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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Unwillkürlich wurde mir in diesem Momente das ungeheure Werk nur zum Hintergrunde für die Gestalt seines Schöpfers. Es schien, als wäre es in diesem Augenblicke durch einen Schöpfungsact aus dieser Stirn hervorgegangen, die keine bleiche, über dem Papier gebeugte Denkerstirn, sondern eine von der Sonne dreier Welttheile gebräunte, feste, stark gegliederte Thatenstirn war, ein tüchtiges Gewölbe, um gute Dinge darin sicher zu behüten. Eine kühn geschnittene, etwas herb gebogene, scharfe Nase, die sich mit breiter Wurzel nach dem Schädel hin verlief, eine etwas lange angelsächsische Oberlippe, ein fest gezeichneter, schön geschnittener Mund, breite, willenskräftige Backenknochen, gaben dem Kopfe etwas Erzenes, Gemeißeltes, das indeß von einem Grübchen im Kinn wahrhaft lieblich gemildert wurde. Mit breitem, starrem Nacken richte der dünn umlockte edle Kopf auf einem mächtig gezimmerten, groß proportionirten Körper, der für englische Lebensformen fast zu fest und gerad aufgerichtet getragen wurde.

Im Augenblick, als wir vor ihn hintraten, wendete Stephenson den Kopf von seinem Werke weg auf uns und sprach die Worte: „Es ist gut gemacht!“ Ob er damit den Kopf der ungeheuern Sphinx meinte, die hell im Sonnenlicht, riesenhaft scharf gegen den dunkelblauen Himmel gezeichnet, hoch über ihm hinweg die leeren Augen ernst und geheimnißvoll in das Unendliche richtete, oder sein Werk – das könnte nur Edwin Clark sagen, zu dem er sprach.

Acht Tage später empfing ich von Stephenson ein Billet in London, das mich einlud, bei ihm die contrastirendsten Menschenwesen, Italiens berühmtesten Bildhauer, Baron Marochetti, und Amerikas talentvollsten Schiffbaumeister, Stevenson, kennen zu lernen.

Es gemahnte mich seltsam, als ich zu ihm hin an Westminster-Abbey vorüberfuhr, daß ich mich zu einem lebenden Manne begab, zu dessen Erzbild da drinnen, in diesem echten Pantheon nationaler Größe, bereits der Sockel errichtet wurde. Etwas früh für die Dinnerzeit hielt mein Wagen vor der Thür von Stephenson’s Hause, und so kam es, daß er im selben Augenblicke mit mir vorfuhr. Er begrüßte mich freundlich für seine ernste Weise, und wir stiegen eine Treppe hinauf, die sich auf bronzenen, durchbrochenen Spiralen, in welche graumarmorne, mit rothem Plüsch belegte Stufen eingefügt waren, emporwand. Auf einem Podest dieser Treppe blieb er stehen, und auf die hier in ein Capitäl auslaufende erzene Treppensäule deutend, fragte er: „Haben Sie das entzückende, marmorne Griechenkind aus Amerika auf der Ausstellung gesehen?“

„Sie meinen die berühmte griechische Sclavin von Hieram Powers?“

„Dasselbe,“ sagte er und fügte lächelnd im Weitergehen hinzu: „dies kleine gefesselte Wesen hat mir mein altes Junggesellenherz gefangen. Ich habe das Bildwerk erworben und ihre Liebe theurer wie ein Roué von 1703 bezahlt! Da soll sie künftig stehen!“

Starbuck sagte mir später, daß er zweitausend Pfund Sterling für das zierliche Bildwerk bezahlt habe.

Wir traten in einen kleinen, aber unbeschreiblich behaglich anmuthenden Salon. Auf dunkelgrauen Wänden einige sehr gute Bilder und ernstgefärbte, treffliche Bronzen, dunkelblaue, tiefe und breite Sammtmeubles und dunkelorange Gardinen vom allerschwersten Faltenwurfe, Alles aus dem Vollen und Ganzen und Großen geschnitten und geformt. Auf einer Causeuse saß eine ältliche Dame, echt „ladylike“ von strengstem englischem Typus. Von ihrer Seite erhob sich bei unserem Eintritt eine herculische, aber wohlproportionirte Männergestalt mit prachtvoll modellirtem Krauskopfe: Baron Marochetti. Der Dame, seiner Schwester, die bei einem armen alten Junggesellen die Hausehre wahrte, stellte mich Stephenson vor. Im lebhaft und rasch entwickelten Gespräche frug mich Marochetti mit Interesse nach Rietschel, Kiß und den damals emporblühenden Talenten von Hänel und Bläser. Stephenson hatte nach keinem Fachgenossen in Deutschland sich zu erkundigen. Das Warum beantwortet der Eingang dieser Skizze. Marochetti beneidete Deutschland um Rietschel, dessen Sinn für Formenschönheit und Gleichgewicht er hohe Bewunderung zollte, schüttelte aber den Kopf zu Kiß’ genialen, aber allzuschnell bewegten Schöpfungen, besonders aber zu dem Enthusiasmus, den damals dessen „Amazone“ auf der Ausstellung erregte. „Eingeweide, Pferdehufe und Klauen! Das ist Alles!“ sagte er, und lenkte meine Aufmerksamkeit auf Stephenson’s Profil, das sich, während er, mit einem eben eingetretenen jungen, blassen, interessant aussehenden Manne sprechend, am Fenster stand, scharf gegen das Licht loshob: „Ist es nicht ein Kopf,“ rief er aus, „dem man es ansieht, daß er in Erz gegossen werden muß?“

Der Betrachtete trat auf uns zu, als er bemerkte, daß er Gegenstand unseres Beschauens war. „Der Ritter,“ sagte er, „kann doch keinen Augenblick vergessen, daß er ein ähnliches Bild von mir liefern soll.“ Marochetti hatte den Auftrag von der Königin, Stephenson’s Statue zu machen. In dem Neuangekommenen lernte ich zu meiner Freude den besonders durch seine Gelehrsamkeit berühmten Ingenieur Wild kennen; ein feiner, schlanker, schwarzgekleideter Gentleman mit poetischen, fast störend träumerischen Augen. „Ich erwarte,“ sagte Stephenson, „noch Swinburne, der eben aus Aegypten zurück ist, Starbuck mit seiner reizenden Frau und einem ,halb und halb’ Namensvetter Stevenson aus Boston, mit dem ich gestern um seine unbegreifliche Yacht ,Amerika’ gehandelt habe, die unserem Yachtclub eine so tiefe Niederlage bereitet hat. Leider habe ich fast keine Hoffnung mehr, das Wunderschiff zu erlangen, da Lord E. viel höher bot.“



Ein Bild deutscher Volkslust.

Keine schöneren Volksfeste, als die, deren Mutter die Freude ist. Ihnen verdankt man überall die schönsten Bilder der Volkslust, denen das Auge zu jeder Jahreszeit gern begegnet. Daher nehmen wir keinen Anstand, unsere Leser hinter den Winterfenstern auf ein deutsches Herbstfest blicken zu lassen, dessen Freudennachhall den Glücklichen ja ohnedies bis in den Winter nachklingt.

Noch allgemeiner übt kein Freudenfest sein frohes Regiment über die ganze cultivirte Welt, als das Erntefest. Geerntet wird überall, wo der Mensch durch die Sorge für sein Dasein auf die ersten Stufen menschlicher Gesittung erhoben ist; wo aber geerntet wird, hat auch die Freude ein Fest geschaffen, dem der Volkshumor die Gestalt und der Glaube seine Weihe ertheilt.

Die oft unerklärlichen Verschiedenheiten des örtlichen Ausschmuckes gerade dieses allgemeinen Volksfestes finden zum Theil ihre Erklärung darin, daß sie ursprünglich wirklich als Jahresfeste der Einweihung der einzelnen Kirchen und demnach in allen Jahreszeiten begangen und erst später in den Herbst verlegt und mit dem Erntefest verbunden worden sind. Jedes dieser Localfeste behielt auch in der neuen Zeit und Verbindung seine alten Formen bei, mochten sie dem Winter, Frühling oder Sommer ihre Entstehung zu verdanken haben. In manchen Ländern, wie am Rhein und in den Niederlanden, sind noch die Kirchweihen durch das ganze Jahr zerstreut; sehr klug waren die Oesterreicher, denn als Kaiser Joseph im ganzen Reiche alle Kirchweihen auf den dritten Sonntag des October verlegte, feierten sie gehorsamlich an diesem Tage die Kaiser-Kirmeß, vernachlässigten aber auch die alten Kirchweihtage nicht und erfreuen sich daher einer doppelten Kirmeß.

Weil Geld zum Fröhlichsein gehört, so versteigern in der Eifel die Burschen vier bis fünf Wochen vor der Kirmeß ihre Mädchen und stellen einen besondern Hüter an, der darüber wacht, daß bis zum Nachmittagsgottesdienst des ersten Kirmeßtages jede Versteigerte nur mit ihrem Ansteigerer verkehre.

Was die Kirchweih in der Pfalz zu bedeuten hat, spüren dort die Hühnerhöfe, Speisekammern und Weinkeller am meisten; die Gasterei blüht dort so üppig, daß sogar der geputzte „Kerwabaam“ darüber vergessen worden ist. Desto lustiger flattern am Kirmeß- oder Plans- oder Platzbaum in Franken die langen bunten Bänder der Tannenkrone, welche die hohe Stange desselben schmückt. Das „Putzen“ und Ausrichten des Planbaums geschieht in der dem Fest vorhergehenden „Kirwewoche“, und am Fest selbst wird um diesen Bann, der feierliche Umzug und der Tanz abgehalten. In vielen fränkischen Dörfern werden zu diesem Zweck Lindenbäume gepflegt und diese „Dorflinden“ sind oft gar kunstreich und wunderlich verschnitten und verschnörkelt. Der ehemalige Hauptanspruch an eine „richtige“ Kirchweih im bairischen Franken

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_075.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)