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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

seine Mutter in’s Geheimniß ziehen. Ihr Haus, so war sein Plan, sollte das nächste Ziel der Fahrt sein; von dort aus sollte sie, nachdem man die Sicherheit der Wege ausgekundschaftet, in der nächsten Nacht weiter gehen. Seine Mutter mußte deshalb vorbereitet sein. Sie mußten Maßregeln gegen die Neugier ihrer Domestiken, Vorwände für diese, um ihnen die Ankunft des Fourgons zu erklären, in Bereitschaft haben; es war unumgänglich nothwendig, daß Mensing die Mutter sprach.

Nach einem tüchtigen scharfen Ritte kam Mensing auf dem Hofe an. Dieser lag in der Ebene, zwischen Garten und Obstgarten in der Mitte; den eigentlichen Hof umgab eine Mauer, mit einem vorderen Einfahrtsthor, das durch ein Paar hölzerner Thorflügel von etwas über halber Manneshöhe geschlossen war. Diesem Thor gegenüber lag das zweistöckige, aus Fachwerk aufgebaute Wohnhaus; neben diesem und hinter ihm eine kleine Gruppe von Oekonomiegebäuden; von dort, von dem hintern Theile des Hofes, führte ein Thor, dem vorderen ähnlich, auf die Ackerfelder hinaus.

Als Mensing seiner Mutter die ersten Eröffnungen über sein Vorhaben gemacht, erschrak die arme Frau auf’s Heftigste. Sie beschwor ihn, von einem so gefährlichen Beginnen abzustehen, sie sagte ihm Alles, was die mütterliche Sorge ihr nur eingeben konnte, sie bat und flehte, und als sie Mensing’s feste Entschlossenheit sah, wurde sie zornig … erst als er ihr auseinandersetzte, welcher Antheil an der Rettung des Schatzes ihres flüchtigen Fürsten ihrer Thätigkeit, ihrer Klugheit zufallen solle, gelang es ihm, ihren Widerstand zu besiegen und sie für seine Pläne zu gewinnen, bis er endlich zu seiner Freude sah, daß er den unverkennbaren Eifer der rüstigen und gewandten kleinen Frau für die Sache geweckt habe. Nun sie selbst dabei thätig sein, eine Aufgabe übernehmen, durch Verschwiegenheit und Klugheit helfen sollte, das Gelingen zu sichern, kam ihr das Ganze in einem andern Lichte vor; sie sah nicht mehr blos die Gefahr, oder die Gefahr bekam einen Reiz für sie, und sie versprach endlich Alles zu thun, was ihr Sohn verlangte.

„Es ist unter dem Gesinde Keiner, den wir als Verräther zu fürchten hätten?“ sagte Mensing.

„Es wäre das Beste,“ versetzte sie, „wenn wir das Gesinde ganz uneingeweiht lassen könnten. Die zwei Mägde schließe ich während der Nacht auf ihrer Bodenkammer ein, das hat keine Schwierigkeit. Und von den zwei Knechten sende ich den einen, den Andres, fort, er hat mich schon lange um einen Urlaub aus ein paar Tage zu seinen Eltern gebeten …“

„Das trifft sich gut! Und der Andere?“

„Der Andere ist der Jakob, weißt Du, der schläft bis in den Tag hinein, wenn man ihn nicht weckt.“

„Der Jakob ist eine ehrliche Seele, dem man sich im Nothfall auch entdecken könnte …“

„Im Nothfall, ja – wir werden sehen, ob es nöthig wird,“ antwortete sie.

„Laß die Nacht hindurch Licht in der Wohnstube brennen, es soll uns ein Zeichen sein, daß Alles in Ordnung ist … und vergiß nicht, nach dem Schloß an dem Scheunenthor zu sehen, ob es in gutem Stande ist …“

„Das will ich, das will ich … Gott gebe, daß Alles gut geht … ich werde die Stunden bis dahin halb todt sein vor Spannung und Angst … ich bitte Dich um des Himmels willen, sei nur besonnen und klug und überlege Alles, und sobald Du etwas bemerkst, was bedrohlich ist, so säume nicht, Dich durch die Flucht in Sicherheit zu bringen … gieb mir die Hand darauf, daß Du es willst!“

„Da ist meine Hand darauf, Mutter, daß ich vorsichtig und besonnen sein werde … und nun muß ich zurück, lebe wohl, Mutter!“

„Lebe wohl, lebe wohl und denk’ an mich … denke, wie mir die Stunden vergehen werden, bis ich Dich glücklich in Sicherheit weiß!“

Der junge Mann umarmte seine Mutter und eilte dann, wieder in den Sattel seines Rappen zu kommen.

Als er im Dunkel des späten Abends die Wilhelmshöhe wieder erreicht hatte und sein Pferd in den Marstall führte, kam ihm Wilhelm entgegen, um ihm das Thier abzunehmen.

„Ich war vor einer halben Stunde drüben,“ flüsterte er dabei, eine Handbewegung nach des Inspectors Wohnung hin machend.

„Nun, und?“

„Herr Steitz hat mit den Andern gesprochen, Sie wissen, mit dem …“

„Ich weiß, ich weiß … und sind sie bereit und willfährig? Beide?“

Wilhelm nickte.

„Sie werden Schlag halb elf in der nächsten Nacht in dem Gebüsch zwischen dem Wasser und dem linken Schloßflügel sein.“

„Das ist brav von ihnen. Und Du, hat der Stallmeister Dir die Ordre gegeben …“

„Er hat es, heut’ Mittag. Er hat mir den Fourgon angezeigt und die zwei Dienstpferde, die ich nehmen soll, um damit eine Fuhre für den Inspector zu machen. Es werde vielleicht Nachts sein, sagte er, und es brauche sonst Niemand davon zu erfahren, es könne mir einerlei sein, wozu der Inspector den Wagen brauche, und dabei blinzelte er mich höchst schlau an und nickte verschmitzt und legte den Finger auf den Mund; es war ihm sehr daran gelegen, mir Schweigen zu empfehlen, dem guten Stallmeister!“

„Vortrefflich!“ versetzte Mensing lächelnd; „so läßt sich Alles gut an, auch meine Mutter ist unterrichtet; wir werden bei ihr den Wagen in eine wenig gebrauchte, verschließbare Scheune bringen und dann zusammen weiteren Kriegsrath halten. Den Weg zum Mulang hinab, dann durch die Schönfelder Allee, von dort zur Fulda, die wir bei der neuen Mühle passiren, und dann zum Hof meiner Mutter…“

„Ich kenne den Weg bei Nacht so gut wie bei Tage,“ versetzte Wilhelm, „die Wege auf vier, fünf Meilen in der Runde kenne ich …“

„Ich weiß, ich weiß, Wilhelm – also gehab Dich wohl; ich gehe zu Steitz, um dort zu melden, was ich ausgerichtet habe!“

Mensing schritt davon, um die Wohnung des Inspectors zu erreichen. Auf dem Wege dahin, als er vor dem Schloßportal vorüberging, wurde er aufgehalten.

Es war der Oberst La Croix, der heraustrat und ihn anrief: „Ah, Monsieur Mensing,“ sagte er, „Sie kommen mir wie gerufen – Sie sind ein Deutscher und werden sich darauf verstehen – lesen Sie dies Billet und sagen Sie mir: hat das ein Deutscher oder ein Franzose geschrieben?“

Mensing nahm das Billet, welches ihm der Oberst reichte, und entfaltete es im Schein der nächsten vor dem Portal brennenden Laterne. Es lautete:

„Nehmen Sie sich in Acht, mein Herr Oberst, und stürzen Sie sich nicht zu sehr mit verlorenem Kopf in die Genüsse der Redoute, welche in der morgigen Nacht statthaben wird. Denn damit Sie es wissen, man wird in dieser Nacht den verborgenen Schatz des Kurfürsten entführen.“ –

Mensing hatte kaum diese Zeilen überflogen, als er sein Herz still stehen fühlte; in seinem furchtbaren Erschrecken hatte er nur noch die Geistesgegenwart, sich vom Oberst abzuwenden, als ob er das Blatt noch mehr dem Schein der Flammen zukehren wolle, um es besser lesen zu können – sein tiefes Erblassen hätte ihn sonst dem Obersten verrathen müssen!

„Nun?“ fragte der Oberst, „was sagen Sie dazu?“

Mensing zuckte die Achseln – es war eine Antwort, welche ihn nicht zum Sprechen zwang und ihm Zeit ließ, sich zu fassen.

„Was denken Sie, von wem kommt der Brief?“

„Sie wollen meine Ansicht wissen, ob er von …“

„Ob er von einem Deutschen oder einem Franzosen kommt – darnach richtet sich das Gewicht, das ich darauf lege!“

„Der Brief,“ antwortete Mensing, der fühlte, daß er seine Stimme wieder in seiner Gewalt habe, „der Brief kommt von einer Französin.“

„Von einer Französin? Und woraus schließen Sie das?“

„Die Handschrift ist die eines Frauenzimmers, sehen Sie das nicht?“

„Sie mögen Recht haben,“ antwortete der Oberst, „ich verstehe mich nicht auf deutsche Handschriften …“

„Und der Styl ist französisch, in Deutsch übersetztes Französisch!“

„Erkennen Sie das mit solcher Bestimmtheit?“ fragte La Croix.

„Ja, es heißt da zum Beispiel ,stürzen Sie sich nicht zu sehr mit verlorenem Kopf‘; das sagt man nur im Französischen: se jetter à tête perdue – im Deutschen kennt man diese Redensart

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_034.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)