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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Denn daß Ihnen die Spanierin das Glück brachte, ist sicher! Allerdings kam sie mir in dem Moment, wo sie auf Ihre Karte setzte, eher vor wie ein Dämon denn wie ein Engel, aber schön war sie dennoch zum Rasendwerden!“

Alfred suchte sich durch einen Scherz mit den Gefährten abzufinden, von denen er sich am liebsten ganz losgesagt hätte. Es war ihm unerträglich, noch länger in H. zu bleiben, wo jeder Schritt ihm die Fremde noch einmal entgegenführen konnte, aber er sah sich trotzdem gezwungen, der Verabredung gemäß bis zum folgenden Tage zu verweilen und seine innere Beklommenheit, so gut es ging, durch ein heiteres Gesicht und eine leichte Unterhaltung zu verbergen. Die Spanierin sah er indessen nicht wieder, denn sie erschien an dem Tage weder auf der Promenade, noch Abends im Cursaal, und Alfred fühlte daher sein Herz wieder erleichtert, als er am folgenden Morgen H. verließ.

Wenige Tage später hieß es, auch die Fremde sei abgereist, doch vermochte Niemand zu sagen, wohin sie sich gewandt habe.

Die flüchtige Begegnung mit der schönen Frau, in welcher Alfred die wieder erkennen mußte, für welche sein Herz einst leidenschaftlich geglüht und die er dann verlassen hatte, weil er es seiner Ehre und der Pflicht gegen seinen Bruder schuldig zu sein glaubte, hatte ihn zwar anfangs fast tödtlich erschreckt, aber bei seiner leichtlebigen Natur hatte er den Eindruck rasch überwunden, und wie jenes Gefühl seit Jahren aus seiner Brust gewichen war, so hatte ihm die unerwartete Erscheinung fast nur die Erinnerung eines bösen, unheimlichen Traumes hinterlassen. Um derartigen Erinnerungen und Empfindungen aber großen Einfluß auf sich zu gestatten, dazu gehörte er viel zu sehr dem Leben an und einem Leben, das durch seine kürzlich geschlossene Verlobung ein doppelt heiteres für ihn geworden war. Sein ausgezeichnet heller Kopf, seine besonderen Fähigkeiten hatten ihm früh eine glänzende Carriere eröffnet und die von Allen anerkannte Liebenswürdigkeit seines Wesens, seine gewandten Formen nicht wenig dazu beigetragen, seine Stellung nach allen Seiten hin zu befestigen, so daß seine Freunde ihn scherzend einen Liebling des Glücks zu nennen pflegten, dem namentlich kein weibliches Herz zu widerstehen vermöge.

Der ältere Lossau, welcher sich längst mit dem Bruder ausgesöhnt und es ihn nicht hatte entgelten lassen, daß sein eigenes Lebensglück an ihm gescheitert war, hatte zu diesem gefährlichen Ruhm oft den Kopf geschüttelt und als besorgter, väterlicher Freund über die in dieser Beziehung etwas leichten Grundsätze Alfred’s nicht selten einen ernsten, sogar strengen Tadel ausgesprochen. Doch auch er mußte sich sagen, daß er ihn nicht zu bessern vermöge, und sein Wort war: „Nur eine wahre, tiefe Liebe vermag ihn zu heilen, und Gott gebe, daß er bald einen würdigen Gegenstand für dieselbe finde!“ Groß war daher seine Freude, als Alfred, welcher kürzlich zum Legationsrath ernannt worden war, ihm mittheilte, daß er von der Neigung zu einem jungen Mädchen, das einer angesehenen Familie angehörte und das auch Hermann als schön und edel kannte, besiegt worden sei und von ihr das Geständniß der Gegenliebe erlangt habe. „Es ist dies einer der schönsten Tage meines Lebens!“ rief er aus, als er den Bruder glückwünschend in die Arme schloß. „Will’s Gott, sehe ich jetzt ein neues Glück und ein neues Geschlecht um mich her aufblühen und weiß dann auch, wofür ich selbst gewirkt, geschafft und gearbeitet habe!“ Dann verhieß er, in wenigen Wochen nach der Residenz zu kommen, um die Braut Alfred’s näher kennen zu lernen und sich ihr selbst als Bruder vorzustellen.

Ein Auftrag, den er dem jüngeren Bruder an seinen Bankier in der Residenz mitgegeben, führte Alfred etwa vierzehn Tage nach seiner Rückkehr zu diesem, und da die Herren sich außerdem kannten, so verweilten sie noch einige Zeit in freundschaftlichem Gespräch in des Bankiers Arbeitszimmer. Da hörte der Erstere plötzlich außen auf dem Corridor eine ihm wohlbekannte, volle und tiefe Stimme an einen Diener die Frage nach dem Bankier Melsing richten, und ehe er sich noch von seiner Ueberraschung erholen konnte, wurde von diesem die Thür geöffnet und Rosalie trat ein.

Der Bankier, welcher sie schon kannte, empfing sie mit der größten Artigkeit, und nachdem er sie zu einem Sitz geleitet hatte, stellte er Alfred der Dame vor, indem er diese zugleich als Frau Baronin von Brinkhorst bezeichnete. Ohne ihm Zeit zu einer Anrede zu lassen, sagte sie:

„Wir haben uns schon gesehen! Erst vor Kurzem – bei einer flüchtigen Begegnung in H. Herr von Lossau wird sich vielleicht erinnern.“

Der Ton, mit welchem sie sprach, war so vollkommen ruhig und gleichgültig, ihre Haltung, ihre Miene so durchaus kalt und unbewegt, daß Alfred nicht wußte, ob das unangenehme Gefühl über die Verleugnung jeder Empfindung stärker in ihm war, oder die Bewunderung der Weltdame, welche sich und ihn über das Peinliche des Wiedersehens mit einer solchen Sicherheit hinwegzuhelfen wußte. Sie ließ ihm auch kaum Zeit, ihr anders als durch eine Verbeugung zu antworten, und wandte sich sofort an Melsing, der von ihr mit der Führung eines Geschäfts beauftragt war und ihr darüber eine Auskunft zu geben hatte, welche ihn nöthigte, einige Papiere herbeizuholen.

Alfred war schon im Begriff, dem unwillkommenen Zusammentreffen zu entfliehen, als der Bankier sich mit den Worten an ihn wandte:

„Ich darf wohl die Bitte wagen, lieber Lossau, daß Sie der Frau Baronin bis zu meiner Rückkehr, die nur wenige Minuten kosten wird, Gesellschaft leisten!“ und er sah sich zu der Erklärung gezwungen, daß ihm dies ein besonderes Vergnügen gewähren würde.

Kaum hatte der Bankier Beide verlassen, so sagte Rosalie:

„Es ist mir lieb, daß ich einen Augenblick mit Ihnen allein bin, denn ich habe über eine Angelegenheit mit Ihnen zu sprechen, welche zu den Veranlassungen meines Hierseins gehört und zu deren Erledigung mir trotz der bereits achttägigen Dauer desselben die Gelegenheit fehlte.“

Sie sprach dies mit der unveränderten Gelassenheit, welche sie bei ihrer ersten Anrede zur Schau getragen hatte und die ihm das Blut zum Kochen brachte. Hatte er je mit dem Gefühl der Schuld an diese Frau gedacht, so war dasselbe in diesem Augenblick ausgelöscht und sein Gedanke nur, daß um ihretwillen der Bruder ein einsames, freudloses Leben führte; den Antheil, welchen er selbst daran hatte, meinte er durch seine Reue gebüßt zu haben, dies Weib aber darum hassen zu dürfen! Er nahm sich vor, ihr eine eben so feste, kalte Stirn zu bieten, wie die, mit der sie ihm entgegen trat, und es klang daher nichts als eisige Höflichkeit aus seiner Erwiderung:

„Ich stehe zu Ihren Befehlen, gnädige Frau!“

„Sie erinnern sich gewiß noch,“ fuhr sie fort, „daß wir Beide einst, halb von menschlichem Mitgefühl bewegt, halb einer romantischen Grille folgend, Pathenstelle bei einem armen Kinde übernahmen und für sein ferneres Schicksal zu sorgen versprachen. Die Romantik ist nun allerdings längst verflogen,“ setzte sie mit einem eigenen Lächeln hinzu, „aber da ich nie vergesse, was ich einmal versprochen habe, möchte ich jetzt nachholen, was mich die Verhältnisse bisher zu unterlassen zwangen. Ich habe den Plan, jenes Kind als das meinige anzunehmen und zu erziehen, sofern die Familie dazu ihre Einwilligung giebt. Da ich aber Niemandes Rechte zu beeinträchtigen gedenke, sollte ich, bevor ich weitere Schritte thue, wissen, ob Sie selbst, der Sie in dem gleichen Verhältniß zu dem Kinde stehen, mir entgegen treten würden, wenn ich meine Absicht zur Ausführung brächte.“

„Es kann mir nicht in den Sinn kommen, Ihnen dabei in irgend einer Weise hinderlich sein zu wollen!“ entgegnete Alfred, der etwas Anderes aus dem Munde der schönen Frau erwartet haben mochte.

„Ich danke Ihnen,“ sagte sie einfach, „und da dies abgemacht ist, darf ich Sie vielleicht auch um die Namen der Familie und ihres Wohnortes bitten, da ich beide entweder nicht gehört oder wieder vergessen habe und in Verlegenheit bin, wie ich sie erfahren soll.“

Auch diese Bitte war so einfach, daß Alfred bedauerte, ihr darüber nicht gleich Auskunft geben zu können, da er selbst seit Jahren weder an das Kind, noch an den ganzen Vorfall gedacht hatte, doch trieb ihn die natürliche Höflichkeit unwillkürlich zu der Bemerkung, daß es ihm leicht sein würde, durch eine Nachfrage an entsprechender Stelle das Gewünschte in Erfahrung zu bringen.

„Sie werden mich durch dieselbe verpflichten,“ entgegnete sie. „Nur bitte ich, dabei nichts von meinem Vorhaben zu erwähnen, da ich die einleitenden Schritte selbst thun möchte. Sobald Sie die erforderliche Auskunft erhalten haben, bitte ich Sie, nur dieselbe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_098.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)