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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

nicht! ,Die morgige Nacht’ – das ist ebenfalls nicht reines, Deutsch – man sagt: die folgende, die nächste Nacht!“

„In der That? Sie glauben also, daß eine Französin es geschrieben hat, so gut sie es vermochte, ihre französischen Sätze in’s Deutsche übersetzend?“

Mensing überblickte noch einmal das Billet.

„Ich glaube,“ sagte er, „daß eine Deutsche und zwar eine Deutsche, welche im Schreiben nicht sehr geübt ist …“

„Das sieht man freilich,“ fiel der Oberst ein, „es ist schief und gar nicht schön geschrieben!“

„Also,“ fuhr Mensing fort, „eine Deutsche es geschrieben hat, wie eine Französin es dictirte!“

„Ah,“ machte der Oberst, „ich denke, so ist es – ein französischer Styl und die Hand einer Deutschen, einer Zofe, einer Magd, einer Grisette!

„Legen Sie Gewicht auf diese anonyme Anzeige?“ fragte Mensing.

„Hm, nicht gar zu sehr … es wäre thöricht, sie ganz unbeachtet zu lassen … aber, wenn sie von französischer Seite ausgeht …“

„In der That,“ fiel Mensing ein, „so verdient sie nicht viel Berücksichtigung!“

„Sie meinen?“

„Ich meine, ein Franzose oder eine Französin würde nicht anonym auftreten, sie würden, wenn sie etwas über diesen, wie ich glaube, überhaupt chimärischen Schatz mitzutheilen hätten, offen hervortreten und ihren Theil von dem ausgesetzten Preise verlangen. Nur ein Deutscher hätte Ursache sich zu verstecken, um nicht unter seinen Landsleuten als Verräther dazustehen, um nicht später, wenn der Kurfürst zurückkehren sollte – denn diesen Glauben läßt sich ja der große Haufen nicht nehmen – seiner Rache anheimzufallen! Und wozu sollte ein Deutscher dann überhaupt Ihnen diese geheimen Denunciation senden? Welchen Vortheil hätte er dabei?“

„Das ist Alles sehr richtig bemerkt,“ entgegnete der Oberst, „und wenn ich ganz sicher wäre, daß es so ist, wie Sie sagen, daß eine Französin es dictirt hat, so würde ich nicht das mindeste Gewicht auf den Wisch legen … Uebrigens kann es ebenso gut ein Mann dictirt haben, wie eine Frau, und darauf kommt auch nichts an – es fragt sich nur, geht es von französischer Seite aus?“ –

Mensing schwieg einen Augenblick; er sah, daß er dem Obersten diese Ueberzeugung beibringen müsse, um den ganzen fatalen Querstrich, der ihn Anfangs so furchtbar erschreckt hatte, unschädlich zu machen – und Gottlob, er konnte dem Obersten diese Ueberzeugung beibringen – er glaubte ja das Geheimniß dieses Billets zu durchschauen –er brauchte dem Oberst nur geradezu die Quelle zu verrathen.

„Das Billet ist nichts,“ sagte er deshalb, dem Obersten das Blatt zurückgebend, „als eine Mystification für Sie. Es mag eine ziemlich boshafte Absicht dabei sein. Während Alle, die zum Hofe gehören, sich den Vergnügungen des Festes hingeben, sollen Sie in Nacht und Wetter hinausgesprengt werden und dort auf einen unfindbaren Schatz lauern, um am andern Tage weidlich ausgelacht zu werden!“

Sacré!“ fluchte der Oberst, „wer sollte sich einen solchen Spaß mit mir erlauben?“

„Eine Dame, die fürchtet, daß Sie ihre Handschrift kennen, und die deshalb ihrer Zofe dictirt …“

„Und die eine deutsche Zofe hat, der sie dictiren kann …“

„Kennen Sie eine Dame vom Hofe, die eine solche Zofe hat?“ – „Nein, das Dienstpersonal hier im Schlosse ist, wenigstens so viel ich weiß, ganz französisch!“

„Doch giebt es Ausnahmen,“ sagte Mensing ruhig lächelnd.

„Sind Sie so gut darüber unterrichtet’?“

„Ich weiß nur, daß Comtesse Julie de Boucheporn ein Mädchen aus Kassel in Dienst genommen hat.“

„Ah sieh doch … daß Sie darüber unterrichtet sind, kann ich mir denken, Lieutenant Mensing,“ antwortete der Oberst La Croix. „Also Sie glauben, Comtesse Julie will mir einen Streich spielen …“

„Das habe ich nicht gesagt … aber …“

„Nun aber?“

„Oberst La Croix,“ sagte Mensing nach einer kurzen Pause, während der er dein Obersten ruhig lächelnd in’s Gesicht gesehen hatte, „ich kann es nicht zugeben, daß Sie so schmählich mystificirt werden – es wäre zu grausam – ich kann es schon deshalb nicht zugeben, weil ich selbst einige Schuld an der Sache trage …“

„Sie … Sie tragen Schuld an der Sache, Lieutenant? Was soll das heißen? Verturbleue, Sie sind mit dieser Boucheporn in einem Complot, um …“

„Das bin ich nicht, ganz und gar nicht! Hören Sie nur, wie ich denke, daß Alles zusammenhängt. Ich war gestern bei Comtesse Julie – ich sah sie hastig ein Stück des Maskenanzugs verbergen, an welchem sie eben arbeitete – ich neckte sie mit diesem Eifer, ihr Geheimniß zu bewahren – ich betheuerte ihr, daß ich längst von Ihnen, Herr Oberst, im Vertrauen erfahren habe, daß sie als Griechin verkleidet erscheinen werde …“

„Das wollten Sie von mir erfahren haben . . ?“

„Ich hatte es nur an dem schönen rothen Fez errathen, welchen ich von Comtesse Julie verbergen sah – aber um sie zu necken, sagte ich ihr, daß der Chef unserer Polizei, der gefürchtete Oberst La Croix, der Mann der Alles wisse, längst das Costum kenne, das jede Dame vom Hofe für sich vorbereiten lasse; daß er mir anvertraut, sie, Comtesse Julie, würde als Griechin erscheinen! Comtesse Julie aber ging mit der liebenswürdigsten Gläubigkeit und auch mit dem größten Zorn gegen die böse argusäugige Polizei auf meinen Scherz ein, und sie verschwor sich hoch und theuer, Ihnen einen Streich zu spielen, um sich zu rächen, oder etwas zu erdenken, um dem Abscheulichen, der jeder Maske werde den Spaß verderben können, ganz von dem Feste fortzubringen! Da haben Sie die Geschichte, Oberst La Croix!“

„Und diese Geschichte klärt freilich Alles auf,“ fiel der Oberst ein, indem er das Blatt nahm und es in kleine Stücke zerriß.

„Sie werden jetzt, nachdem ich so aufrichtig war, mir nicht damit lohnen, daß Sie mich an Comtesse Julie als den verrathen, der ihre Mystification zu Schanden gemacht hat?“

„Nein,“ sagte der Oberst, „ich werde Sie nicht verrathen, Lieutenant … seien Sie ruhig, ich danke Ihnen für Ihre Offenheit – Sie haben mich davor bewahrt, mich sehr lächerlich zu machen – aber wenn ich auf dem Fest Ihre kleine Griechin – sie wird als Griechin erscheinen, sagen Sie?“

„So ist es!“

„Nun wohl, wenn ich Ihre kleine Griechin ein wenig auf’s Korn nehme und schraube, so müssen Sie sich das gefallen lassen, Tudieu, ich denke, sie wird mir keine anonymen Briefchen wieder schreiben.“

Der Oberst nickte dem Lieutenant seinen Gruß zu und ging.

„Dem Himmel sei Dank!“ sagte Mensing lief aufathmend für sich … „das war ein abscheulicher Zwischenfall, der Alles zu stören drohte! Aber er ist parirt, er ist unschädlich gemacht, er ist uns zum Glücke ausgeschlagen … vor dem Obersten sind wir morgen sicher; er wird keinen Augenblick vom Feste weichen! Wie merkwürdig, daß dieser Comtesse Julie – denn von ihr war das Billet, von wem sonst hätte es kommen können? – nichts Anderes einfiel, dem Obersten einen Possen zu spielen, als gerade dies! Man sollte ja sagen, sie sei eine Hellseherin!“

Damit schritt Mensing, erregt von der eben stattgehabten Scene, der Wohnung des Inspectors zu.

Er fand Steitz und Elise zusammen in des Inspectors Arbeitsstube sitzen und erzählte ihnen sofort den Vorfall.

„Es ist als ob der liebe Gott seine schützende Hand über uns ausstreckte“ sagte er dabei; „denken Sie, es wäre ein anderer deutscher Officier oder Beamter von der Bekanntschaft des Obersten diesem zuerst begegnet und wir hätten von diesem unglücklichen Billet nichts erfahren …“

„In der That,“ fiel Steitz ein, „wir haben alle Ursache, dem Himmel zu danken, daß just Sie dem Obersten begegneten – und dennoch beunruhigt mich die Sache noch immer …“

„Dem Obersten muß doch am Ende, wenn er nachdenkt, etwas dabei auffallen,“ sagte Elise dazwischen.

„Und was, Elise?“

„Er halt Sie für einen Verehrer der Comtesse …“

„Das thut er in der That, für einen sehr eifrigen,“ antwortete der Officier.

„Nun, dann muß ihm doch ausfallen, daß Sie so rasch bei

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_035.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)