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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

nur Hunde mit kurzer Behaarung zu verwenden (wie sie auch Barry besaß), weil im zottigen Vließ der Schnee sich zu sehr ansammeln und das Thier zu Boden drücken würde. Nun erscheinen aber immer bei einzelnen Jungen solche lange Zottenhaare, die an die Pyrenäenschäferhunde erinnern, und diese Thiere werden, als dienstuntauglich, verkauft oder an Gönner des Hospizes verschenkt. Hieraus ergiebt sich auch die Unrichtigkeit der Behauptung, daß je Neufundländer als Stellvertreter der echten Bernhardiner verwendet worden seien.

Als Racenmerkmale Barry’s und seiner ebenbürtigen Nachkommen im Besitze des Herrn Schumacher fallen vor Allem der große Kopf, der breite Nacken, die bedeutende Dimension des Brustkorbs und die weiten Rippen auf. Es giebt gewiß Hundearten, welche an Höhe der Rückenlinie die Bernhardiner übertreffen, in den obigen Merkmalen aber dürften diese unerreicht sein. Der Kopf hat namentlich bedeutende Dimensionen in der Achse zwischen den Schläfenbeinen, verschmälert sich zierlich nach vorn und endet in eine ungespaltene Nase, die in der Form zwischen der Schnauze des Hühnerhundes und der Nase der dänischen Dogge die Mitte hält. Die Haare des Körpers sind kurz und rauh; unter dieser oberen Schichte zeigt sich aber eine tiefer gelegene, mehr flaumartige, was die Hundekenner die doppelte Behaarung nennen, eine Eigenthümlichkeit, die sich sonst besonders bei den Pelzthieren des hohen Nordens findet. Charakteristisch ist auch der Schweif von Barry; die Haare desselben sind etwas länger als diejenige des Körpers, ohne daß aber die Ruthe zum Federschweif wird. Das Thier trägt den Schweif immer zu Boden gesenkt und nur das untere Drittel erhebt sich geringelt nach oben. Diese eigenthümliche Formation findet man schon bei Jungen von zwei bis drei Monaten. Die Farbe der Thiere ist vorwiegend weiß; am Rücken, an den Flanken, dem Kreuze, auf der Stirn und den Ohren finden sich aber große lohbraune, mit Schwarz gesprenkelte Flecken. Die Hinterfüße sind doppelsporig. Die Weibchen sind auffallend zart und fein gebaut, und ein neun Monate altes Männchen ist bereits weit größer, stärker und kräftiger, als die erwachsene Hündin. Im Charakter sind die Bernhardiner edel, stolz, großmüthig, wie die meisten großen Hunde, auffallend ernst und bedächtig, ihrem Herrn ausschließlich ergeben und gleichgültig für fremde Liebkosungen. Zur Brunstzeit werden sie auf dem Hospiz nicht selten störrisch, bekämpfen und beißen sich gefährlich, und nicht selten büßt der Unterliegende mit dem Leben.

Daß die Bernhardinerrace auf dem Hospiz je ausgestorben sei, beruht auf Täuschung und irrigen Angaben. Selbst wenn die tragische Geschichte vom Tode sämmtlicher Weibchen wahr gewesen wäre, so hätte dies die Fortexistenz der Race nicht in Frage gestellt, da eine Anzahl Hunde in Martigny und Line andere auf dem Hospize des Simplon, das ebenfalls den Augustinern angehört, gehalten werden. Unzweifelhaft ist dagegen, daß die Race auf dem großen Sanct Bernhard einer Degeneration entgegenging, sowohl was die körperlichen, als die geistigen Eigenschaften betraf; die Jahrhunderte lange Vermischung verwandtschaftlichen Blutes konnte nicht ohne nachteilige Folgen sein. Schon lange hatte man auf dem Hospiz keine Thiere von der hübschen Zeichnung Barry’s, sondern entweder ausschließlich weiße oder einfarbig dunkelbraune Thiere, deren Kopf plumper, massiver geworden war. Für ihren Dienst dagegen waren sie vortrefflich brauchbar.

Die sogenannten Leonbergerhunde kennt Referent nicht aus eigener Anschauung: Gewährsmänner, welche Exemplare dieser Hunde gesehen haben, streiten ihnen alle Verwandtschaft mit den Bernhardinern ab. Im günstigsten Falle wären sie Bernhardiner in partibus infidelium, indem das zur Zeit dem Kloster geschenkte Paar sich nicht fortpflanzte, zu Grunde ging und also keine Dienste leistete.

Herr Schumacher, Gutsbesitzer bei Bern, der von jeher ein großer Hundefreund gewesen war, beschäftigte sich schon seit dreizehn Jahren mit der Züchtung von Bernhardinerhunden. Nach dem Grundsatz der Inzucht verfahrend und immer Barry als reinsten Racentypus betrachtend, wählte er zur Fortpflanzung immer solche Individuen, die an Gestalt, Größe und Farbe dem großen Ahnhund am ähnlichsten waren. So gelangte er vor ungefähr zwei Jahren zu Thieren, welche an Reinheit der Race den Hunden auf dem Hospiz weit überlegen waren und wie Doppelgänger des alten Barry aussahen. Ein prächtiges Paar dieser Thiere machte er im Jahre 1866 dem Kloster zum Geschenke und brachte sie selbst in die Priorei von Martigny, im Kanton Wallis, wo die ältern Conventualen des Hospizes sich aufzuhalten pflegen. Der älteste der frommen Väter, der Barry noch gekannt und verpflegt hatte, wurde beim Anblick der neuen Ankömmlings zu Thränen gerührt. „Mein Gott, das ist ja der alte Barry!“ rief er aus und freute sich, daß der alte verloren gegangene Typus wieder gefunden war. Das Männchen jenes Paares, gleichfalls Barry genannt, wurde, als es fünf Viertel Jahre alt geworden war, zum Dienste auf dem Hospize verwandt, entwickelte ausgezeichnete Eigenschaften und galt nun als der beste Hund des Klosters. Die Thiere haben sich seither vermehrt und die Jungen sollen allen Anforderungen entsprechen. Damit ist die herrliche Race wieder in ein neues Stadium getreten, durch frisches Blut verjüngt und ihre Zukunft ist gesichert. Bei der letztjährigen großen Ausstellung in Paris hatte Herr Schumacher ein Paar seither gezüchteter Bernhardiner ausgestellt und erhielt für dieselben den ersten Preis. Trotz der seltenen Schönheit dieser Thiere wäre ihnen vielleicht diese Auszeichnung nicht zu Theil geworden, hätte nicht ein Document des hochw. Herrn I. G. Rochernaire, Priors auf dem Hospiz des großen St. Bernhardsberges, die Reinheit der Race derselben bezeugt. Seitdem hat sich die allgemeine Aufmerksamkeit diesen Bernhardinern des Herrn Schumacher zugewandt und eine Menge von Abkömmlingen seiner Zucht ist nach England, Frankreich und selbst nach andern Welttheilen verkauft worden.

Die Thätigkeit der Bernhardinerhunde auf dem Hospize, beschränkt sich während der drei bis vier Sommermonate auf den Empfang und die Begrüßung der Fremden. In den acht bis neun Wintermonaten dagegen fängt ihre Bedeutung als Pfadfinder und Menschenerretter an; sie müssen dann täglich wenigstens zwei Mal den Weg vom Hospiz gegen Martigny und auf der italienischen Seite gegen Aosta zurücklegen, bis man zu menschlichen Wohnungen gelangt. Ihre Aufgabe ist, kleinen Karawanen als Führer zu dienen, Verirrte auf den rechten Weg zu bringen, Verunglückten beizuspringen und von Lawinen Verschüttete aufzuspüren. Für diese Dienstleistungen ist ihre Hülfe geradezu unentbehrlich. Von gebahnten Wegen ist in jenen Einöden, wo der Schnee oft eine Höhe von vierzig Fuß erreicht, natürlich keine Rede, und selbst die Conventualen und die Knechte des Klosters würden trotz der genauesten Terrainkenntniß bei Nebel und Sturm sich ohne den nie fehlenden Spürsinn dieser Thiere nicht zurecht finden.

Die in allen Reisehandbüchern stehende Angabe, daß die Hunde gewöhnlich ohne menschliche Begleitung auf ihre Streifereien ausgehen, ist unrichtig; stets wird ihnen wenigstens ein Knecht mitgegeben. Bei außerordentlichen Anlässen, Nebel, Ungewitter, Schneestürmen und dergleichen, macht sich aber fast die ganze Einwohnerschaft des Klosters mit den Hunden auf den Weg, mit Tragbahren, Stärkungsmitteln und allen Erfordernissen für Unglücksfälle ausgerüstet.

Nie werden weniger als zwei Hunde, und zwar ein älterer, wohlabgerichteter, mit einem jüngeren, auf die Streiferei ausgesandt; der ältere ist dann gleichsam der Lehrer und Mentor des jüngeren, und der letztere wird in Folge dieser gemeinschaftlichen Ausflüge zur Dressur geeigneter. Die Anordnung hat aber auch den Zweck, damit der eine Hund, wenn dem andern und seinem menschlichen Begleiter ein Unglück zustoßen sollte, Hülfe herbeirufen kann. Das schöne Werk der Menschenliebe, dem sich die frommen Mönche des heiligen Bernhard auf dem Mons Jovis hingeben, ist nämlich mit großen Gefahren verbunden. Viele erliegen den Beschwerden des anstrengenden Berufes und des rauhen Klimas, und mehr als einer dieser Edeln hat unter Lawinen und im Schnee des Hochgebirgs ein frühes Grab gefunden.

Zu den gewöhnlichen Patrouillen werden nur männliche Hunde genommen; ihr weit kräftigerer Körperbau macht sie dazu geeigneter. Die Weibchen haben nebst der feineren Organisation auch noch den Fehler weiblicher Neugierde. Jeder schwarze Fleck seitwärts vom Pfade muß untersucht und berochen werden und verleitet sie zu zeitraubenden Zickzackwanderungen, während die Männchen, von solchen Schwachheiten unangefochten, ruhig den geraden Weg der Pflicht gehen. Gerade diese Neugierde macht hinwiederum die Weibchen für solche Fälle zu werthvollen Spürern, wo ein Unglück geschehen ist und wo es sich darum handelt, die Opfer rasch aufzufinden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_136.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)