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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

dahinglitt. An der Punta dell’ Arcaccio angelangt, erkannte der Solitario zwischen den hohen Steinmassen die phantastisch beleuchtete Gestalt des treuen Froscianti. „Nichts Neues bis zur Felsengruppe des Arcaccio,“ flüsterte dieser ihm aus der Ferne zu. „Ich bin also geborgen!“ erwiderte der Solitario, seinen Nachen mit zunehmender Behendigkeit an den schroffen Klippen vorbeilenkend, bis er einen Punkt erreichte, von wo aus er einen scharfen Blick auf die kleine Insel der Kaninchen, die südlichste der drei Inseln warf, die den Hafen Stagnatello bilden, und alsdann den Beccaccino in nordwestlicher Richtung rasch in die hohe See hinausstieß.

Als der Solitario gewahrte, wie rasch die Mondeshelle zunahm, beschleunigte er seinen Ruderschlag, und, von dem Scirocco getrieben, passirte sein kleines Boot die Meerenge della Moneta mit einer Schnelligkeit, um die ein Dampfschiff es hätte beneiden können.

Bei Mondschein und in einer gewissen Entfernung gesehen, gleicht mehr oder weniger jeder aus dem Wasser emporragende Fels einem Fahrzeuge, und da der Befehlshaber des Rattazzi’schen Geschwaders – um die Boote der Kriegsschiffe, mit welchen er Caprera belagerte, zu vermehren – auf alle Barken der Maddalena Beschlag gelegt hatte, so erschien es, als wimmele der kleine Archipel della Moneta von Schaluppen und Kähnen, die nur bezweckten, einen Menschen in der Erfüllung seiner Pflicht zu verhindern.

Sobald der Solitario die an der nordöstlichen Küste der Maddalena gelegene Isoletta – oder Insel dei Giardinelli (der kleinen Gärten) – erreicht hatte, lenkte er den Beccaccino in das Labyrinth von Felsenriffen, welche sich wie ein Bollwerk vor dem Gestade derselben erheben, und von diesem sicheren Versteck aus betrachtete er genau das vor ihm sich erstreckende mondbeleuchtete Ufer.

Es ist eine Thatsache, daß die Mehrzahl der dienstthuenden Leute fast aller Regierungen bei Tage und in der Gegenwart oder in der vermeintlichen Gegenwart ihrer Aufseher großen Eifer in dem Vollziehen ihres Berufs zur Schau tragen, aber wenn die Nacht eingebrochen ist und diese Aufseher ein gutes Abendessen genossen und dem Bacchus reichliche Opfer gespendet haben – was den Gläubigen ebenso sehr wie den Ungläubigen zuzusagen pflegt – kurz, wenn diese Aufseher ausruhen oder sich belustigen, dann nimmt ihr Diensteifer und ihr Pflichtgefühl bedeutend ab.

Als der Solitario sich vor der Insel dei Giardinelli befand, konnte er die Fuhrt, die sie von der Maddalena trennt, auf drei verschiedenen Wegen erreichen: zu Wasser nämlich, indem er das Inselchen südlich oder nördlich umfuhr, oder, indem er gleich darauf landete und es zu Fuß durchkreuzte. Nach reiflicher Ueberlegung entschloß er sich, Letzteres zu thun.

Ob es dem Verdienste des Beccaccinoführers oder der Saumseligkeit der sorglos schlafenden Wachen zuzuschreiben gewesen sein mag, will ich unerörtert lassen; so viel ist gewiß: der Solitario setzte den Fuß auf die Insel dei Giardinelli nicht nur mit heiler Haut, sondern ohne durch ein einziges „Wer da?“ beunruhigt worden zu sein. Doch er hatte kaum seinen Nachen auf’s Trockene gebracht, so merkte er, daß noch manches Hinderniß ihm den Weg zur Fuhrt erschwerte, indem die Insel dei Giardinelli, die dem Vieh der Maddalena als Weideplatz dient, in verschiedene Verzäunungen abgetheilt ist, die alle von hohen, mit dornigen Reisern besetzten Mauern umringt sind.

Als der Solitario nach vielen Umwegen und halsbrechenden Klettereien die letzte dieser Mauern passiren wollte und mit dem Erklimmen ihres mit spitzen Steinen verrammelten Gatters beschäftigt war, glaubte er jenseits derselben eine Reihe niedergekauerter Matrosen zu erkennen, und wäre dieses auch keine optische Täuschung gewesen, so hätte es ihn nicht überrascht, da ihm auf Caprera schon berichtet worden war, daß mehrere See- und Kriegsleute im Laufe des Tages auf der Insel dei Giardinelli gelandet seien. Der beträchtliche Zeitverlust, den dieser Umstand dem Solitario verursachte, erklärte ihm auch, warum er zwei seiner Freunde, die er unweit der Fuhrt hätte finden sollen, nicht auf ihrem Posten traf.

Erst um zehn Uhr und nachdem er mit scharfforschenden Blicken um sich her geschaut, ob keine feindliche Wachen in Angesicht seien, schickte der Solitario sich an, die seichte Meerenge, welche die Maddalena von der Insel des Giardinelli trennt, zu passiren; er hatte aber keine zehn Schritte zurückgelegt, als von den wachehaltenden Kriegsschiffen ein lautes Rufen, begleitet von wiederholten Flintenschüssen, sich vernehmen ließ, was indessen den Solitario in seinem herzhaften Waten durch die salzigen Fluthen nicht störte. Bald hatte er den kritischen Passus hinter sich und setzte den Fuß auf die Insel Maddalena. Noch ein beschwerlicher Gang stand ihm bevor, da seine mit Wasser angefüllten knarrenden Stiefeln ihm auf dem unebenen Terrain sehr lästig wurden.

Als endlich der Anblick des Hauses der Mrs. Collins dem Solitario die Nähe eines gastlichen Zufluchtsortes verhieß, schritt er aus Furcht, die Villa könne von Beobachtern umringt sein, immer behutsamer vorwärts, und erst als eine Wolke den Mond verschleierte, wagte er es mit seinem schottischen Stocke an eines der nach Süden gelegenen Fenster leise, leise anzuklopfen. Mrs. Collins hatte auf den Glücksstern des Solitario vertraut. Von seinem Vorhaben unterrichtet, lauschte sie in reger Spannung auf seine Tritte, so daß sie bei dem ersten Schlag, den sie an dem Fenster vernahm, zur Hausthür hinaus eilte und ihren alten Nachbar mit ihrem eigenthümlich graciösen Lächeln bewillkommnete. Bald darauf erschien die Signora Nina Massi, die schöne, schwarzgelockte Tochter der Insel Malta.

Wie wohlthuend und erquickend ist nach dem Sturm der überstandenen Gefahren die Aufnahme am sicheren Zufluchtsorte!

Der Solitario pries sich glücklich im Hause seiner Freundin, wo herzliche Pflege und jede Artigkeit ihm zu Theil wurden.


Soweit erzählt uns Solitario, d. h. Garibaldi, der Einsiedler von Caprera, den Anfang seines jüngsten geschichtlichen Erlebnisses, welcher bis jetzt wohl zum größten Theile der Öffentlichkeit verborgen war. Darin, daß diese Enthüllungen aus des gefeierten Mannes Feder geflossen sind, liegt natürlich ihr Hauptwerth, welcher die Mittheilung derselben auch noch jetzt rechtfertigt, wo das kühne Unternehmen mit seinem ganzen Verlauf zu den abgethanen Dingen gehört. Trotzalledem müssen wir alles Uebrige, in Rücksicht auf die Freunde des alten Volkshelden, die ihm auf dein Festlande weiter geholfen, vor der Hand verschweigen.




Plaudereien aus meinem Leben.

Von Karl v. Holtei.

Unter dieser Ueberschrift sollen von Zeit zu Zeit Erinnerungen aus meinem Leben hier mitgetheilt werden. Ein alter Mann, zu solchen Mittheilungen angeregt, hat wohl Acht zu geben, daß er nicht in selbstgefälliges Schwatzen sich verirre; um so schärfer, wenn er bereits ein Langes und Breites aus seinem Dasein erzählte und nun in Gefahr kommt, schon Gesagtes noch einmal vorzubringen. Eine zweite noch drohendere Gefahr liegt in der von kleinen Schilderungen dieser Art unzertrennlichen Nothwendigkeit, über sich selbst zu sprechen, wo man berufen ward über Andere, über bedeutende und interessante Männer oder Frauen zu reden. Mag der Erzähler noch so redlich bemüht bleiben, sich selbst in den Hintergrund zu stellen – ohne Wissen und Wollen wird er genöthigt werden, mit seiner eigenen Persönlichkeit einzutreten, weil eben nur in Beziehung auf diese ihm vergönnt gewesen ist, in Verkehr zu gelangen mit Jenen, deren Wesen, wie es ihm erschien, er flüchtig schildern will.

Da hilft nun weiter keine Vorsicht; beiden Gefahren ist Jeder ausgesetzt, der zu „plaudern“ beginnt, und er muß auf Nachsicht rechnen, welche verständige, billigdenkende Leser ihm nicht vorenthalten mögen. Zuletzt darf auch der Bescheidenste ehrlich mit Goethe eingestehen: „Was habt ihr denn aber, was euch erfreut, als eure liebe Persönlichkeit, sie sei auch wie sie sei?“ –

Gönnen doch Hörer dem Greise, der ihnen aus vergangenen Tagen allerlei vorplaudert, gern Verzeihung für manche mitunterlaufende schwatzhaft-eitle Breite. Weshalb sollte ein ähnlicher Pardon nicht auch von Lesern ertheilt werden, wofern es dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_088.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)