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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Rahel hat er noch am meisten interessirt, ihr war er auch am verwandtesten. Dem Herzen nach gar nicht, aber dem Geiste nach. Für die Uebrigen war er gar zu wenig flüssig im persönlichen Verkehre. Er war Zeit seines Lebens launisch. Und nur wenn er guter Laune war, erschien er ausgiebig. Dann aber auch in hohem Grade. In freundschaftlichem Briefverkehr mit Varnhagen ist er übrigens bis an sein Lebensende verblieben; persönlich wiedergesehen jedoch haben sie sich nicht.

Was von Heine selbst schriftlich auf uns gekommen ist aus jener Berliner Zeit und bald nach derselben, das gehört zu seinen dürrsten Arbeiten. Eine kleine Reise in’s polnische Land hinein, welche im Gubitz’schen „Gesellschafter“ gedruckt wurde, und der Briefwechsel mit einem Freunde Moser zeigen nur geringe Spuren des Heine’schen Talentes. Seine mißlichen Eigenschaften: Ueberhebung, Ruhmsucht, manierirtes Haschen nach Witz, stehen im Vordergrunde und belästigen, weil eben von einem Hintergrunde noch nicht viel zu spüren ist. Er ist dieser mißlichen Eigenschaften nie ganz Herr geworden, aber er lernte sehr schnell, er sah mit genialem Auge sehr viel, er füllte also seinen Geist sehr rasch, und deshalb treten schon nach wenigen Jahren diese mißlichen Eigenschaften in solchen Schatten, daß man sich nicht mehr genöthigt fühlt, sie vorzugsweise anzuschauen. Er findet frühzeitig den Tact für seine Fähigkeiten, verläßt den Weg ruhiger Darlegung und Begründung, auf welchem ihm wenig Reize blühen, und wendet sich der freien Erfindung zu. In ihr verwerthet er seine besten Gaben, und zwar auf eine neue Weise. Er ist poetisch und witzig. Dies Dichten und Trennen spricht er zum ersten Male in einem Athem aus. Damit begründet er eine eigene literarische Kraft des Namens Heine.

Ich will nicht sagen, daß diese poetisch-witzige Fähigkeit absolut neu gewesen. Es haben sie manche Humoristen, namentlich englische, besessen, es liegt in Voltaire eine ähnliche Mischung vor Augen, sie war in starkem Grade Shakespeare zu eigen, welchem der Witz überall eindrang und welchem der weite Begriff des Witzes überall zu schaffen gab. Aber ein Dramatiker kann und muß seine Gaben vertheilen, und dadurch gewinnen sie eine ganz andere Form und Wirkung, als wenn die Mischung immer aus ein und demselben Munde strömt. Und gerade dieser ein und derselbe Mund, aus welchem Heine in dem bald erscheinenden „Buch der Lieder“ und in den „Reisebildern“ die grellen Gegensätze sprudelte, Witz im Arme der Poesie, Poesie in den Krallen des Witzes, gerade dies war der überraschende neue Effect. Ich brauche das Wort „Effect“ absichtlich. Man wird immer irre gehen, wenn man Heine nach Inhalt und Gesinnung beurtheilen will. Er war durchweg Künstler, und nur Künstler; die Form, der Effect war ihm die Hauptsache.

Ich habe in Gesprächen mit ihm oft mit Staunen bemerkt, welch’ eine Theilnahme für dramatische Form er zeigte, wie er eigentlich darnach schmachtete, ein Stück schreiben zu können, welches aufgeführt würde. Er peinigte mich mit der wiederholten Frage, ob denn sein „Almansor“ und „Ratcliffe“ wirklich nicht aufführbar wären. Mir war diese Sehnsucht nach dramatischer Form ein merkwürdig Zeichen, ein Zeichen, daß auf dem Grunde seines Talents das Drama geruht hätte. Ruhige Kraft, Gerechtigkeit des Sinns und Geduld der Entsagung auf persönliche Gelüste hat ihm gefehlt, er hat sein dramatisches Talent für Monologe Heine’s verbraucht, und so ist seine schriftstellerische Form entstanden, welche eine wilde Ehe von Gegensätzen zeigt.

Der dramatische Embryo in ihm zog ihn denn auch zu Shakespeare, wie zu keinem andern Poeten. Es war ihm ein Genuß, als ihn ein französischer Buchhändler veranlaßt hatte, zu Stahlstichfiguren Shakespeare’scher Charaktere einen erklärenden Text zu schreiben. Einen erklärenden Text schrieb er freilich nicht, die Shakespeareerklärer waren ihm ein Gräuel, und seine Späße über den poetischen Unverstand oder Querverstand derselben waren Legion, aber Ekstasen schrieb er über Shakespeares Figuren. Sehr wunderlich war er dabei, wenn er über Inscenesetzung der schwer darstellbaren Stücke Shakespeares sprach. Die alte englische Bühne mit ihrem naiven Apparate wieder einzuführen, fand er lächerlich – dafür hatte er zu lange in Paris gelebt – aber eine neue Bühne dafür zu erfinden, schien ihm mitunter wünschenswerth. „Und ein neues Publicum auch,“ warf ich dazwischen.

„Da hast Du Recht!“ rief er lachend, „die Bühne des neunzehnten Jahrhunderts ist oben und unten nicht mehr für phantastische Poeten. Wir müssen uns an’s Ballet halten.“

Wirklich schrieb er eins und zwar den „Faust“. Diese Arbeit gehört in seine letzten fünf Jahre, und er bestand hartnäckig auf dem Wunsche, daß es im Wiener Hofoperntheater ausgeführt würde. Dort mußte ich das Manuscript einreichen. Es war brillant geschrieben und strotzte von geistreichen Bosheiten gegen die herkömmlichen Anschauungen über Himmel und Hölle. Die Hölle natürlich besonders, welche den Faust haben sollte, war reichlich bedacht. Bedacht! Denn es lag der Reiz mehr im Gedanken, als im Vorstellbaren, und wenn ich mir den Balletmeister vergegenwärtigte, welcher solch’ geistvolles Poëm in Scene setzen sollte, so geschah dies nicht ohne Heiterkeit. Indessen fehlte es doch auch nicht an phantastischer Schilderung zu Aufgaben für den Maler, Decorateur und Maschinisten. Holbein, welcher das Operntheater dirigirte, war ganz bestürzt über die Zumuthung. Er hatte sich grundsätzlich nie mit solch’ lästerlicher Poesie beschäftigt und rettete sich schleunigst hinter die spanische Wand der Technik. Diese sagte mit Recht: solch’ ein Manuscript sei ja kein Balletbuch, denn es fehle jegliche scenische Eintheilung. – Freilich mit noch besserem Rechte hätte man diesen Entwurf einem geistvollen Balletmeister wenn es einen solchen gab, überantworten können, damit er den plastischen Kern herausschäle und ihm so viel, als erreichbar, vom Kometenschweife des Gedankens belasse. Dann war wohl ein originelles Faust-Ballet daraus zu entwickeln. Heine’s Manuscript hätte als Nachwort dem Büchelchen angehängt werden können, welches der Zuschauer an der Casse kauft. Der denkende Zuschauer, wenn es solche im Ballet giebt, hätte nach der Vorstellung daheim dies Nachwort gelesen, um zu entdecken, daß er äußerst geheimnißvolle und bedenkliche Dinge sorglos angeschaut. Mit solcher Perspective tröstete ich damals Heine, welcher sehr ungehalten war über die Geistlosigkeit der Theaterherren.

„Für Dich sind sie ja auch nicht erschaffen,“ entgegnete ich, „denn Du raffst in einzelne Zeilen zusammen, wovon ein ganzer Theaterabend Nahrung verbreiten will.“ Dies leuchtete ihm ein, wenigstens seiner Eitelkeit. Und es war im Grunde das, was ich oben angedeutet: seine Muse war ein dramatischer Embryo, der die Entwickelung nicht mochte, weil er sie für langweilig hielt. Kurzweil war seine Losung.

Dieser Balletentwurf „Faust“ ist damals auch nach Berlin gekommen, und die „Satanella“ Taglioni’s soll daraus entstanden sein. Die Verwandtschaft ist verzweifelt entfernt, und von der Seele des Heine’schen Ballets ist der „Satanella“ nicht ein Atom zugegangen.

Nach der Universitätszeit war Hamburg der Aufenthaltsort für Heine geworden. Seine Eltern waren längst vom Rheine dorthin übergesiedelt. Der Vater scheint ein spekulativer Kopf gewesen zu sein, aber das Glück scheint ihm nicht gelächelt zu haben. In Hamburg dagegen residirte der glückliche Fürst des Heine’schen Stammes, Salomo Heine, der Millionär. Er hat sich immer wohlthätig und freigebig erwiesen gegen die Familie des Dichters. An Witzworten über ihn hat es natürlich nicht gefehlt; sie bleiben nie aus, wenn Geld und Geist mißlich neben einander gestellt werden. Das bekannteste war sein Urtheil über den jungen Dichter Heinrich: „Wenn er was gelernt hätte, so brauchte er keine Bücher zu schreiben.“ Es klingt ganz so gut, als ob es Heinrich selbst erfunden hätte. Ich habe übrigens Heinrich nie anders von seinem Oheim Salomo sprechen hören, als mit Hochachtung und einer warmen Zurückhaltung, welche er seinem ungeberdigen Satyr grundsätzlich aufzuerlegen schien. Der Onkel Salomo und dessen Sohn Karl waren die einzigen Wesen, die er auch in vertrautem Gespräche nie antastete, und wenn ihm ein scherzhaftes Wort über sie entschlüpfte, so polsterte er dies sogleich mit einer Watte von Gutmüthigkeit, welche sonst ein ganz fremder Artikel war auf seinem Lager. Namentlich hegte er einen tiefen Respect vor der sittlichen Größe des Vetters Karl, selbst dann noch, als ihm dieser Vetter schwere und nicht eben lobenswerthe Sorgen machte wegen der Rente, welche der Oheim Salomo ausgesetzt hatte für den poetischen Neffen. Das Testament Karl Heine’s, ein wahres Staatsmuster von Güte und weiser Fürsorge, hat später dargethan, daß Heinrich den Charakter seines Vetters ganz richtig geschätzt hatte.

Dennoch hatte der Aufenthalt Heinrich Heine’s in Hamburg bis zum Jahre 1830 etwas Unbehagliches für ihn. Seine ersten Bücher, „Buch der Lieder“ und „Reisebilder“, hatten ihm wohl eine pikante Berühmtheit verschafft, aber diese wurde doch viel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_009.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)