“ sagte sich der Officier, und den Arm des alten Herrn wieder ergreifend, antwortete er: „Ich weiß, was Ihnen im Stillen am Herzen nagt, lieber Inspector. Es ist nicht allein, daß Sie, der alte, treue Diener, der sein Blut und sein Leben hingeben möchte für seinen Herrn, sich nicht in die Wendung, die unser Aller Schicksal genommen hat, finden kann – das ist es nicht allein … es liegt Ihnen noch etwas Anderes auf der Seele …“

„Mir liegt nichts, gar nichts auf der Seele!“ unterbrach ihn abermals stehen bleibend und mit der leidenschaftlichsten Erregung seines ganzen Wesens der Inspector … „Mensing, ich bitte Sie, was sollte mir auf der Seele liegen – der König hat mich in meinem Amt, in vollen Würden und Einkommen gelassen und …“

„Nur gemach, rufen Sie nicht so laut, alter Herr,“ versetzte der Officier mit ruhiger Bestimmtheit, „und kommen Sie weiter, damit wir in Ihrem stillen Zimmer gemüthlich und unbelauscht von der Sache reden können!“

„Ja, ja, kommen Sie,“ fiel der Inspector jetzt leise aufathmend, flüsternd ein, als ob eine innere Angst ihm alle Kraft des Widerspruchs und des Widerstandes plötzlich gebrochen habe, „kommen Sie, Mensing, kommen Sie, lassen Sie uns reden, reden davon – o mein Gott, es bricht mir das Herz ab, wenn ich nicht endlich einmal mit einem ehrlichen Menschen davon reden kann … von … den guten alten Zeiten.“

Und so langsam und schleppend, wie der Inspector bisher geschritten, so aufgeregt hastig eilte er jetzt, den jungen Mann mit sich fortziehend, davon, seiner Wohnung zu.

Die Wohnung des Inspectors lag in einem ansehnlichen Nebengebäude, zu ebener Erde. Man trat aus dem Gange in das Wohnzimmer, dann in ein zweites dahinter liegendes; es war das Arbeitszimmer des Inspectors. Obwohl dieser, der in seiner Jugend mit Landgraf Friedrich dem Zweiten in Paris und Italien gelebt, der als bevorzugter Diener mit seinem Kurfürsten, Wilhelm dem Ersten, in tägliche persönliche Berührung kam, in seiner äußern Erscheinung, in seinem sorgfältigen gewählten Anzuge, in seinem ganzen Wesen den Hofmann zeigte, waren die Zimmer doch mit ganz bürgerlicher Bescheidenheit, fast Aermlichkeit eingerichtet. Aber der Ofen flackerte behaglich in dem Arbeitszimmer; eine mit einem Schirm verhüllte Lampe erleuchtete es; hinter dem Tisch mit der Lampe breitete ein lederüberzogener Ruhesessel einladend seine Arme aus, – kurz, der kleine Raum machte einen höchst behaglichen Eindruck, und der Inspector seufzte wie erleichtert auf, als er die Thür hinter sich geschlossen und nun matt sich in seinen Sessel fallen ließ.

Der Officier warf seinen Mantel ab und zog sich einen Stuhl an den Tisch, so daß er dicht neben den Inspector zu sitzen kam.

„Sehen Sie, lieber Steitz,“ sagte er, indem er seine Hand auf den Arm des alten Mannes legte, der mit den großen, eingesunkenen und feuchten blauen Augen die Lampe anstarrte, „sehen Sie, ich wohne drunten in der Stadt bei der Frau Momberg, und zur Frau Momberg geht Ihre Tochter, um Nähen, Schneidern und was weiß ich Alles von ihr zu erlernen; und weil nicht allein die Frau Momberg, sondern auch die Elise wissen, daß sie mir vertrauen können, so brauchen Sie sich nicht zu verwundern, daß ich in das ganze Geheimniß eingeweiht bin …“

Der Inspector Steitz hatte, während der Officier so sprach, ihm langsam sein Gesicht zugewendet und ihn mit einem Blick furchtbarer Spannung angesehen.

„Die Elise … die Momberg … Mensing, ich bitte Sie um Christi unseres Herrn willen, Sie wollen nicht sagen, daß die Momberg, die Elise wissen …“

„Nun, was sollten sie nicht?“ fiel Mensing erstaunt ein. „Sie haben ja selber der Elise gesagt, daß der junge Mensch, den Elise als ihren Bräutigam betrachten durfte, jetzt, seitdem er nichts mehr als ein Reitknecht ist, Ihre Schwelle nicht mehr …“

„Wie? der Wilhelm?“ fuhr Steitz auf, „und davon reden Sie? von dem?“

„Wovon anders – Sie haben geglaubt, Steitz, als Vater so handeln zu müssen, und sehen doch, daß Ihres einzigen Kindes Herz dabei bricht, und nun …“

„Also das ist Alles, das ist das ganze Geheimniß, das Sie wissen?“ rief der Inspector mit einer Erleichterung aus, welche er gar nicht zu verbergen bemüht war.

Mensing sah ihn höchst überrascht und mit scharf prüfendem Blick an.

„So handelt es sich um etwas Anderes, Schlimmeres, Steitz, das Ihnen am Herzen nagt?“

Der alte Herr antwortete nicht; er hatte den Kopf auf die Hand gestützt und seufzte wieder aus tiefster Brust.

„Hören Sie, lieber Inspector,“ fuhr der junge Mann fort, „ich denke, Sie kennen mich. Sie wissen auch, wer ich bin und wem ich meine Existenz verdanke! Ich bin der Sohn eines ehrlichen Handwerkers. Die Prinzessin Marie, die Schwester Ihres alten Landgrafen, dem Sie Alles verdanken, hat mich erziehen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_003.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2021)