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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

ihn und wunderte sich wohl, daß Guizot unter Franzosen so lange möglich war. Dennoch wies er zurück, was ich ihm erzählte von revolutionären Aeußerungen und Aussichten, die ich in den Estaminets gehört hatte. „In den Estaminets,“ rief er, „wo man schlechte Cigarren raucht und schlechtes Bier trinkt, da hört man immer solche Aeußerungen. Diese Leute hätten nichts, wenn sie nicht diese Aussichten hätten. Man kann doch nicht verlangen, daß sie Selbstmörder werden! Den kundigen Louis Philippe werden sie nicht überholen. Bei alle Dem,“ setzte er hinzu, „ist der französischen Weltgeschichte nie über Nacht zu trauen.“

Das war im Frühjahre 1847. Drei Vierteljahre später war der politische Himmel von Paris dicht bewölkt und es wetterleuchtete in den Nächten. Ich weiß, daß Heine auch noch um kein Haar anders sprach, als er im Frühjahre zu mir gesprochen, und daß er die plötzliche Vertreibung Louis Philippe’s einem plötzlichen Kriegsglücke der Republikaner zuschrieb. Die Schüsse auf dem Boulevard, die Ausbeutung derselben durch den geschickten Act „Man mordet uns!“, die nun erst entstehende wirkliche Erhitzung, die ungeschickten Befehle und Gegenbefehle in den Tuilerien, welche die bewaffnete Macht in’s Schwanken brachten, kurz die ewig unberechenbaren Zufälle einer sich jählings ausbreitenden Schlacht hatten unerwarteter Weise den alten König dem Kriegsglücke überantwortet, „Und für alte Leute“ – schloß Heine – „ist das Kriegsglück nur selten, Louis Philippe riß aus, und so kamen wir in die Republik, zu welcher in Frankreich jetzt immer noch die Republikaner fehlen.“

Heine hatte nie Passion für die Republik, obwohl er für sich ihre Freiheiten in Anspruch nahm. Er fürchtete ihre Nüchternheit, er empfand, daß in ihr die Gegensätze untergehen müßten, welche er für seinen poetischen Witz, ja für seine Poesie brauchte. Er fürchtete die schrecklich tugendhafte Prosa, und es war ihm sonnenklar, daß er unter Republikanern eine mißliche, ja gefährdete Rolle spielen müßte. Er dachte stets in erster Linie an seine Person, an sein persönliches Schicksal, wenn von Staatsformen die Rede war, und wenn man ihm dies vorwarf, so lachte er, und sagte: „Dies ist ja natürlich, und weil es natürlich, ist es auch richtig. Thäten dies alle Politiker, so entstünde nicht so viel Abstractes, Künstliches und Gemachtes, was keinen Bestand hat. Man soll naiv sein als Politiker wie als Poet. In der Philosophie soll sich das Bedürfniß der Denker ausdrücken, im Staate aber das Bedürfniß der Menschen.“

Er war überhaupt gründlich ein Realist. Sein Talent nur war durch Herkunft und Erziehung aus romantischer Atmosphäre mit idealistischen Hülfsmitteln glänzendster Gattung versehen. Und gerade dadurch erwuchs der Contrast in seinen Schriften, welcher Realisten wie Idealisten reizte, welcher ihn so außerordentlich populär machte und ihn zu einer neuen, eigenthümlichen Größe stempelte in unsrer Literatur.

Wenn man mit ihm politisirte, so sprach er praktisch wie ein amtirender Minister, allerdings wie ein poetischer Minister. Aber dies Poetische in seiner Ministerpolitik war Weitsichtigkeit, niemals Unklarheit. Es fehlte ihm keinesweges an der Definition einer Republik, die erstrebt werden könnte, aber er zeigte spöttisch auf die jetzt lebende Menschheit, welche noch hundert Gewohnheiten und Schwächen der absoluten Königszeit im Blute trage. Wie viel Aderlässe, Häutungen und Blutumwandelungen müßten da noch vorübergehen! Namentlich in Betreff der Eitelkeit. Die Republik werde und müsse die Eitelkeit auch befriedigen, aber die Eitelkeit werde einen veränderten Inhalt haben. Diese Veränderung gerade werde den Menschen sehr sauer. – „Und besonders Dir!“ rief ich. „Freilich!“ entgegnete er, „ausgezeichneten Menschen wird eine Veränderung immer am sauersten. Die Mittelmäßigkeit ist am leichtesten zu ändern, weil ihre Eigenschaften an und für sich verwischt sind.“

Ich schied damals von ihm mit dem Gedanken: Du siehst ihn wohl kaum wieder! Seine Krankheit hatte etwas Heimliches und Leises, welches an das giftige Lecken einer Schlange gemahnt; an jedem Morgen konnte plötzlich ein Hauptorgan seine Dienste versagen. „Sie stammt eben aus dem Lebensmarke!“ – sprach er trocken vor sich hin – „die Aerzte mögen mich trösten wie sie wollen, ich habe nichts zu erwarten als ein erbärmliches Siechthum. Wahrscheinlich voller Abwechselungen. Letzteres hat Einiges für sich. Wenn man plötzlich taub aufwacht, so vergißt man einige Zeit, daß man vorher schon blind gewesen ist. Und was hat’s für einen Zweck?! Gar keinen. Zu bessern bin ich nicht mehr, und Jehovah hab’ ich immer respectirt; er brauchte mich nicht martern zu lassen. Höchstens ist diese Passionsgeschichte eine Reclame für die Gesammtausgabe meiner Werke zum Vortheile Campe’s und meiner Frau.“

Kein Mensch kann’s leugnen: er trug sein grimmiges Schicksal sehr tapfer. Ach, und wie langsam kam es zur Hinrichtung! Acht Jahre später kam ich wieder nach Paris, und fand ihn (18ö5) noch am Leben. Aber wie! nur der Kopf war noch derselbe. Der ganze Leib war zusammengeschrumpft zum Gewicht eines Kindes. Man hob ihn mit einer Hand, wenn seine Lage im Bette verändert werden sollte. Er wohnte jetzt draußen in den elysäischen Feldern hoch oben unter Baumkronen. Es war Sommerszeit, und die Ausstellung wälzte den Menschenstrom unter seinen Fenstern vorüber; er sah nichts davon, aber er war nicht traurig, sein Kopf war völlig frei, so frei, daß es zum Erschrecken war. Witz und Frivolität waren ihm treu geblieben, und diese von unten auf absterbende Creatur, welche unter der Bettdecke nur noch ein paar Spannen zusammengezogenen Menschenleibes besaß, forderte mit ungeschwächtem Geiste den Schöpfer alles Menschlichen heraus. Die ganze Wahrheit zu gestehen: dieser letzte Eindruck war – abgesehen vom natürlichen Mitleide – sehr peinlich. Die Frau war, wie sie gewesen: gut, leicht in der Sorge, treu in der freundlichen Ausdauer, ein unerschöpflicher Schatz für ihn, und gegen die unsentimentale, fast lebenslustige Stimmung im Hause des unerbittlichen Absterbens hätte ich wahrlich nichts einwenden mögen. Warum soll sich der Mensch nicht auch beim hereinbrechenden Winter frisch und fröhlich einrichten für die todte Jahreszeit! Das stärkt eher, so wie Heine’s Gespräch über wichtige Lebensdinge, welches er auch mit immer geschlossenem Auge klar, scharf und schlagend führte.

Woher entstand also die Pein? Aus der Störung des harmonischen Gleichgewichtes, welches ein jedes Menschenwesen braucht. Jegliche Störung darin ist ein Schritt zur Fratze. Die geistigen, die physischen und die moralischen Kräfte eines Menschenwesens müssen in einem gewissen Gleichgewichte stehen, wenn dies Menschenwesen einen wohlthuenden Eindruck machen soll. Das war bei Heine nicht mehr der Fall. Unter der Bettdecke eine Mumie, außen ein Kopf, der ungeschwächt war und durch die frechsten Geistessprünge beweisen wollte, daß er unabhängig wäre vom ganzen übrigen Organismus, namentlich unabhängig vom Herzen. Man empfand mit Schauer, daß hier ein Riß im menschlichen Organismus vor Einem läge, daß dies grelle Geistesturnier etwas Gespensterhaftes hätte und in das Bereich der Caricatur geriethe.

Ist es im Kunstwerke anders? Braucht es nicht auch eine volle Harmonie seiner Theile? Und giebt es einen Poeten wie Heine, welchem so häufig und so wahrhaft vorgeworfen wird, daß er durch Mißtöne den Eindruck seiner Kunstwerke beschädige? Nein, es giebt keinen. Heine ist darin einzig. Und ich möchte sagen auf seinem Sterbelager enthüllte sich’s, wie tief dies in seiner Natur lag.

Freilich lag auch der Reiz seines Stils in dieser seiner Natur, in diesen unausgeglichenen Kräften. Der Zweifel und die Verneinung mögen eben so stark sein wie der Glaube und die Schaffung, die Harmonie wird gewahrt bleiben können. Aber der Hohn dazu und die Schadenfreude für die schönsten Empfindungen, für die heiligsten Stimmungen des Menschen, sie sind ein dämonischer Luxusartikel, welcher den Geist kitzelt und das Kunstwerk schwächt. Dies war Heine’s Natur.

Er wußte das selbst in guten Stunden, er zeigte das hinreichend in Gedichten reinster Harmonie. Aber der Dämon der Disharmonie war stärker in ihm als sein Wissen; Heine ließ ihm hohnlachend die Zügel schießen, und wenn man ihm bemerkte: Du verletzest dadurch Dein Kunstwerk, so antwortete er: Wohl! Ich wirke aber zehnfach mehr als all’ Eure Künstler. – Du wirkst, wie der falsche Theatereffect wirkt! – Ah bah!

Diese dämonische Eigenschaft liebkosend lebte er, schrieb er, starb er. An sie nestelten sich natürlich all seine bedenklichen Eigenschaften und moralischen Fehler, Eitelkeit, Rachsucht, Mangel an jeglicher Pietät und eigentlicher Vaterlandsliebe.

Wenn ihn deshalb die kleine Kritik ausschließen will aus der Reihe unserer ersten Dichter, so begeht sie doch eine Thorheit, welche zu Boden fällt. Ueber den gewissenhaften und schönen Gebrauch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_027.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)