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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

entsagen kannst, dann adle es wenigstens durch eine Zuthat, welche über Börne hinaus ragt!“

„Wie das?“

„Setze mitten in diese Invectiven hinein einen Berg, welcher Deine höheren und weiteren Anschauungen der Welt erhebend darstellt. Sein Inhalt wird den Lesern die Ueberzeugung einflößen, die Polemik vor und hinter diesem Berge sei eine leichte Zuthat, welche erklärt und entschuldigt werde durch Dein’ persönliches Bedürfniß, historisch vollständig zu sein, historisch aufzuräumen.“

Das leuchtete ihm ein. „Das ist der Rede werth!“ sagte er und ging fort. Und als er wieder kam, legte er die Hand über beide Augen, wie er zu thun pflegte, wenn er etwas reiflich Ueberdachtes aussprechen wollte, und sprach: „Mit dem ,Berge’ hast Du Recht. Ich werde ihn errichten.“ Und so sprach er nun Tag um Tag: „Der Berg ist angefangen! Der Berg wächst, der Berg erhebt sich!“

Dies war sein letztes Wort, als wir Abschied nahmen. Ich verließ Paris, ehe das Buch fertig, war, und war recht enttäuscht, als ich einige Monate später in Deutschland das Buch erhielt, und als angekündigten Berg darin nichts weiter fand, als die Freiheitshymnen aus Helgoland, welche er in die Mitte eingeschoben. Das war freilich meine Meinung nicht gewesen, so wohlfeil hatte ich mir den Berg nicht vorgestellt. Aber kleinlaut mußte ich mir doch auch eingestehen, daß man auf einen Künstler nicht einwirken könne, wie auf einen bloßen Schriftsteller, und daß Heine auf dem letzten Grunde seiner innersten Natur immer Künstler sei und bleibe, welcher nicht lehrsam sich äußern könne, sondern immer eine Strömung der Leidenschaft suche.

Sieben Jahre lang sah ich ihn nicht wieder. Nach den Stürmen, welche er durch das Börne-Buch über sich heraufbeschworen und welche ihm auch eine leichte körperliche Verwundung eintrugen in einem Zweikampfe mit Herrn Strauß, dem Gatten der von Heine verunglimpften Freundin Börne’s, kam ein längerer Friede über ihn. Er neigte wieder vorzugsweise dem Verse zu und künstlerischen Stoffen. Satirische Wendung erleichterte ihm den Uebergang. Er sandte mir plötzlich den „Atta Troll“ nach Leipzig zum Abdrucke in der „Zeitung für die elegante Welt“, welche ich redigirte. Im schönsten Manuscripte auf bestem Briefpapier. Seine Handschrift war sauber und erinnerte an eine Kaufmannshand, welche viel Allotria getrieben: bei ruhiger Abschrift ganz kaufmännisch fest und nur in starken Grundstrichen über den geschäftlichen Charakter hinausgehend, bei eiliger Zuschrift ohne diese Grundstriche und in dünne Undeutlichkeit hinfahrend. Ueberhaupt war von seiner Familie ein positiver Kaufmannsrest in ihm verblieben. Er war genau in Geldfragen, er berechnete Auflagen und Honorar sehr pünktlich, er machte mit Behendigkeit Ueberschläge, er speculirte unter classenmäßiger Eintheilung und Abtheilung des Publicums auf das Lese- wie Kaufpublicum, er that sich was zu Gute aus literarische Geschäftskenntniß. Die Leser seiner endlosen Briefe an Campe werden das mit Seufzen bemerken. Aber nach allen Vorbereitungen der Ziffern war doch ein Windstoß der öffentlichen Meinung, war irgend eine höhere Wendung der Dinge hinreichend, diesen ganzen Ziffernbau wie ein Kartenhaus in ihm umzublasen. Der Poet und der Gentleman sprangen dann auf in ihm und ließen jeglichen Streit um Geldvortheile ohne Beachtung. Aehnlich war er auch im übrigen Privatleben. Seinen Zuschnitt machte er sparsam, wenn aber der Tag ein kostspieligeres Bedürfniß herbeiführte, wenn ein bittender Anspruch ihn von Sorgen unbehelligt fand, oder wenn gar seine „kleine Frau“ einen Luxuswunsch verrieth, dann war er poetisch freigebig.

Ebenso war auch seinen mit fester Hand niedergeschriebenen Manuscripten nicht bis an’s Ende zu trauen. Das Ende heißt hier der Abdruck. Ehe der Abdruck vollendet war, regnete es Abänderungen, und das endlich druckreife Manuscript hatte bis dahin sein sauber gewaschenes Antlitz total verloren. Der gewissenhafte Herausgeber seiner „Gesammelten Werke“, die ja bekanntlich erst nach Heine’s Tod erschienen sind, hat zum Schrecken poetischer Leser diesem Heine’schen Bedürfnisse artistischer Correcturen Rechnung getragen und alle Varianten unter dem Texte angeführt. Hoffentlich nur für die erste Auflage!

Die Censur begünstigte diese Neigung Heine’s zu Varianten, indem sie ihn zu Aenderungen nöthigte. Der verstorbene Historiker Wachsmuth censirte den Atta Troll und entsetzte sich pflichtgemäß über zahlreiche Partien des satirischen Gedichts. Wachsmuth kennend und die Linie kennend, welche er einhalten mußte, schrieb ich immer Heine sogleich nach Empfang eines neuen Heftes: dies und dies wird gestrichen werden, sorge für Ersatz! – Und in kürzester Frist erhielt ich einen neuen Text. Manchmal hatte ich Wachsmuth’s niederdeutschen Charakter, der mitunter stark humoristische Accente vertrug, irrthümlich unterschätzt, und die Heine’sche Variante ist ungedruckt in meinen Händen geblieben. Ich hab’ es auch glücklicherweise unterlassen, sie dem Herausgeber der „Gesammelten Schriften“ mitzutheilen.

Erst im Frühjahre 1847 kam ich wieder nach Paris. Wie fand ich den Mann wieder, den ich als feisten Abbé des Lebenscultus verlassen hatte! Nie werde ich den Eindruck vergessen, als er mir zum ersten Male wieder vor Augen kam. Ich war irrthümlich in seiner Wohnung abgewiesen worden – er hielt seine Thür fest verschlossen – und er hatte mir geschrieben: um elf Uhr komme ich! In einem kleinen Hotel der Rue Daugivilliers beim Louvre hatte ich Unterkommen gefunden. Hotel und Straße sind verschwunden unter der Lichtmachung, welche Haußmann dem alten Paris angeordnet hat, damit der Luft, dem Lichte und den Kartätschen eine freie Bahn eröffnet werde. Mein Zimmer hatte die Aussicht auf den freien Platz zwischen dem neuen Louvre und der Kirche St. Germain l’Auxerrois, auf denselben Platz, welcher in der Julirevolution den blutigsten Kampf, die tapfere Vertheidigung der Schweizer, gesehen hatte. Der Blick war frei bis zur Seine hinüber. Dort hielt ein Omnibus an. Ein kleiner Mann kroch langsam aus dem Wagenkasten und tastete mit einem dicken Stocke vorsichtig über den Platz herüber. Die Frühlingssonne schien hell. Für diesen Mann nicht hell genug. Er blieb mehrmals stehen, rückte den Kopf in den Nacken zurück und griff mit der Hand an sein Auge. Mit den Fingern schob er sein Augenlid in die Höhe, es hatte nicht mehr die selbständige Kraft, sich aufzuschlagen – der in zwei Paletots gehüllte Mann suchte die Aufschrift meines Hotels. Der blasse Mann war Heinrich Heine!

Er trug sein Leiden mit großer Standhaftigkeit, ja er entwickelte kaltblütig die sicheren Fortschritte, die entsetzlichen Steigerungen und das schmerzhafte Ende desselben, und er entwickelte diese Zukunft ganz in der grausam witzigen Form, welche er in seinen Schriften den unangenehmsten Gegnern hatte angedeihen lassen. „Gerechtigkeit muß walten!“ sagte er mit zuckendem Lächeln, „und Ihr seht jetzt, daß Ihr mir immer Unrecht gethan, wenn Ihr meinen Kopfschmerz und meine Verstimmung so oft meiner moralischen Unart zugeschrieben habt. Ich war nie moralisch. Es war ein ganz physischer Leidenskrebs, der mich immer gezwickt hat und nun zerfleischt.“

In diesem Sinne hat er denn auch frühzeitig Testament gemacht. Seine Frau zu sichern, die er auch deshalb schon längst in gesetzlicher Ehe mit sich verbunden, seine Schriften zu ordnen und zu sammeln und seinen Nachlaß sicher zu stellen, dafür hat er schon ein Jahrzehnt vor seinem Tode Sorge getragen. Die Frau war ihm für die lange Leidenszeit ein unschätzbarer Trost. Diese sorglose Französin entwickelte die glückliche Gabe, an die drohende Zerstörung ihres Henri nie eigentlich zu glauben. Ihr lebensheitres Gemüth hielt alle drohenden Symptome für vorübergehend, und gerade solche zuversichtliche Lebenskraft war ein Segen für Heine. Diese Zuversicht ließ ihn jede ruhige Stunde ausnützen, sie tröstete ihn über das Schicksal der Frau selber, sie beglückte ihn auch im Elend. „So sind die Engel!“ pflegte er zu sagen, „sie brauchen keine Hypotheken, sie haben immer flüssiges Vermögen.“

Dennoch war damals noch nicht die Zeit für ihn gekommen, über den Tod und religiöse Todesgedanken zu sprechen. „Das kommt erst später,“ sagte er, „und dann wollen wir uns mit Goethe ’s Clärchen benehmen, wie wir können.“ – Er prophezeite ganz richtig: es dauerte noch gegen zehn Jahre, und erst in seinen letzten Jahren schrieb er mir lange Briefe über religiösen Glauben und sein Verhältniß zu Gott, Kirche, Tod und Unsterblichkeit, Briefe, welche mir leider verloren gegangen sind.

Damals – 1847 – sprach er noch gern von Politik, wie von einer Kunst, welche die französische Regierung systematisch betreibe. „Zu systematisch, zu doctrinär, zu karg und eigensinnig!“ sagte er von Guizot, welcher damals den Ton angab und den geistlichen starken Puritaner durchaus nicht zu verleugnen vermochte. Heine respectirte ihn, hatte aber gar keine Sympathie für

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_026.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)