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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

mitzutheilen, wenn Sie nicht etwa vorziehen sollten, sie mir durch meinen gegenwärtigen Geschäftsführer, den Advocaten C., zukommen zu lassen.“

Es war Alfred fast, als spräche sie die letzten Worte mit einem gewissen Hohn, als erwarte sie, daß er nicht wagen würde, sich ihr persönlich wieder zu nähern, und dadurch gereizt entgegnete er rasch:

„Sie dürfen nicht zweifeln, gnädige Frau, daß ich Ihnen die Mittheilung selbst machen werde, sobald ich erst etwas Gewisses erfahren habe!“

In demselben Augenblick trat der Bankier wieder in’s Zimmer, gerade früh genug, um noch die letzten Worte des Gesprächs verstanden zu haben, das Rosalie nun abbrach, indem sie sich rasch wieder an Melsing wandte, noch Einiges mit ihm besprach, was auf ihr Geschäft Bezug hatte, und sich dann mit einer Verbeugung den beiden Herren empfahl.

„Nun, Lossau,“ sagte der Bankier lachend, nachdem er seinen schönen Gast artig zum Wagen geleitet hatte und zu Alfred zurückkehrte, „was ich von Ihnen sagen soll, weiß ich nicht! Kaum laß ich Sie fünf Minuten allein, so theilen Sie schon ein Geheimniß mit der schönen Frau! Wenn das Ihre Braut erführe!“

Alfred fühlte sich unangenehm berührt. Er öffnete bereits den Mund zu einer Erklärung, besann sich aber, daß er nicht berechtigt sei, über Rosaliens Angelegenheiten zu reden, und daß sie selbst ihm gewissermaßen Schweigen auferlegt hatte, daher suchte er sich mit irgend einem Scherz zu helfen, der aber nicht recht unbefangen lauten wollte und nur ein Lächeln auf dem Gesicht des Bankiers hervorrief, welches nicht diesem Scherze selbst galt.

Das Gefühl der Verstimmung wurde noch stärker in Alfred, als er sich späterhin des Versprechens erinnerte, das er der Baronin gegeben hatte, einen Schritt in ihrer Angelegenheit zu thun, aber obwohl er jetzt seine Uebereilung bereute, fühlte er sich doch an sein Wort gebunden, und um nur so schnell wie möglich jede weitere Beziehung zu ihr abbrechen zu können, schrieb er noch am nämlichen Tage jenem Pfarrer, welcher das Kind damals getauft hatte, und bat ihn um die von Rosalie gewünschte Auskunft, wobei er nicht verschwieg, daß es sich um das besondere Interesse der Kleinen handle. Die Antwort traf auch in kürzester Zeit ein und erhielt den nöthigen Nachweis, zugleich aber auch die Mittheilung, daß das kleine Röschen, welches zu einem ungewöhnlich reizenden Kinde herangeblüht gewesen, vor einigen Tagen an einer plötzlichen Krankheit gestorben sei.

Alfred begab sich mit dieser Kunde unverzüglich nach dem Hotel, wo Rosalie wohnte und eine Reihe eleganter Zimmer für sie eingerichtet war. Er wurde in eins derselben geführt und gebeten, auf die Baronin zu warten, die man benachrichtigen wolle. Schon beim Eintreten wußte er, daß sie im Nebenzimmer sei, denn es drang Gesang zu ihm herüber – und er kannte die Stimme. Daß es ein spanisches Lied war, was sie sang, dasselbe, welches sie ihm einstmals so oft vorgesungen hatte, war vielleicht ein Zufall, aber er mußte bei dem Liede an ein junges, schönes Mädchen denken, mit dunklen Locken und feurigen, doch unendlich sanft und träumerisch blickenden Augen; er sah es vor sich im Kahn sitzen, den er auf dem kleinen Lossauer See ruderte, während dieselben weichen, vollen Töne über ihre Lippen drangen, die er jetzt hörte, – und er mußte zugleich daran denken, daß er sich oft gefragt, ob es etwas Schöneres und Lieblicheres auf der Welt geben könne, als sie. In diesem Augenblick verstummte der Gesang; Rosalie mußte die Meldung seiner Anwesenheit erhalten haben.

In der nächsten Minute hob eine Hand die schweren Vorhänge, welche den Eingang in das Nebenzimmer verhüllten, und die prächtige Gestalt der Baronin erschien auf der Schwelle. Wie aus einem Traum erwachend, blickte Alfred ihr entgegen: das war nicht das junge, liebeglühende Geschöpf, das er einst – und er fühlte es wieder, mit welcher Gluth! – in seinen Armen gehalten – dies war eine Juno, mächtig und von imponirender Schönheit, aber ohne Herz und ohne Empfindung, für die Liebe eines Mannes nicht geschaffen.

Sie begrüßte ihn mit einer leichten Neigung des Hauptes, ohne daß ihre Züge die geringste Ueberraschung oder sonstige Erregung verrathen hätten, und lud ihn dann durch eine Handbewegung zum Setzen ein. Er sagte, daß er gekommen sei, um ihr das Resultat seiner Nachfrage mitzutheilen, das aber leider kein erfreuliches sei, denn wenn er jetzt auch die Namen nennen könne, müsse er hinzusetzen, daß dieselben nur noch auf eine Gestorbene Bezug hätten.

„Todt?“ rief sie aus und ward mit einem Male leichenblaß, „wollen Sie sagen, das Kind sei todt?!“

Er sah sie erstaunt an – woher die plötzliche Bewegung dieser Frau bei einer Mittheilung, die ihn selbst kaum oberflächlich berührte? Hatte sie ja doch gleich ihm das Kind nie wiedergesehen, bis zu diesem Augenblick nicht einmal seinen Namen gewußt! Sie ließ ihm aber keine Zeit, seiner Ueberraschung Worte zu leihen, denn mit fast ängstlicher Hast forschte sie weiter:

„Wissen Sie, wann es gestorben ist?“

„Der Pfarrer schreibt, daß es erst in diesen Tagen geschehen ist; wenn ich nicht irre, giebt er sogar Zeit und Stunde genau an,“ entgegnete Alfred und nahm mit diesen Worten den Brief aus seinem Portefeuille, um der Baronin die betreffende Stelle mitzutheilen.

„Meine Ahnung!“ sagte sie düster und halb vor sich hin, „es ist genau die Stunde, wo ich mit Ihnen bei Melsing zusammentraf und Ihnen meine Absichten auf das Kind mittheilte! O, ich habe Unglück!“

Die letzten Worte waren mit einem so tiefen Schmerz gesprochen, daß Alfred sich wider seinen Willen bewegt fühlte. Theilnehmender, als er selbst für möglich gehalten hätte, sagte er:

„Ihnen lag viel an der Ausführung Ihrer Pläne?“

„Ja!“ sagte sie und sah ihn wieder ruhig, aber kalt an. „Ich wollte lieben, um dereinst wieder geliebt zu werden! Mein Leben ist arm!“

Das unerwartete Geständnis; aus dem stolzen Munde erschütterte Alfred. Es klang wie der Klageruf über verlorenes hoffen, verlorenes Glück, und es war ihm, als müsse der nächste Augenblick einen Richterspruch über ihn bringen, der dies Hoffen getäuscht, dies Glück vernichtet hatte. Allein Rosalie schien es bereits zu bereuen, auch nur eine Secunde lang ihrer Empfindung nachgegeben, Alfred einen Blick in ihr Inneres gegönnt zu haben, denn sie brach plötzlich ab und lenkte die Unterhaltung auf ein anderes Gebiet, wobei sie geschickt jede Anspielung, jede Erinnerung an die frühere Zeit, an das Verhältniß, in welchem sie einst miteinander gestanden hatten, zu vermeiden wußte, so daß es Alfred allmählich wohl in ihrer Nähe ward und er sich zu aufrichtiger Bewunderung des Geistes und der Liebenswürdigkeit der schönen Frau hingerissen fühlte. Und als er sie endlich verließ, athmete er hoch und frei auf, denn es war ihm jetzt, als habe er Jahre lang eine schwere Last auf der Brust getragen und es sei diese plötzlich von ihm genommen, ja, als sei seinem Leben ein neuer Reichthum geschenkt worden, denn die Frau, welche er lange Zeit hindurch aus seinem Gedächtniß zu tilgen versucht, die ihm bei der ersten Begegnung fast feindlich gegenüber getreten war, hatte ihm jetzt statt Groll Freundlichkeit gezeigt, und in seinem Geist dämmerte schon ein neues, schönes Verhältniß auf, wo eine edle Freundschaft sie mit ihm und seinem Hause verbinden würde. Er dachte daran, daß er im Begriff stand, sein Haus zu gründen, es mit Allem zu versehen und zu umgeben, was ihm die Stätte zu einer behaglichen und glücklichen machen konnte. Auch an seine Braut dachte er und wunderte sich selbst darüber, daß ihn in diesem Augenblick der Gedanke nicht mit der gleichen Wonne erfüllte wie sonst. – Stellte er vielleicht unwillkürlich die beiden Frauengestalten im Geist neben einander, seine sanfte, blonde, zärtliche Helene neben Rosaliens prächtig-stolze Erscheinung, und sagte sich, daß sie nimmer zu einander passen, nie Freundinnen würden sein können? Jedenfalls sprach er zu der ersteren, als er später zu ihr ging, nicht von seinem Besuch bei der Baronin.

Ihn selbst aber trieb es bald unwiderstehlich, sich wieder und immer wieder an den Strahlen des funkelnden Gestirns zu sonnen. Nicht lange – so wußte und sprach man davon in der Stadt, daß Alfred sich um die Gunst der schönen Spanierin bewerbe. Durch Melsing, der die kleine Scene in seinem Hause nicht vergessen und eben so wenig versäumt hatte, sie weiter zu erzählen, war man zuerst aufmerksam auf das Verhältniß geworden; die beiden zurückgekehrten Officiere hatten dann das Abenteuer in H. zum Besten gegeben, und so hatte sich rasch ein Stadtgespräch entwickelt, das Wahres und Erdichtetes durcheinander warf, und die allgemeine Aufmerksamkeit war auf die Betreffenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_099.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)