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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Der Geselle wird mich wahrscheinlich da droben verrathen und ganz genau beschrieben, wie ich ausgesehen und aus welcher Richtung ich gekommen,“ sagte sich Wilhelm, während er querfeldein den Pachthof wieder zu erreichen suchte, „aber was schadet’s jetzt?!“

Als er auf dem Hofe ankam, fand er Mensing bereits in voller Verkleidung. Er stak im Kittel eines Schäferknechts; die schwarze lederne Tasche, die quer über seiner Schulter hing, bauschte sich ziemlich hoch über den Goldsäcken, welche hineingeschoben waren.

„Schlüpf’ auch Du jetzt in einen solchen Kittel!“ sagte Mensing; „es liegt Alles bereit dazu – der ganze Anzug eines Knechts – hier in der Kammer. Es ist gut, wenn wir fortkommen, bevor die Hausmägde auf sind!“

Eine Viertelstunde später schritten die beiden jungen Männer mit ihrem ersten Goldtransport in den nebeligen Morgen hinaus. Der Tag drohte mit Regen, wie die vorigen ihn gebracht hatten.

„Es ist desto besser,“ bemerkte Mensing, „der Regen wird desto schneller die Geleise vertilgen, welche unser Wagen über die Felder gezogen hat. Beim Brunnen sind meine Mutter und Elise beschäftigt, mit Schaufel und Rechen die Geleise auszulöschen, so gut es geht.“

„Führt unser Weg uns an der Stelle vorüber?“ fragte Wilhelm.

„Gewiß, ich will Dich nicht fortführen auf unsern gefährlichen Pfad, ohne daß Du Deiner Elise Lebewohl gesagt hast.“

Auf dem halben Wege zum Brunnen begegneten ihnen die Frauen. Sie hatten gethan, was sie gekonnt hatten, die Spuren des Wagens zu vertilgen, und kamen jetzt heim, weil der Morgen vorrückte und bereits ein Arbeiter auf dem Felde in der Ferne sichtbar geworden war.

Mensing drückte einen Kuß auf die Stirn seiner Mutter, die ihm mit bebender Lippe ihre Segenswünsche mit auf den Weg gab.

„In der zweiten oder dritten Nacht kommen wir zurück,“ sagte er. „Laß das hintere Hofthor unverschlossen – ich werde an das Fenster des Wohnzimmers klopfen. Hat sich etwas ereignet, was uns bedroht, so laß ein Licht hinter dem Fenster des obern Giebelstübchens brennen. Das soll heißen: ‚Bleibt zurück?‘ So lange es brennt … man sieht es fast eine halbe Stunde weit, denk’ ich … so lange es brennt, werden wir uns fern halten. Wenn man kommt und Untersuchungen anstellt, so weißt Du, was Du zu sagen hast. Ich bin in der Nacht mit einem Fourgon gekommen und gleich darauf wieder weitergefahren – das ist Alles, was Du weißt, Mutter ... auch bei dem Gesinde, wenn dies etwas erfahren und nachfragen sollte ... Du mußt Dich schon ein wenig im Lügen üben, Du gutes Mütterchen … auch wegen Elisen, um über sie dem Gesinde Auskunft zu geben …“

„Sorg’ nicht, ich werde es ja können, da es so sein muß,“ antwortete sie … „und so geh’ mit Gott, mein Kind!“

„Geh’ mit Gott!“ war auch Elisens letztes Wort beim letzten Händedruck zu Wilhelm … dann wandte sie sich ab, um ihr Schluchzen zu verbergen, während die beiden jungen Männer davongingen und nach wenigen Augenblicken in der Nebelluft verschwunden waren.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Bischof und Poet. Der schreibselige Bischof von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler, hat eine neue Flugschrift veröffentlicht, welche den grimmigen Titel führt: „Die öffentliche Beschimpfung der katholischen Kirche auf der Bühne. Ein Appell an Alle, welche Sinn für Gerechtigkeit und Ehre haben und mit ihren katholischen Mitbürgern auf Grund gegenseitiger Achtung in Frieden leben wollen.“ Welches entsetzliche Werk hat nun diesen „Appell“ hervorgerufen? Es ist ein Lustspiel von Arthur Müller, das den Titel führt: „Gute Nacht, Hänschen“, und seit einigen Jahren unbeanstandet über viele Bühnen gewandert ist. In Mainz nun findet es einen treuen Zionswächter, der ihm ein donnerndes Halt zuruft.

Das Stück spielt am Hofe der Kaiserin Maria Theresia und behandelt Intriguen, die gesponnen werden, um die Kaiserin zu bewegen, fünftausend der in Portugal, Spanien etc. vertriebenen Jesuiten aufzunehmen. Wie im Lustspiel natürlich, werden die Intriguen entdeckt und die Jesuiten nicht aufgenommen.

Was hat nun in diesem Stücke den Zorn des frommen Bischofs erregt? Es ist zunächst folgender Ausspruch Joseph’s des Zweiten, den der Verfasser wörtlich anführt:

„Ich bilde mir’s nicht ein, ich weiß es, daß unser Haus schwer gesündigt hat an unserm deutschen Vaterlande. An unserm Hause ist Deutschland zu Grunde gegangen. Wer schützte die Kirche in ihrem Unrecht, als jener Tetzel die Lüge an die verrottete Menschheit verkaufte, und wer verfolgte das Recht, als alle Guten dem kühnen Mönch von Wittenberg zujauchzten? Wer war es? Unser Haus, das Haus Habsburg. Und als das Volk und mit ihm fast alle seine Fürsten aufstanden gegen den Kaiser, um ihr gutes Recht zu wahren, wer rief den Feind in’s Land und warf mit seiner Hülfe die Deutschen nieder? Wieder war es unser Haus, das Haus Habsburg. So wurde Deutschland ein Spott, ein Hohn, ein Raub der Fremden; denn es ward schwach und uneinig in seinem Innern und lag Jahrhunderte lang in wahnsinnigem Bruderzwist. Wer aber schürte diesen Zwist in’s Unendliche? Zum dritten Male unser Haus, das Haus Habsburg mit Hülfe Roms. Einst war der König der Deutschen Herrscher der Welt. Was liegt im Wege, daß er’s nicht wieder werden könnte? Das Volk ist dasselbe in seiner Treue, seinem Muthe, seiner Stärke, seiner Hingebung. Aber wir, wir sind entartet. Wer über Deutschland herrschen will, muß ein deutscher Mann sein, ein deutscher Fürst, aber kein Römling. Wir müssen wieder Deutsche werden, wenn wir wieder mächtig werden wollen.“

Diese Worte nehmen sich allerdings seltsam im Munde Joseph’s des Zweiten aus, allein zur Unehre gereichen sie ihm eben nicht.[1] Diese Worte enthalten ein historisches Urtheil oder eine historische Ansicht, die von Millionen getheilt wird. Der fromme Bischof von Mainz muß in der That nur die Kirchenväter lesen, höchstens noch den Syllabus und die Hirtenbriefe des Bischofs Dupanloup gegen eine gute Erziehung, daß er dem armen Lustspieldichter einen Ausspruch übel nimmt, der von tausend Anderen in weit schärferer Form gethan und von der Geschichte bestätigt worden ist.

Genug, der fromme Bischof von Mainz findet in diesem Ausspruche eine „Beschimpfung“ der katholischen Kirche. Der treue Zionswächter wendet sich, nachdem er so den Geist des Stückes charakterisirt hat, zu der Handlung desselben. Und da entdeckt er denn, daß die Thatsachen im Stücke nicht wahr, daß sie erdichtet sind, und nennt das Stück eine Lüge, einen „entsetzlichen Betrug am Publicum, wie sich kein größerer und frecherer denken läßt.“ (Als Gewährsmann, daß die Handlung nur erdichtet ist, dient ihm ein „angesehener“ Wiener Gelehrter, Herr Dr. Sebastian Brunner. Dieser Herr ist allerdings berüchtigt durch seine fanatischen Schmähungen des Protestantismus.) Im Definiren hat es der fromme Bischof von Mainz noch nicht weit gebracht. Eine Lüge ist eine Behauptung, die man für wahr hinstellt, wissend, daß sie falsch ist. Ein Dichter giebt aber seine Dichtung für Erfindung, für ein freies Spiel seiner Phantasie. Wie kann da von einer Lüge die Rede sein? Ist die Braut von Messina eine Lüge, weil die Handlung erfunden ist? Sind Wallenstein, Don Carlos Lügen, weil sie von der historischen Wahrheit abweichen? Der Dichter lügt nie, er kann höchstens irren, wenn er von der psychologischen Wahrheit abweicht. Doch die Kenntniß solcher Wahrheiten können wir von dem frommen Bischof von Mainz nicht verlangen, sie stehen ja nicht im Syllabus.

Nach der Verdammung des Lustspiels ergeht sich der Freiherr von Ketteler in bitteren Klagen über die gedrückte Stellung der Katholiken in Deutschland, über die Intoleranz, die man gegen sie übe. Es steht wirklich so gedruckt; der Leser darf es glauben. Der Zustand der Katholiken bei uns ist nachgerade unerträglich geworden. Solch eine Beschuldigung wagt ein Kirchenfürst auszusprechen. Wir wollen uns nun aber nicht auf die oben stehende Definition der Lüge beziehen, sondern dem frommen Bischof das dichterische Recht der Erfindung, der freien Phantasie zugestehen. Allerdings geht diese Beschuldigung nun verblümt gegen die Freisinnigen, welche nicht mehr auf „des Pastors Wort“ schwören, allerdings meint der Kirchenfürst, die Frommen unter den Protestanten würden ebenso angefeindet, allerdings ruft er zum Kampfe gegen die Freisinnigen. Allein er kann sich trösten. Die Freisinnigen, die ihren Verstand nicht mehr unter verrottete Anschauungen und die Macht des Buchstabens beugen wollen, bilden Gott sei Dank eine übergroße Mehrzahl in unserm geisteshellen Vaterlande, allein sie sind keine kämpfende Partei und sie gehen nicht darauf aus, Proselyten zu machen. Sie überlassen es der immer mehr erwachenden Vernunft der Menschheit, Licht in die Finsterniß zu bringen.

Ein seltsames Zeichen der Zeit ist aber diese Broschüre. Ein Kirchenfürst donnert gegen ein Lustspiel. „So viel Lärm um Nichts!“ könnte man sagen, wenn der Bischof seine Arbeit nicht mit den Worten schlösse: „Lieber Kampf und Martyrium, das muß die Parole des ganzen katholischen Volkes in Deutschland werden.“

Nach sechs Seiten voll schöner Reden über die Toleranz der Aufruf zum Kampfe! Freilich die katholische Kirche nennt sich ja die „streitbare, kämpfende“ – und im vorigen Jahre sind trotz aller Protestationen des Stadtraths und der Bürgerschaft sechs Jesuitenpatres von dem Bischof Ketteler nach Mainz berufen worden.

„Wie Wölfe werden sie uns verjagen,
Wie Füchse werden wir wieder kommen.“

R. B.
  1. Und hoffentlich werden diese Anklagen jetzt auch unwahr gemacht, was sie bis jetzt nicht waren. D. Red.

Inhalt: In sengender Gluth. Von F. L. Reimar. – Die Inselburg im Rhein. Mit Abbildungen. – Eine Audienz bei dem König von Italien. – Im Hause Robert Stephenson’s. Von M. M. v. Weber. I. – Ein Bild deutscher Volkslust. Von Fr. Hofmann. Mit Abbildung. – Der Schatz des Kurfürsten. Historische Erzählung von Levin Schücking. (Fortsetzung.) – Blätter und Blüthen: Bischof und Poet.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_080.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2021)