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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

der müde Wanderer, der zwei Erdtheile mit dem Ruhme seiner Thaten erfüllt hatte, eine neue Heimath und die ersehnte Ruhestätte gefunden. Die Leiche, die nach seinem ausdrücklichen Wunsche in freier Erde ruhen sollte, wurde auf das Gesuch der polnischen Nation und des Kaisers Alexander nach Krakau gebracht und in der Gruft der alten Könige Polens beigesetzt. Sein Herz aber blieb in dem Lande zurück, wo es sich in seiner ganzen Größe und Liebenswürdigkeit gezeigt hatte, wo der Feldherr vor dem erhabenen Priester der Menschheit zurücktrat, wo der Kämpe für die höchsten Güter der Menschheit den Beweis leistete, daß er ob der Menschheit auch den einzelnen Menschen nicht vergaß. Wenn man von Kosciuszko spricht, so ist es immer nur der glühende Patriot, der treffliche Stratege, der löwenkühne Held – der Kosciuszko der Geschichte. In Solothurn aber lebt sein Bild in der Erinnerung des Volkes fort wie der sagenhafte Held einer Legende, wie der gute Eckard, der Freund der Kinder und der Armen; und nicht an den Mann mit dem kühnen Blick und dem schlagfertigen Arm, an den Soldaten mit der Kurtka und der polnischen Feldmütze mit dem Federstutz denken wir, wenn wir von unserm Kosciuszko sprechen, sondern an einen alten Herrn im blauen Ueberrock mit einer rothen Nelke im Knopfloch, an einen freundlichen Greisenkopf mit mildem Lächeln um die Lippen, an den großen Wohlthäter des Landes, der auf seinem kleinen schwarzen Pferde unermüdlich die Hütten des Elends und der Armuth als ein Bote des Friedens aufsucht.

Die Erinnerungen an die letzten Lebensjahre des großen Polen, wie sie theils noch im Munde des Volkes fortleben, theils in Zeitschriften und Flugblättern sich zerstreut vorfinden, zusammenzustellen, das Bild des historischen Kosciuszko zu vervollständigen und damit ein Erinnerungsblatt zur fünfzigjährigen Feier seines Todestages in der Gartenlaube niederzulegen, ist der Zweck der nachstehenden Zeilen.




In der blutigen Schlacht von Maciejowice (10. October 1794), dem Pharsalus Polens, war trotz der unerschütterlichsten Tapferkeit Kosciuszko’s ungeübte und schlecht bewaffnete Schaar von der furchtbaren Uebermacht Suwarow’s geschlagen worden. Mit Wunden bedeckt, von Blutverlust erschöpft, sank er selbst mit dem Rufe: „Finis Poloniae!“ vom Pferde. In russische Gefangenschaft gerathen, sollte er auf den Befehl der gereizten Kaiserin Katharina in dem festen Schlosse von Gregor Orloff sein Leben als russischer Staatsgefangener beschließen. Als aber Kaiser Paul den russischen Thron bestieg, war seine erste That ein hochherziger Act der Milde. Durchdrungen von ritterlicher Hochachtung für den edlen Feind seines Landes, ging er selbst in Begleitung seiner ältesten beiden Söhne, der Prinzen Alexander und Constantin, in das Gefängniß Kosciuszko’s und verkündete ihm seine Freiheit und diejenige seiner mit ihm gefangenen Freunde. „Je vous remets votre épée, mon général,“ fügte er hinzu, „en vous demandant votre parole de ne jamais vous en servir contre les Russes.“ (Ich gebe Ihnen Ihren Degen zurück, mein General, indem ich Ihr Wort fordere, daß Sie ihn nie wieder gegen die Russen führen wollen.) Zugleich beschenkte er ihn mit fünfzehn hundert Bauern und, um ihn unabhängig zu stellen, mit einer Geldsumme von zwölftausend Rubeln.

Sobald er von seinen schweren Wunden geheilt war, segelte der polnische Feldherr nach Amerika, wo er als amerikanischer Brigadegeneral mit großer Ehre empfangen wurde und seinen väterlichen Freund Washington wiedersah. Eine diplomatische Sendung führte ihn bald darauf nach Frankreich, dessen Nationalversammlung ihn schon mehrere Jahre früher zum Ehrenbürger dieses Landes ernannt hatte. Sobald seine Geschäfte in Paris beendet waren, zog er sich in die Gegend von Fontainebleau zurück, wo er auf dem Schlosse Berville bei seinem treuen Freunde Zeltner, Gesandten der schweizerischen Eidgenossenschaft, ein zurückgezogenes, den Wissenschaften und der Erziehung der Kinder Zeltner’s gewidmetes Leben führte. Als aber nach der Völkerschlacht von Leipzig die Heere der verbündeten Mächte Frankreich überflutheten und die Wellen des Kriegslärms bis an sein Tusculum schlugen, als so manches Andere seinen Blick in die Zukunft verdüsterte, verließ er nach fünfzehnjährigem glücklichen Aufenthalt sein Adoptivvaterland, reiste nach der Schweiz und schlug seinen dauernden Wohnsitz in Solothurn auf.

Kurz vor seiner Abreise sollte er noch den Beweis erhalten, daß der Glanz seines Namens im Norden noch nicht erbleicht war. Die russischen und polnischen Truppen wütheten in der Umgebung von Fontainebleau mit Mord und Brand. Kosciuszko konnte diesen Gräueln nicht länger zusehen, und als er in der Nähe von Berville solchen Banden begegnete, die eben ein paar arme Hütten in Brand stecken wollten, sprengte er mitten unter sie und rief mit lauter Stimme: „Halt, Soldaten! Als ich noch brave Krieger von Polen anführte, war kein Gedanke an Plünderung, und strenge würde ich Soldaten und noch unnachsichtlicher Officiere gestraft haben, die sich so benommen hätten!“ – „Und wer bist Du,“ rief man von allen Seiten, „daß Du Dich anmaßest, uns das zu bieten?“ – „Ich bin Kosciuszko.“ – Da warfen Soldaten und Officiere ihre Waffen weg, baten kniefällig um Verzeihung, umfaßten nach Landessitte sein Knie und streuten als Zeichen der Reue Staub auf ihr Haupt. – Berville blieb verschont, das Schloß erhielt eine Ehrenwache von Kosaken und Kaiser Alexander versicherte Kosciuszko in einem Handschreiben seiner Hochachtung und lud ihn zu sich nach Paris ein.

Solothurn bot so Manches dar, was diesen Aufenthaltsort Kosciuszko lieb und werth machen mußte. Ein stilles, schmuckes Städtchen in reizender Lage, auf der einen Seite den blauen Jura mit seinen Tannenwäldern und seinem malerischen Höhenprofil, auf der andern in duftiger Ferne die langgestreckte Kette der Schweizer-Alpen; nach allen Seiten schattige Lindenalleen (sie sind seither vom Boden verschwunden) und würzige Tannenwälder, hübscher Wiesengrund und die schönsten Aussichtspunkte für den Freund der Natur. Nirgends war die Poesie der Landschaft durch rauchende Schlote oder unmalerische Bauwerke rasselnder Fabriken unterbrochen. Die Stadt selbst zählte nur fünftausend Einwohner, aber sie war Sitz einer Regierung und eines Gymnasiums, und das sichert immer einen Kern der Bildung und Gelehrsamkeit. Die Einwohner endlich waren von jeher ein aufgewecktes, lebensfrohes Völklein, das sich durch entgegenkommende Liebenswürdigkeit gegen Fremde auszeichnete. Mehr als Alles das galt aber Kosciuszko der Umstand, daß Solothurn die Vaterstadt seines theuren Pariser Freundes Zeltner war und daß dort ein Bruder desselben wohnte, Altstatthalter X. Zeltner, der nur zu glücklich war, den alten Degen in seiner Familie aufzunehmen.

Groß war das Aufsehen, welches die Nachricht von der Ankunft des berühmten Fremden in Solothurn erregte. Die Bürgerschaft der Stadt bezeigte ihm ihre Hochachtung durch einen feierlichen Aufzug des Schützencorps und der Staatsrath sandte eine eigene Deputation in’s Zeltner’sche Haus, um ihm seine Verehrung an den Tag zu legen und seine guten Dienste anzubieten. Kosciuszko lehnte aber mit Bescheidenheit alle Auszeichnungen ab. In der Familie seines neuen Gastfreundes hatte er Geistes- und Gesinnungsverwandte, einen liebenswürdigen, gebildeten Familienkreis, Begeisterung für alles Hohe und die herzlichste Aufnahme gefunden.

Der hochbetagte Greis, der, durch Wunden und lange Leiden geschwächt, der Pflege bedurfte und doch allein auf der Welt stand, fühlte sich unter diesen guten Menschen rasch zu Hause und der Entschluß stand fest, seinen Wanderstab hier niederzulegen. Der biedere Sinn des Hausvaters, das stille hausmütterliche Walten von dessen Gattin und die Gesellschaft der muntern Kinder waren ihm gleich anziehend; und das einfache, zurückgezogene, auf sich selbst und wenige Hausfreunde angewiesene Leben der Familie stimmte vollkommen mit seinen Neigungen überein. Selbst der einfache bürgerliche Ton und die bescheidenen Verhältnisse des Hauses standen im Einklang mit seinen Lebensgewohnheiten. Er hatte nie äußern Glanz und Gepränge geliebt, und wie er auf dem Gipfel seiner Lebensstellung, als Dictator von Polen, als allmächtiger Naczelnik, einfach soldatisch gelebt hatte, so nahm er auch jetzt an den einfachen Mahlzeiten der Familie Theil, schlief auf einem Feldbette und hielt sich nur einen alten treuen Diener und für seine Ausflüge in die Umgebung ein kleines Pferd.

Sein Leben war regelmäßig, seine Zeit soldatisch streng eingetheilt. Ein Theil derselben war der eigenen wissenschaftlichen Ausbildung gewidmet und Geographie und Geschichte seine Lieblingsstudien, die ihm schon zur Zeit seiner Gefangenschaft auf Schloß Orloff die Zeit verkürzt hatten. Mehr aber, als für sich selbst, sorgte er für die Ausbildung von Emilie Zeltner, der zwölfjährigen Tochter seines Freundes. Das sinnige, reichbegabte

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