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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Er blickte sie mit strahlenden Augen an. „Ja, ich danke Gott, daß in’s Licht getreten ist, was in unseren Herzen verborgen lag! Ich habe lange gewußt, daß ich nimmer wieder von Dir lassen könnte und daß auch Du mein warst und keines Anderen!“

Sie hatte ihn erstaunt angesehen. „Wie, Du wußtest es und – und –“ es kam ein plötzliches Erschrecken über sie: „Hermann!“ rief sie erbleichend.

„Denke jetzt nicht an ihn!“ bat er feurig. „Er kann, er darf unsere Liebe nicht hindern: ihr Recht ist stärker als das seine!“

„Aber sein Herz wird bluten, denn er hat mich sehr geliebt!“ sagte sie leise.

„Kannst Du seine Liebe mit der meinen vergleichen?“ rief er fast hastig. „Kannst Du in diesem Augenblick noch daran denken, daß ein Leben an seiner Seite möglich gewesen wäre?“

Wohl dachte sie in diesem Augenblick an seine Ruhe, seine Gelassenheit, seine liebevolle Fürsorge, die ihn stets als zärtlichen Freund hatte erscheinen lassen; – aber den Geliebten fand sie nicht mehr in Hermann: der Geliebte stand neben ihr, und sie begegnete seinen liebeglühenden und liebefordernden Blicken. Auf’s Neue warf sie sich an seine Brust und rief aus:

„Gott, der uns zusammengeführt hat, wird diese Verwirrung lösen, und zu Hermann blicke ich auf wie zu einem seiner Heiligen!“

Dennoch wollte die frühere Freudigkeit nicht mehr auf Beide zurückkehren und das Wort nicht mehr seinen Weg über die Lippen finden. Schweigend traten sie nach einer Weile den Heimweg an.

Das Gewitter schien sich mit dem einen furchtbaren Schlage entladen zu haben, denn es blitzte und donnerte nur noch schwach und auch der geringe Regen hatte ganz aufgehört. Ohne weiteres Hinderniß erreichten sie das Haus, an dessen Schwelle ihnen die Tante mit heftigen Klagen, die aber fast wie Vorwürfe klangen, entgegen kam und ihnen vorhielt, daß sie ihren Spaziergang gerade zur Zeit eines Gewitters unternommen und ihr dadurch die größte Angst bereitet hätten.

„Nun, Du siehst ja aber, liebe Tante, daß wir unbeschädigt davon gekommen sind!“ entgegnete Alfred etwas ungeduldig, während Rosalie still auf ihr Zimmer ging.

Hermann kam eine Stunde später. Er hatte das Gewitter heraufkommen sehen und bei Zeiten Schutz in dem Wirthshause eines der umliegenden Dörfer gesucht; wie sich ergab, desselben, wo Alfred und Rosalie an dem Nachmittage gewesen waren, und wahrscheinlich genau zu der Zeit, wo diese die Begegnung mit den Kirchgängern hatten. Beide blickten sich unwillkürlich bei der Erwähnung an, schwiegen aber wie auf Verabredung von dem Vorfall. Ebenso wurde der späteren Gefahr, in welcher sie geschwebt, mit keiner Silbe gedacht und Rosalie mußte es ertragen, Hermann sein freundliches Bedauern aussprechen zu hören über die Angst, welche sie wegen des Gewitters ausgestanden haben mußte, da er ja wisse, daß ihr kleines Herz bei derartigen Gelegenheiten nicht allzu muthig zu sein pflege. – Er war übrigens in einer besonders heiteren Laune zurückgekehrt, die sich beim Empfang verschiedener Postsachen gesteigert hatte, und schien es kaum zu bemerken, daß die beiden jungen Leute, sonst in der Regel die Tonangeber jeder heiteren Stimmung, heute ungewöhnlich ernst und sogar gedrückt erschienen.

Als die kleine Gesellschaft sich am Abend trennte, forderte Hermann den Bruder auf, ihn noch für eine kleine Weile in sein Zimmer zu begleiten. „Du weißt, mein lieber Junge,“ begann er hier, „daß ich im Begriff stehe, einen ganz neuen Abschnitt meines Lebens zu beginnen, und da liegt es mir denn am Herzen, vorher mit dem früheren Abrechnung zu halten und in jeder Weise mein Haus zu bestellen. Ehe ich neue Pflichten übernehme, möchte ich den alten gerecht werden und habe dabei zunächst an die erste und größte gedacht, welche mir Deine Zukunft auferlegt. Es ist Zeit, daß ich Dich aus meiner brüderlichen Obhut und persönlichen Fürsorge entlasse, denn kein Lossau soll länger als nöthig in irgend einem abhängigen Verhältniß bleiben; darum habe ich durch meinen Notar in der Residenz eine Urkunde aufsetzen lassen und heute von ihm entgegen genommen, worin Dir die Summe, welche ich Dir von jeher bestimmt hatte und deren Verwalter ich deshalb bisher nur gewesen bin, zu freier Verfügung gestellt wird. Laß sie den Grundstein zu Deiner nunmehrigen Selbstständigkeit bilden!“

Mit diesen Worten übergab er dein Bruder ein Document, worauf Alfred’s Augen erstaunt und verwirrt hafteten: es war die Schenkungsacte über ein Vermögen von zwanzigtausend Thalern! Eine dunkle Röthe flog über das Gesicht des jungen Mannes, und erschüttert von des Bruders Großmuth, warf er sich ihm in die Arme.

„Hermann, nein, es ist zu viel! Nimm Dein Geschenk zurück: ich darf – ich kann es nicht annehmen!“

Hermann lächelte. „Willst Du mich glauben machen, Alfred, daß Du nicht ein Gleiches gethan haben würdest, wenn das Schicksal Dir günstiger gewesen wäre als mir? Oder wiegt der Besitz des Geldes in Deinen Augen so schwer, daß es Dich ein Großes dünkt, wenn ich mich eines Theils desselben entäußere? Das sieht doch keinem Lossau ähnlich!“ – Und dann, aus dein halbscherzenden zu einem innigeren Ton übergehend, fuhr er fort: „Sieh, Alfred, ich bin so grenzenlos reich und glücklich, daß ich mir die Macht eines Gottes wünsche, um Sonnenschein über die ganze Welt zu breiten! Nun Rosalie mein ist, könnte ich auf Alles verzichten, was nicht eben zu ihrem Glücke gehört. Ihr Herz und Deines, Alfred – es sind meine beiden höchsten, heiligsten Güter!“

Alfred war wie vernichtet; – den Bruder, welcher so zu ihm sprach, hatte er dieser Güter berauben, einen ungeheuren Frevel an ihm begehen wollen! Alles, selbst seine Liebe zu Rosalie, trat in diesem einen Augenblick zurück vor dem Gefühl der Schuld gegen den Mann, welcher ihm stets als der reinste und beste auf der Welt erschienen war. Sein plötzliches Erbleichen fiel Hermann auf, und gütig fragte er:

„Was hast Du, Alfred? Hegst Du noch irgend ein Verlangen, einen Wunsch, den ich erfüllen könnte?“

„Vergieb mir, Hermann, vergieb mir, daß ich zum Verräther an Dir geworden bin!“ rief Alfred außer sich; „Rosalie ––“

„Um Gotteswillen, was ist mit ihr? – rede!“ entgegnete Hermann.

„Der Taumel der Leidenschaft riß mich hin – ich habe ihr von Liebe gesprochen, sie in meinen Armen gehalten!“

„Und sie?“ fragte Hermann, während seine Wangen und Lippen bleich wurden wie der Tod.

„Es war nur ein Moment, Hermann, ein Moment, in dem uns die Besinnung schwand, und ich schwöre Dir – –“

„Schwöre nicht,“ fiel Hermann strenge ein, „bis Du mir Alles gesagt hast!“

Mit kurzen Worten erzählte Alfred den Vorgang bei der Eiche und verhehlte dem Bruder nicht, daß er einen Augenblick den wahnsinnigen Glauben gehegt habe, Rosaliens Geschick sei durch eine Fügung des Himmels mit dem seinigen verbunden worden.

„Und nun?“ fragte Hermann immer noch in demselben Ton, als Alfred schwieg und düster zur Erde blickte.

Der junge Mann sah seinem Bruder fragend in die sonst so freundlichen und nun so ernsten Augen.

„Glaubst Du noch,“ fuhr dieser fast schneidend fort, „daß der Himmel Dich und Rosalie für einander bestimmt hat, daß es meine Pflicht ist, dieser höheren Fügung zu weichen?“

„Hermann, es ist keine Buße hart genug, um meine Schuld zu sühnen! Was auch das Gefühl meines Herzens sein möge: ich will es ersticken!“

„Und sie? und Rosalie?“ fragte Hermann, und es lag jetzt eine unendliche Trauer in seinem Ton.

„Sie wird und muß ihren Irrthum erkennen, und ich selbst will ihr dazu verhelfen. Es ist unmöglich, daß sie länger als einen Augenblick mich dem besseren Manne vorgezogen habe!“

Hermann antwortete hierauf nicht sogleich. Er ging einige Male schweigend durch das Zimmer, dann trat er wieder auf den Bruder zu. „Ich glaubte,“ sagte er, „Rosaliens Schicksal in meiner Hand zu halten, sie vor dem Erwachen des Dämons in ihrer Brust, der Leidenschaft, schützen zu können – nun muß ich versuchen, ihr im Kampf mit eben dieser Leidenschaft beizustehen, und Gott gebe, daß es damit nicht zu spät ist! – Dich aber frage ich: wie willst Du Rosalien begegnen?“

„Ich werde sie nicht wiedersehen!“ entgegnete Alfred rasch. „Dies Eine wäre zu schwer für mich – vielleicht für uns Beide!“ setzte er leiser hinzu. „Morgen in der Frühe verlasse ich Lossau und gehe nach der Residenz. Die nothwendige Fortsetzung meiner Studien und die Vorbereitung zu meinem Staatsexamen werden leicht eine genügende Erklärung abgeben.“

Hermann dachte einige Augenblicke nach. „Es sei so!“ sagte er dann. „Vielleicht ist Alles anders, wenn wir uns wiedersehen. Ich sage noch nicht, daß ich Dir verziehen habe, aber sei von dieser Stunde an ein Mann – und Du sollst den Bruder in mir

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_082.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)