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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

wo ein Plätzchen zu finden ist, an dem man es hegt und pflegt und dieser Pflege auch gern wohl ein Opfer bringt.

Vor Allem findet sich jedoch das muntere Volk der Meisen, klein und groß, auf unserer Fensterfütterung zahlreich ein: die schmucke, große Kohlmeise, die herrschsüchtige, kräftige Spechtmeise, das niedliche, zaghafte Tannen- oder Harzmeischen, die boshaft-tückische Blaumeise, seltener Hauben-, Sumpf- und Schwanzmeisen. Alle lassen sich’s wohl sein, wenn es auch nicht immer friedlich und rechtlich beim Schmause hergeht; denn auch hier, wie so oft im Menschenleben, muß der Friedlichere und Schwächere dem Unverschämten und Mächtigen weichen. Legt man ihnen einen Knochen mit Knorpel oder Fett hin, so ist dieser ganz besonders ein Gegenstand fortwährenden Streites und Kampfes, eines beständigen Drängens und Treibens. Begierig sucht sich jedes den besten Bissen abzumeißeln, was natürlich der Spechtmeise mit ihrer kräftigen „Keilpicke“ am leichtesten gelingt. Die in den Zweigen aufgebundenen Nußstückchen und Haferkränzchen werden entweder hängend und schaukelnd aufgepickt, oder zierlich zwischen die Krällchen gefaßt und auf dem Rande der Fütterung, meistens aber auf den nächststehenden Bäumen, verzehrt. Kurz, es ist ein gar lustiges und überaus anmuthiges Schauspiel, das sich tagtäglich an unserer Gasttafel erneuert.

Sobald indeß der Schnee verschwindet, werden unsere Fütterungen seltener besucht; die meisten unserer Schützlinge gehen dann, die Almosen verschmähend, in den Gärten und Feldern der von Natur ihnen angewiesenen Nahrung nach. Neue Freuden für uns und reiche Segnungen für die Fluren erblühen aber, wenn wir dafür sorgen, daß es unsern Wintergästen späterhin nicht an Gelegenheit zum Nisten fehlt, sie werden sich dann um so lieber auch häuslich bei uns niederlassen und den Sommer über in unserer Nähe verweilen.

Dies erreicht man am sichersten dadurch, daß man einestheils für die kleinen Sänger an geschützten, ruhigen Orten dichte Laubhecken anlegt, anderntheils für die Höhlenbrüter, namentlich Meisen, alte, hohle Bäume stehen läßt und zu Vogelwohnungen herrichtet. Wer dies aber nicht in seiner Umgebung hat oder nicht dulden mag, der kann auch dafür in zweckmäßigen Nist- und Brutkästen einigen Ersatz bieten.

Gelingt es uns, recht viele Miethsleute für unsere „Arbeiterquartierchen“ herbeizuziehen – welcher Genuß erwächst uns daraus! Schon das Beobachten dieser reizenden, immerfrohen, ewig regsamen Thierchen mit ihren heitern Sangesweisen, das Belauschen beim Bauen, Brüten und Füttern gewährt ein stilles, inniges Vergnügen. Und welch’ eine Freude erst, wenn die kleinen Nimmersatte, eins nach dem andern, als wollte es gar kein Ende nehmen, fröhlich piepend aus ihren Löchern schlüpfen, sich auf den nächsten Zweigen in Reih und Glied niederlassen oder mit lebhaftem Gezirpe schaarenweis von Baum zu Baum schwärmen, während die Alten in der emsigsten Geschäftigkeit sorglich um sie herflattern, fütternd, schützend und warnend!

So gewährt das Hegen und Pflegen unserer Wintergäste nicht nur hohe, reine Naturfreuden, sondern trägt auch wesentlich dazu bei, daß im Frühjahr Gärten und Fluren, von zahlreichen Sängern belebt, von Insectenfraß verschont, im schönsten Grün und vollster Blüthenpracht prangen.

Gewiß, es bedarf für den Naturfreund keiner besonderen Aufforderung, unsern befiederten Lieblingen, vor allen aber den Wintergästen, jeden möglichen Schutz angedeihen zu lassen.




Blätter und Blüthen

Zum ersten Mal von einem überseeischen Unternehmen deutscher Hand und deutschen Capitals berichten zu können, gehört zu denjenigen Erscheinungen in Deutschland, welche wir dem Aufschwung zu nationalem Bewußtsein in allen Volkskreisen verdanken. Wir brauchen unsere Leser nicht an die Zeit zu erinnern, wo bei uns Volk und Industrie in der Dienstbarkeit vor dem Ausland sich gegenseitig zu übertreffen suchten. Wem es seine Mittel erlaubten, schmückte sich und sein Haus mit Erzeugnissen französischen Geschmacks oder englischer Kunstfertigkeit. Ein Hut konnte nur von Paris gut sein, ein Bleistift nur aus England. Um ihre Werkstätten nicht schließen zu müssen, arbeiteten viele der geschicktesten deutschen Handwerker und Künstler entweder für französische und englische Häuser, oder erkauften sich die Erlaubniß, ihre Erzeugnisse mit deren Firmen auszustatten. Ein Herzog von Coburg brachte einen Sattel von Paris mit heim und zeigte ihn seinem Hofsattler als eine Musterarbeit, aber zugleich mit dem Bedauern, daß, wenn etwas daran reiße, hier Niemand es ihm so trefflich wiederherstellen könne. Der Mann betrachtete das Werk mit eigenthümlichem Wohlgefallen und ersuchte Se. Durchlaucht, eine kleine unscheinliche Naht öffnen zu dürfen. Sie wurde gegeben, und der Herzog las mit Staunen die Firma seines Hofsattlers. „Ja, Durchlaucht, wenn meine Sättel erst in Paris waren, sind sie zehnmal mehr werth, als von hier,“ sagte mit vollem Recht der deutsche Meister. Und ebenso überzeugt vom Werth des Fremden pries einmal Alexander von Humboldt in Berlin ein illustrirtes Werk mit angeblich englischem Kupferstich und Buntdruck, mit derselben Ueberzeugung behauptete er, daß so etwas nur in England, nimmermehr aber in Deutschland hergestellt werden könne, bis man ihm nachwies, daß Stich und Druck aus einer Berliner Werkstatt hervorgegangen seien. Hat doch bekanntlich H. Heine sogar jedem deutschen Mädchen die Anmuth abgesprochen, die er an einer Tänzerin auf einem Pariser Balle bewunderte, bis diese ihm mit zierlichster Verneigung sagte: „Ich danke Ihnen, ich bin aus Schwabach bei Nürnberg.“

Ist auch die Zeit dieser Erniedrigung unseres Gewerbs- und Kunstfleißes vor dem Ausland vorbei, Dank dem erwachten Nationalehrgefühl und vor Allem den großen Welt-Industrie-Ausstellungen, auf welchen die deutsche Nation die segensreichsten Siege dieses Jahrhunderts errungen, namentlich dadurch, daß sie ihren industriellen Werth nicht nur vom Ausland anerkannt sah, sondern selbst kennen lernte, –- so hält das alte Vorurtheil doch bei großen Unternehmungen hartnäckig Stand, und dahin gehören Eisenbahnen, Gasanstalten und Wasserleitungen: sie überlassen deutsche Staaten und Gemeinden nur allzugern heute noch englischem und französischem Capital und Unternehmungsgeist. Sehen wir doch selbst die schweren Millionen für Kriegsschiffe nach England und Frankreich gehen, anstatt sie dem jetzt so stark besteuerten deutschen Fleiße zu Gute kommen zu lassen; denn daß die Deutschen, deren Eisen- und Stahl-Industrie selbst England mit Neid und Besorgniß für die Zukunft betrachtet, zum Bau von Panzerschiffen unfähig sein sollten, glaubt heutzutage Niemand mehr.

Da ist es allerdings etwas Außerordentliches, daß endlich einmal ein deutsches Haus eine der größten Unternehmungen der Gegenwart selbständig in die Hand nimmt: eine neue, directe telegraphische Verbindung von England und Ostindien durch Preußen, Rußland und Persien. Von den Regierungen der genannten vier Staaten ist bereits dem Hause „Siemens und Halske“ in Berlin (dessen enge Verbindung mit der hier mitbetheiligten Firma „Siemens Brothers“ in London allerdings das für den englischen Nationalstolz sonst darin liegende unerträgliche Opfer an Nationalehre ansehnlich gemildert hat) die Genehmigung zum Bau dieser Linie unter ziemlich liberalen Bedingungen ertheilt.

Unmittelbare Beziehungen zu Deutschlands Großverkehr hat diese Bahn allerdings nicht, eben weil sie ausdrücklich nur in England und Ostindien Ausmündungen ihres elektrischen Stromes beabsichtigt; Preußen, Rußland und Persien werden nur die gefälligen Träger und Hüter desselben im britischen Interesse sein. Unsere Freude beschränkt sich vorläufig darauf, deutschen Unternehmungsgeist an einem so großen auswärtigen Werke hauptbetheiligt zu sehen, und wir erhöhen unsere Freude, wenn wir die ganze Großartigkeit des Verbindungszwecks uns vor Augen führen, begründet auf das Ergebniß des bisherigen telegraphischen Betriebs über Constantinopel und durch das rothe Meer. Der gegenseitige Gesammtverkehr Englands und Ostindiens beziffert sich mit achthundert Millionen Thaler. Trotz der vielen Unzuträglichkeiten namentlich des türkischen Theils der bisherigen sogenannten Ueberlandpost – die Depeschen waren von Constantinopel bis Kuradja, hundert Meilen vor Bombay, durchschnittlich acht Tage unterwegs, oft selbst fünfzehn Tage! ja, es kamen sogar sehr bedeutende Depeschen-Ausbeutungen, -Fälschungen und -Unterschlagungen vor, was Alles die neue Linie zu einer Nothwendigkeit macht –- und trotz des hohen Preises von fünfunddreißig Thaler für eine einfache Depesche sind täglich durch Constantinopel nach und von Indien im Durchschnitt zweihundert Depeschen befördert worden. Wie aber muß dieser Verkehr sich steigern, wenn es Siemens und Halske gelingt, die Verbindungszeit zwischen England und Ostindien auf drei bis vier Stunden zu bringen, denn länger soll, nach deren Berechnung, eine Depesche von Teheran, der Hauptstadt Persiens, bis wohin das englisch-indische Eisenbahnnetz reicht, nach London nicht laufen dürfen. Dieser Strang vermittelt sonach den Verkehr zwischen Westeuropa und einem asiatischen Handelsgebiet von vierundvierzigtausend Quadratmeilen und hundertsechsunddreißig Millionen Menschen; da aber von England das Telegraphenkabel nach Amerika reicht und von Ostindien der Draht auch nach China und Japan weiter gehen wird, so stellt dieser Strang zugleich die erste kürzeste Verbindung von drei Erdtheilen her, und eine deutsche Hand ist es, welche die Stimmen der Völker von Amerika bis Europa und bis zum fernsten Asien zusammenführt!

Möge nur auch von den deutschen Gesandten und Consuln diesem kühnen deutschen Unternehmen in der Fremde ein besserer Schutz zu Theil werden, als leider viele Deutsche ihn bisher für ihre so vielfach gefährdeten Interessen im Ausland gefunden haben. Wir wollen das Sündenregister dieses Theils unserer diplomatischen Verwaltung hier nicht erst aufdecken, hoffen aber, daß die Telegraphen allerwärts es ihre Sorge sein lassen, derartige Pflichtvernachlässigungen unnachsichtlich in die Heimath zu tragen. In solcher Weise kann auch diese deutsche Ueberland-Linie Nutzen für Deutschland bringen, bis dieses selbst in die Lage kommt, seine Finger auf überseeische Drähte zu legen.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_127.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)