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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Und in der Geisterstunde erwacht ein steinern Kind
Und fragt: Wer wohl die Schläfer auf unsern Gräbern sind?
Der Rosenstrauch giebt Antwort: Die schlafen so wie Du,

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Der Tod der Schlachten drückte die Heldenaugen zu.


Ein steinern Weib daneben: Wer schlug allhier die Schlacht?
Hielt an des gleiches Marken das Heer so schlechte Wacht?
Antwortet drauf der Flieder: Das that kein fremdes Schwert,
Es haben gegen Deutsche hier Deutsche es gekehrt.

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Da schüttelt ein Mann sein steinern ergrauet Haupt und spricht:

So giebt’s ein einig Deutschland noch diese Stunde nicht? –
Der Friedhofrasen flüstert: Ich decke im deutschen Land
Mehr Krieger, gefallen von deutscher als fremder Feindeshand!

Die Nacht entweicht. Die Stätte grüßt frischer Morgenhauch.

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Die Geister schlafen wieder, die Todten schlafen auch. –

Wohl stillere Gesellschaft ist nirgend weit und breit. –
Ist dies die letzte Klage, die so zum Himmel schreit? –

Friedrich Hofmann.


Im Hause Robert Stephenson’s.
Von M. M. von Weber.
II.

Die Erwarteten traten bald hinter einander ein. Zuerst Swinburne, von dem die Pläne zu den Eisenbahnen über die Landenge von Suez und durch den Mont Cenis herrühren und der soeben Bauarbeiten an ersterer geleitet hatte. „Oh, an arabian chief!“ (O, ein arabischer Häuptling!) rief Miß Stephenson, als er mit gewaltigem Barte um Mund und Kinn, von der afrikanischen Sonne gedunkeltem Teint, fast turnerhaft muskulöser Statur, leichter Haltung und durchaus continentalem Gebahren auf sie zukam und sie begrüßte. Es befremdete mich daher kaum, als er mich in geläufigem Deutsch ansprach. Am Arm von Stephenson’s altem behaglichem, krummnasigem, krausköpfigem Factotum Starbuck hing eine junge Dame wie eines jener Bilder auf Dosen und Almanachs, aus deren langovalen Gesichtern, goldnen Locken und großen Augen sich schwärmende Gymnasiasten ihre Ideale componiren. Die wunderbaren Schultern mit dem Grübchen, der goldige Hinterkopf der Hagar und der graue Bart Abraham’s auf jenem köstlichen Bilde van der Werff’s auf der Dresdener Galerie fiel mir ein!

Der Letzterscheinende war, wie in der guten Komödie, der Held des Tages, der Amerikaner Stevenson, den sein edler Halbnamensvetter mit prächtigem, herzlichem Respect begrüßte und, als sei er die Dame seines Herzens, uns Allen voran, am Arm nach dem Speisesaale führte, dessen Thüren in dem Augenblicke sich öffneten, wo der Amerikaner in’s Zimmer trat.

Unter des Ritter Marochetti neidischem Blicke, dem, als dem ältesten von uns Fremden, die Ehre zufiel, die höchst vortreffliche Miß Stephenson zur Tafel zu geleiten, legte Mistreß Starbuck ihren kleinen weißen Handschuh in die Biegung meines Armes, daß es aussah, als säße eine weiße Maus zwischen den schwarzen Tuchfalten. Nur eine hochhängende Krone mit Moderateuren (keinem Gas) beleuchtete diesen Raum und sammelte ihr Licht auf dem von Silber, Krystall und Blumen glänzenden Tische. Dichte Gardinen von dunklem Stoffe schlossen den Rest des Tageslichtes aus, auf den dunkeln Sammettapeten der Wände zog kein Bild, kein Spiegel die Aufmerksamkeit vom Genusse der Tafel ab, diesen in jenem weitesten Sinne genommen, der den des belebenden Rundgespräches mit einschließt.

Der tiefdunkle Hintergrund der Wände ließ die schwarzgekleideten Gestalten der den Tisch lautlos umschreitenden Dienerschaft fast verschwinden und die gewandten weißen Glacéhandschuhe derselben tauchten wie Zauberhände ohne Körper aus demn Nichts auf, um uns zu bedienen. Swinburne bedauerte lachend, daß die Diener nicht auch Schwarze und taubstumm wären, denn „dann wären sie eigentlich gar nicht da“. So hatte der große Ingenieur mit feinem, epicuräischem Sinne es verstanden, seine Tafel, den Ort, wo er die behaglichsten Stunden seines reichen Lebens genoß, gleichsam auf ein „absolutes für sich sein“ hinzuführen. Bald klang die Stimmung harmonisch mit dem Raume zusammen; das Licht glänzte auf den erheiterten hohen Stirnen der Esser, zwischen deren markigen, kantigen Gesichtern von dunklem Farbenton das weiche, helle Köpfchen der jungen Frau wie eine Blume zwischen Basaltsäulen blühte. Die beiden berühmten Namensbrüder saßen oben am Tisch zusammen, dann die Damen, Marochetti und ich, und dann die einheimischen Ingenieure, sämmtlich Schüler Stephenson’s, die seitdem längst zu berühmten Männern geworden sind.

Die Gegenwart von Damen, bei denen überdies wohl ein Interesse für die Welt der Erscheinungen, in der ihre Angehörigen thätig waren, vorausgesetzt werden dürfte, konnte es unter so vielen Fachgenossen nicht hindern, daß die Rede auf den Verkehr und seine Straßen fiel, ohne daß der gute Tact der Genossen dieser Tafelrunde ein zu trockenes Fachgespräch sich entwickeln ließ.[1]

„Was ist viel über die Verschiedenheit des Charakters der Verkehrsanstalten in den verschiedenen Ländern Europas zu sagen!“ rief Swinburne ans. „Dort Tunnel, hier Brücken, dort Dämme, hier Einschnitte, dort bequeme Wagen, hier schlechte, dort etwas schnellere Fahrt und einige Unfälle, hier langsamere Fahrt und einige Sicherheit mehr, dort ein paar Millionen Centner Güter, ein paar Millionen Menschen mehr gefahren als hier, die Hauptphysiognomie des Ganzen bleibt immer fast dieselbe.

„Aber der Bahnbau in einem heißen Klima – das ist Contrast. Er verhält sich zu einem solchen in Europa wie der Verkauf Joseph’s durch seine Brüder zu dem Engagementscontract einer Primadonna. Wir Alle wissen, daß allein die Durchführung der Enteignungsgesetze im Parlamente den Eisenbahngesellschaften in England so viel Geld gekostet hat, daß das neue Parlamentshaus dafür hätte gebaut werden können. Und dann der Grunderwerb selbst! Das ist in Aegypten weit einfacher! – Der Vicekönig befiehlt, man jagt die halbnackten Araberfamilien aus ihren Hütten und schüttet ihnen im nächsten Augenblicke einen Damm darüber. Die Nacht wird zum Arbeitstage und die glühende Sonne des Tages brennt das Mauerwerk, das die Nacht vorher aus Lehm und Strohhäcksel aufgeknetet wurde und über dessen Dauerhaftigkeit uns die Pyramiden von Daschur und Sakhara beruhigen. Die nackten Nachkommen der Troglodyten und Ichthyophagen, die nubischen und abessinischen Arbeiter verlachen den Luxus von Karren und Wagen. Wie zu den Zeiten des Busiris und Möris und mit denselben schaufelartigen Hacken, die wir auf den Mauern des Tempels zu Karnak abgebildet sahen, laden sie die Erde in halbrunde Schilfkörbe, die ihnen Weib und Kind flechten, und tragen sie auf dem Kopfe, wie ebenfalls dort abgebildet, in langen Reihen Mann hinter Mann trabend, mit einem eintönigen Gesange, den sie wahrscheinlich von den geplagten Kindern Israels beim Baue der Canäle zu Memphis vor vierthalbtausend Jahren gelernt haben mögen, an Ort und Stelle. Die Masse der Arbeiter muß die Qualität, Kameel und Esel mit Doppelkörben an den Seiten die Erdtransportkarren ersetzen. Durch die dunkelklaren afrikanischen Nächte ziehen, wie unabsehbare Reihen von Schatten, Menschen, Maulthiere, Esel und hochtragende Kameele gemischt, Erde und Stein schleppend dahin, unter dem wüsten Getön jener Gesänge, hie und da durchbrochen von dem Wiehern eines Pferdes oder dem Grunzen eines Kameels, oder noch häufiger durch das Aufbrüllen eines Menschen oder Thieres unter dem Streiche der Peitsche, nach dessen Klatschen der Erfahrene ermißt, ob er auf das Fleisch von Mensch oder Thier gefallen ist. Nur die Sclaveneigenthümer werden wirklich bezahlt, und ich fürchte, sie geben ihren Ehrensold blos in Maisbrod und Prügeln weiter.“

Trotz seiner guten Nerven hatte es Swinburne nicht lange in Aegypten ausgehalten. Der Revers dieses Bildes kam zur

  1. Das Gespräch an Stephenson’s Tafel ist in allen Hauptsachen so getreu wie möglich am Abende nach dem Diner notirt und nur, so weit es der Zweck hier erfordert, in Nebendingen etwas modificirt worden.
    Der Verfasser.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_102.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)