Seite:Die Gartenlaube (1868) 081.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 6.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



In sengender Gluth.
Von F. L. Reimar.
(Fortsetzung.)


Die Alte konnte Anfangs kaum begreifen, was die vornehmen Herrschaften wollten, war aber, als sie endlich das Anerbieten verstand, vor Freude und Dankbarkeit fast außer sich und versprach, daß das Kind den ihm zugedachten Namen führen solle. Alfred ging dann einige Schritte voraus, um dem Prediger, welcher sich schon in der Sacristei befand, das Nöthige mitzutheilen, und geleitete wenige Minuten später seine schöne Gefährtin mit dem Täufling und den beiden Frauen zum Altar. Das Kind ruhte auf Rosaliens Armen, als das heilige Wasser sein Haupt benetzte und der Prediger ihm zugleich mit ihrem Namen seinen Segen ertheilte. Sie drückte, nachdem die Handlung beendigt war, einen Kuß auf seine Stirn und gab es dann seiner Pflegerin zurück, während Alfred beim Hinausgehen aus der Kirche sich bei der Alten noch näher nach ihren Verhältnissen erkundigte und für die Zukunft seine Unterstützung verhieß. Am Kirchhofsthor, wo sich die Wege der Wanderer schieden, erschöpfte die Alte sich noch einmal in Danksagungen und schloß sie endlich mit den Worten:

„Denken Sie an mich, wenn der Segen über Sie kommt, den Sie sich heute verdient haben, und kommen muß er, denn was das Volk spricht, ist wahr: wenn zwei Liebesleute – und daß Sie das sind, habe ich schon an Ihren Augen gesehen! – bei einem Kinde, dessen Eltern nicht getraut waren, Gevatter stehen, so wird ein glückliches Paar daraus!“

Weder Alfred noch Rosalie brachte ein Wort hervor, um der Alten ihren Irrthum zu benehmen, und auch als sie sich rasch von dieser verabschiedet hatten, vermochten Beide nicht miteinander über das Mißverständniß zu scherzen. Schweigend gingen sie auf dem Wege fort, der sie dem Wäldchen zuführte, wo sie Hermann treffen wollten, und sie waren so mit ihren Gedanken beschäftigt, daß sie nicht bemerkten, wie die dunklen Wolken, welche sich schon länger am Horizont gezeigt hatten, immer höher und höher heraufkamen und die Sonne bereits hinter ihnen verschwunden war. Ein ziemlich heftiger Donnerschlag weckte Beide aus ihrer Versunkenheit, und besorgt rief Alfred aus: „Wir müssen eilen, Rosalie, das Gewitter nähert sich!“

Raschen Schrittes wanderten sie weiter und hatten bald das Wäldchen erreicht, dessen Bäume ihnen wenigstens Schutz vor dem zu erwartenden Regen bieten konnten. Bis jetzt war indessen kein Tropfen gefallen, obgleich die Schläge in immer geringeren Zwischenräumen und mit wachsender Heftigkeit auf einander folgten. Rosalie war ängstlich und überdies hatte das rasche Gehen sie angegriffen – das fühlte er an dem Zittern der kleinen Hand auf seinem Arm, den sie nach einigem Zögern angenommen hatte; daher machte er ihr den Vorschlag, eine kurze Weile auszuruhen. Sie waren bei einem mächtigen Eichbaum angelangt, an dessen Fuß Hermann, der die Stelle besonders liebte, eine Bank hatte anbringen lassen, und Rosalie willigte ein, sich hier niederzusetzen. Kaum aber hatte sie an Alfred’s Seite Platz genommen, als sie schon wieder aufsprang. „O Gott, mein Medaillon! Ich habe mein Medaillon mit Hermann’s Bild verloren!“ und ohne sich zu besinnen, eilte sie auf dem Wege zurück, welchen sie gekommen war. Er folgte ihr eben so rasch und war kaum an ihrer Seite, als er mit den Worten: „Nun sagen Sie mir, ob ich nicht eine glückliche Hand habe!“ das Medaillon aus dem Grase aufhob. Er bot es ihr hin und sie wollte einen freudigen Dank aussprechen, als Beider Augen plötzlich von einem grellen Schein geblendet wurden, während ein entsetzliches Krachen den Boden, auf welchem sie standen, zu erschüttern schien. Ein Blick genügte, um ihnen zu zeigen, daß der Blitz in den Eichbaum gefahren war, von dem sie nur wenige Schritte trennten, und ihn sowie die Bank, auf der sie noch vor einer Minute gesessen, zerschmettert hatte. Und doch konnten Beide dies Alles kaum fassen; – es war eine momentane Betäubung über sie gekommen! Alfred wußte nur, daß er Rosalien an seiner Brust hielt und daß es wie Feuer durch seine Adern strömte, und Rosalie fühlte, daß seine Arme sie fester und fester umschlangen; es war ihr, als sei in diesem Augenblick die ganze Welt versunken und nichts mehr da, als der Mann, an dessen Brust sie ruhte und zu dem sie aufblickte in seliger Entzückung.

„Ich halte Dich – Du bist gerettet!“ waren die ersten Worte, welche er hervorzubringen vermochte.

„Für immer und ewig!“ und es klang fast wie Jubel aus ihrer Stimme. „Gott hat gesprochen! Er will nicht unseren Tod, sondern unser Leben.“

„Und es ist fortan nur ein Leben möglich, Rosalie!“

„Nur eins, Alfred – wie uns auch ein Tod vereint hätte!“

Eine Weile schwiegen Beide, in seligen Gefühlen verloren.

„Wie war es möglich,“ jubelte er, „daß wir uns liebten, ohne es uns zu bekennen?“

„Frage nicht,“ entgegnete sie, „sondern danke Gott, daß er selbst uns der Erleuchtung werth hielt durch den Blitz, welcher aus seinem Himmel zu uns herniederfuhr!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_081.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)