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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

ehrlich-bescheiden fortwährend an seinen Fähigkeiten zweifelt und diese Zweifel niemals quälender empfindet, als kurz vor jedem neuen Versuche. Diese Aufregung ist unbesiegbar. Ja, nach meinem Dafürhalten soll sie es bleiben, ist unerläßlich; denn einzig allein aus ihr entspringt jene Art von Begeisterung, die dem gesprochenen Worte Geist und Seele verleiht, die ihm Kraft giebt, den Hörer gewaltig zu ergreifen und fortzureißen. Wer mit vollständiger Fassung, mit ruhiger Besonnenheit, frei von dem Fieber, welches im Bühnen-Jargon „Lampenfieber“ heißt, an irgend welche Wiedergeburt dramatischer Dichtungen geht, der mag, wenn er’s kann, meinetwegen vortrefflich recitiren, jeden Gedanken des Autors klar machen, aber lebendige Gestalten wird er nicht hervorzaubern, Charakteren wird er nicht ihre ursprüngliche Selbstständigkeit durch inspirirte Sonderung verleihen, Leidenschaften wird er weder schildern noch erregen, wenn er mit stählernen Nerven „an’s Geschäft“ geht, wenn er so gesunden Körpers dabei ist, daß er fieberfrei bleibt. Auf ihn wird man A. W. Schlegel’s Ausspruch anwenden können:

„So gelingt uns, wie man Kuchen backt,
Diese löblich-nützliche Verrichtung.“ –

Jedweder Vertrag eines großen Drama’s muß ein Stück Leben kosten, soll’s wahrhaftig lebendig geworden sein. Dafür gewährt das Gefühl, der Besseren Theilnahme erworben und verdient zu haben, beglückenden Ersatz. Desto niederbeugender ist die Nachwirkung, wenn es fehlschlägt.

Letztere sollte mir diesmal erspart bleiben, denn der sehnlichst Erwartete, hoffend Gefürchtete kam nicht. Bestellt wurde die Absage, als wäre sie aus momentaner Entschließung, durch Unpäßlichkeit veranlaßt, hervorgegangen. Ich hegte die Ansicht, und hege sie noch, daß es von vornherein beschlossene Sache, daß Frau von G. im Geheimniß gewesen sei. Man hatte Michael’s dringendes Gesuch nicht unfreundlich zurückweisen, man hatte mir, der’s überbrachte, kein entschiedenes Nein zu hören geben wollen, man hatte diesen Ausweg erfunden.

Nun lösten sich die Zungen. Es erhob sich laut das allerliebste gesellschaftliche Geschnatter, welches „Conversation“ genannt wird, in allen Tonarten, Tempi, sammt dazu gehörigen Dolces und Fortissimos, es schnatterte so, vom vorhergegangenen Respect der Erwartung befreit, ungebunden fort, bis ich mit meinem feierlichen, im sonorsten Bariton verkündigten „Struensee, Trauerspiel in fünf Acten von Michael Beer“ dazwischen fahrend das Signal zum Stillschweigen gab.

Zwei heiße Stunden! Wie jedesmal, wo der eigentliche innere Antrieb erloschen ist und ein gewisser Zwang an seine Stelle tritt, geschah meinerseits des Guten zuviel. Ich suchte durch Kraftaufwand zu ersetzen, was mir an inniger Wärme fehlte. Wer hätte mir diese mittheilen sollen? Die Weimaraner kannten mich als Vorleser hinreichend, um mich war’s ihnen an diesem Abende wahrlich nicht, um das Stück fast eben so wenig. Ihn hatten sie sehen, hatten beobachten wollen, was für ein Gesicht Er machen würde zu meinen Anstrengungen, ob er mit weit geöffneten Götteraugen menschlich Theil nehmen, ob er, süß-sauer lächelnd, die ihm ohnehin „durch Vermischung schlichter Recitation mit theatralischen Auswüchsen“ verdächtige Neuerung verneinend abweisen werde.

Das fiel nun weg. Und waren Struensee und ich gerade nicht mit gefallen, so hatten wir doch auch nicht besonders gefallen. Beim Souper drehten sich die Gespräche weniger um den eigentlichen Kern dieser Zusammenkunft, als um alle möglichen übrigen Dinge und Personen auf Erden. Ich glaub’s wohl, die Gäste konnten lachen! Sie begaben sich gutgenährt nach Hause, freuten sich auf’s warme Nachtlager, sagten am nächsten Morgen einer zum andern:

„Der Holtei hat gestern nicht gar schön gelesen.“

„Soll denn das Stück hier aufgeführt werden?“

„Ach nein, ich denke nicht.“

Und damit war’s überstanden.

Ich Aermster jedoch that, obgleich leer im Magen, weil ich vor Verdruß nichts zu mir genommen, die Nacht hindurch kein Auge zu, grübelte nur, wie ich einen Brief drehen und wenden könne, der den Verfasser des Struensee glauben mache, daß Goethe, wenn er sich’s auch nicht mit vorlesen ließ, nichts desto weniger umständlichen Rapport über das Stück verlangt habe und das Manuscript zurückbehalte, um es selbst zu lesen!

Beides war keine Lüge. Beides war mir versprochen worden. Aber war seine Gegenwart zur Vorlesung nicht auch versprochen gewesen? Ach Du mein Gott, was für spitzfindige Episteln hat Unsereiner, doch schon im Leben schreiben müssen!

2. Bei Frau von Heygendorf.

Die Sängerin und Schauspielerin Caroline Jagemann, die nachmals hochgefeierte Frau von Heygendorf, war, nach den ersten Liebesanträgen, die Karl August, da er noch Herzog war, ihr gemacht hatte, aus Weimar entflohen. Ein vertrauter Abgesandter wurde ihr nachgeschickt, wie man glaubt, mit der Instruction, des Landesherrn für sie erwachte Leidenschaft in feurigsten Farben darzustellen. Dieser Liebesbote soll noch über die ihm gegebene Freiheit, er soll so weit gegangen sein, dem schönen Flüchtling anzudrohen: längeres Widerstreben werde zu tragischem Ausgange führen, und nur das ersehnte Jawort könne dem Ländchen seinen allverehrten Regenten erhalten. Darauf habe nun Caroline endlich eingewilligt und von diesem Augenblick selbst die Rückkehr beschleunigt, damit ihr „der Entschluß nicht wieder leid werde“.

So ist mir von glaubwürdigen Zeitgenossen erzählt worden. Was daran wahr gewesen, mag wohl Niemand mehr recht gewußt haben. Auch hatte das Verhältniß jenen romanhaften Zauber längst abgestreift. Der Großherzog war ein alter Herr, Frau von Heygendorf (diesen Namen trug sie in der Stadt, auf den Brettern ist sie Madame Jagemann geblieben!) war eine alternde Dame geworden; glühende Leidenschaft hatte sich zu dauernder Freundschaft abgekühlt, was für edelmüthige Beständigkeit von der einen, für kluges Verhalten von der anderen Seite zeugt. Zugestanden, Frau von Heygendorf war die erklärte Geliebte des Fürsten; daß sie aber als solche die Achtung und Zuneigung der Bewohnerschaft, sogar das Wohlwollen der sie tolerirenden Großherzogin lange Jahre hindurch zu bewahren gewußt, das, wie gesagt, zeugt für kluges Verhalten und zugleich für gute Eigenschaften des Gemüthes. Ihr Einfluß auf Karl August ist bis zu dessen Tode derselbe geblieben.

Ich glaube nicht, wenigstens hab’ ich nie darüber klagen hören, daß sie in Regierungsangelegenheiten diesen Einfluß gemißbraucht habe. Von Theaterangelegenheiten läßt sich leider nicht dasselbe rühmen, denn in diese griff sie nicht nur gelegentlich hinein, sondern führte recht entschieden das Regiment. Auf gewisse Weise mag sie das, wenn auch verstecktermaßen, schon gethan haben, als Goethe noch an der Spitze dieser Kunstverwaltung stand; wie ja jene vielbeschriebene siegreiche Protection beweist, welche sie dem Hunde des Aubry de Montdidier und dessen Pflegeeltern und Erziehern, Herrn und Madame Brandt, angedeihen ließ, womit sie gegen ihren dem Titel nach Vorgesetzten den Sieg davon trug und ihn von der Direction verscheuchte. Späterhin war es ihr gelungen, einen Freund, den ihr fürstlicher Gönner großmüthig neben sich duldete, einen nicht unbegabten Sänger, zum Oberdirector des Hoftheaters zu befördern. Und nun hielt sie die Leitung nach beiden Gewalten hin fest, war die Regentin zweier Regenten, von denen der eine, neben seinem kleinen Weltreiche, auch jenes noch kleinere Reich, welches die Welt bedeuten will, zu regieren berechtigt war, sobald er sich, von ihr veranlaßt, darum zu bekümmern Lust zeigte, während der andere Jenem und ihr unterwürfig bleiben und sich eben auch mit der Titulatur des Amtes begnügen mußte.

Mir ist das, wenn schon nicht durch einen Hund, doch durch ein anderes Hausthier klar gemacht worden. Ich hatte ein dazumal in Paris mit großem Succeß gegebenes Scribe’sches Baudeville „la chatte metamorphosée en femme“ nach meiner Art verdeutscht, mit hübschen Melodieen nach meiner Wahl ausgestattet und las es, frischbacken wie’s aus dem Ofen kam, als „verwandelte Katze“ der Frau von Heygendorf vor. Ich befand mich damals im dritten Stadium der Flegeljahre, welches bei mir unerlaubt lange gedauert hat; war naiv kindisch, dummehrlich, mit offenen Augen blind … sonst hätt’ ich wahrnehmen müssen, daß der übertrieben lebhafte Beifall, den meine schwache Arbeit erregte, weniger dem Autor, als dem Wunsche der Spenderin galt, in eigenster wohlbeleibter Person das schlanke, gewandte Kätzchen darzustellen. Davon aber merkte ich nichts, sackte den reichlichen Applaus freudig ein, gelobte Abschriften von Buch und Partitur möglichst rasch aus Berlin einzusenden und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_090.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)