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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

wiederfinden. Und nun lebe wohl, Alfred!“ schloß er, indem er dem Bruder die Hand reichte.

„Lebe wohl!“ war Alles, was Alfred noch sagen konnte; dann schritt er der Thür zu. An der Schwelle blickte er noch einmal zurück, und als er sah, daß des Bruders Augen fest auf ihn gerichtet waren, kehrte er um und warf sich ihm in die Arme; doch ward kein weiteres Wort mehr zwischen ihnen geredet.

„In der Frühe des nächsten Morgens reiste Alfred ab, nachdem er dem Diener ein Billet an Rosalie eingehändigt halte, das dieser bei ihrem Erwachen übergeben werden sollte. Es enthielt nur die wenigen Worte: „Wir dürfen uns nicht wiedersehen, Rosalie! Unsere Liebe war Sünde, Sünde gegen den edelsten der Menschen. Seine Verzeihung allein kann uns von unserer Schuld lösen. Kehre zu ihm zurück und mich – vergiß! Vielleicht hilft Gott auch mir – zu vergessen. Alfred.“

Rosalie schlief zu der Zeit, wo die Brüder miteinander sprachen, ruhig und ihre Seele wiegte sich in den lieblichsten Träumen, deren Mittelpunkt immer Alfred war, wie er mit ihr scherzte und plauderte, wie er sie aus einer ungeheuren Gefahr errettete, und selbst im Schlaf berauschte sie sich an den Worten der Liebe, die er zu ihr gesprochen hatte. Es störte sie nicht, daß über ihr die Schritte eines Mannes, den der Schlaf floh, rastlos hin- und herwanderten, daß das Herz dieses Mannes traurig und sorgenvoll war wie nie in seinem Leben und daß sie es war, welche dies treue Herz betrübt hatte bis in den Tod. Und doch dachte er mit unsäglicher Liebe an sie, und sein Gebet in dieser Nacht war: „Mein Gott, laß sie nicht unglücklich werden!“ Immer und immer wieder dachte er es durch, wie Alles kommen und werden müsse, und blieb stets bei dem Gedanken stehen: „Und wenn ich mich selbst zum Opfer bringen wollte – es wäre nicht zu ihrem Glücke! Alfred steht ihr nicht gleich, wenn ihre Natur in ihrer vollen Stärke erwacht. Es könnte die Vernichtung Beider werden!“

Es blieb ihm noch eine schwere Aufgabe: mit Rosalie zu sprechen, aus ihrem eigenen Munde zu hören, daß er ihre Liebe – und vielleicht für immer! – verloren habe, sich Klarheit über ihren ganzen Seelenzustand zu verschaffen, denn so weh sie ihm auch gethan hatte – er fühlte doch, daß sie in diesem Augenblick eines Freundes bedurfte und daß sie keinen anderen hatte als ihn. –

Als er sich am nächsten Morgen zu der schmerzlichen Unterredung nach ihrem Zimmer begab, öffnete sich plötzlich die Thür desselben vor ihm und Rosalie erschien auf der Schwelle, einen offenen Brief in der Hand. Sie war todtenbleich und ihre Augen funkelten in furchtbarer Aufregung.

„Wo ist Alfred?“ rief sie Hermann entgegen.

„Er ist vor zwei Stunden abgereist,“ entgegnete er ruhig.

„Und kehrt nicht wieder?“

„So lange sein oder eines Anderen Seelenfrieden dadurch gestört wird, nicht wieder, Rosalie!“

Sie sah ihn an, als könne sie seine Worte noch nicht fassen, nicht an das glauben, was geschehen war. Er näherte sich ihr und suchte ihre Hand zu fassen.

„Wenn diese Stunde Dir Schmerzen bringen wird, Rosalie, wenn ich es bin, der sie hervorruft, so denke daran, daß ich trotzdem Dein treuester Freund bin und daß ich als ein solcher gekommen bin, um mit Dir zu reden.“

„Sie sah ihn immer noch an, als verstände sie ihn nicht. „Sag’ mir,“ frug sie dann, „ist Alfred fort, um - um meinetwillen?“

„Ja, Rosalie, um Deinetwillen ist er gegangen!“

„Und Du – Du hast ihn von hier getrieben, Hermann?“

„Nein, Rosalie,“ entgegnete er fest, aber immer noch mit mildem Ton. „Er hat mir freiwillig Alles gestanden, was zwischen Euch vorgefallen ist, und was Ihr mir auch gethan habt, nicht mein Zorn, sondern sein eigenes Gewissen, sein wiedererwachtes Ehr- und Mannesgefühl wiesen ihm den Weg, den er gegangen ist.“

Er wollte ihr zur Einleitung einer weiteren versöhnenden Rede die Hand bieten, doch sie stieß dieselbe zurück und es lag etwas wie ein schneidender Hohn in dem Tone, mit welchem sie die Worte hervorstieß:

„O, über sein Gewissen!“

Dann schlug sie beide Hände vor’s Gesicht, während ihr ganzer Körper zuckte wie in einem furchtbaren Krampf.

„Ich weiß, Rosalie, Du liebst Alfred,“ sagte Hermann nach einer kleinen Weile sanft.

Sie ließ plötzlich die Hände von, Gesicht fallen, das bisher marmorbleich gewesen und nun mit einer flammenden Röthe bedeckt war, und rief:

„Ihn lieben?! Nein, Hermann, ich schwöre Dir, daß ich ihn hasse, ihn hasse bis in den Tod, denn er ist ein Feiger und ein Verräther!“

„Rosalie!“ rief Hermann entsetzt über ihre wilde Heftigkeit, entsetzt, daß aus dem halbschüchternen Kinde plötzlich ein leidenschaftliches Weib geworden war.

Sie achtete nicht auf ihn. „Sünde,“ fuhr sie fort, „Sünde nannte er unsere Liebe? Gottes Werk, seine Offenbarung war sie und er wagt es, sie zu schmähen und zu verrathen! Ein Spielzeug war sie ihm, zum Spielzeug hat er mich selbst erniedrigt! O Gott, strafe ihn – strafe ihn, daß er mein Herz zertreten hat, und laß deinen Fluch über ihn kommen!“

„Rosalie, hör’ auf, Du sprichst im Wahnsinn!“ rief Hermann mit starker Stimme.

Sie wandle sich langsam nach ihm um: „Im Wahnsinn? Ja, Hermann, Du hast Recht, es muß Wahnsinn sein, was mich gefaßt hat, denn nichts ist mehr wie es war, ich selbst bin eine Andere geworden und die ganze Welt ist mir versunken in dieser Stunde.“ Düster blickte sie vor sich hin.

„Fasse Dich, Rosalie,“ bat Hermann erschüttert. „Ein starkes Herz darf nicht verzweifeln! Du wirst zu Dir kommen, den rechten Weg erkennen und auch Alfred milder beurtheilen “

„Nie, nie! rief sie, in ihre frühere Aufregung zurückfallend; „was hier brennt, brennt ewig! Und glaubst auch Du, Hermann, daß unsere Liebe Sünde war? So sage ich Dir: er erst hat sie dazu gemacht, als er mich verrathen und verlassen hat! Als Gott sie in unserer Brust erschuf, war sie rein und stark, und frei hätte ich sie bekannt und mein Recht von Dir gefordert, mich ihm geben zu dürfen; denn, Hermann, nicht ich hatte mich Dir genommen: das Schicksal, Gott selbst hatte es gethan, und Du hättest mich nicht gehalten, sondern meiner Liebe Deinen Segen gegeben und wir wären dennoch vereint geblieben, denn Du bist großmüthig und besser als irgend ein Mensch auf Erden. Nun aber müssen auch wir uns scheiden – Dein Weib kann ich nicht werden, Hermann!“

Ein unsäglicher Schmerz legte sich bleich und bleiern auf sein Gesicht und klang aus seinem Worte: „Ich weiß es, Rosalie!“

Sie war auf die Kniee gesunken und drückte ihr Gesicht auf das Kissen eines Stuhls. Nach einer Weile trat er zu ihr und legte seine Hand sanft auf ihr Haupt. „Rosalie,“ sagte er mild, „willst Du mein Kind sein und als solches bei mir bleiben, daß ich Dich behüte und beschirme? Ich schwöre Dir, es soll kein Wort, kein Zeichen Dich daran mahnen, daß es einst anders zwischen uns gewesen ist, es soll Alles ausgethan und vergessen sein!“

Sie schüttelte das Haupt: „Das ist unmöglich für alle Zeit – ich kann nicht vergessen, Niemand kann es!“

„Aber vergeben können wir Alle, Rosalie!“ sagte er ernst.

Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn: „Ich habe Dir Kummer gemacht, Hermann, ich weiß es, und ich wollte Gott danken, wenn er das Gefühl von meiner Seele nehmen könnte. Es ist mir auch, als müsse ich es Dir einst abbitten unter tausend Thränen, aber jetzt – habe Geduld mit mir, Hermann! – jetzt begreife ich noch nicht meine Schuld und fühle nur, daß es die Hand des Schicksals war, welche uns schlug, und daß er - er mich unendlich elend gemacht hat.“

Es war allmählich eine Art von Erschöpfung über sie gekommen und seine ruhige Zusprache begegnete nicht mehr den früheren leidenschaftlichen Ausbrüchen, sondern einer gewissen Starrheit, die nicht recht erkennen ließ, welchen Eindruck sie auf ihr Gemüth machte. Nur dabei blieb sie, daß sie fort von hier müsse, einerlei wohin, nur fort! Und auch als er sie einige Stunden lang sich selbst überlasten halte, indem er viel von der wohlthätigen Wirkung der Ruhe hoffte, beharrte sie bei dieser Erklärung, und das leidenschaftliche Weib verfiel wieder in die fast rührende Hülflosigkeit eines Kindes, als sie ihn bat, sich ihrer anzunehmen und ihr irgend ein Asyl zu bereiten. Es blieb ihm nichts Anderes übrig, als sich ihrer Bitte zu fügen. Er wandte sich an eine ihm bekannt gewordene Dame, die in einer nicht sehr entfernten größeren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_083.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)