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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

seinem Gute. Damals lernte ich Louis Dumarsais kennen. Er wurde mein Schüler, bezahlte mir einen Napoleon für die Stunde und lernte endlich einige Walzer spielen, denn er besitzt kein Talent zur Musik. Wenn er weder ein Spieler noch ein Wüstling ward, so hat er dies mehr seinem schönen Naturell, als seinem Oheim zu danken, welcher vernarrt in den reizenden Burschen war und ihm Geld in Fülle gab, doch keinen Unterricht. Alter schützt vor Thorheit nicht, das bewies der alte Baron, denn er heirathete vor anderthalb Jahren eine verschmitzte junge Wittwe. Ich bin überzeugt daß diese Dame zehn Jahre älter ist, als sie vorgab, und nie die Gattin jenes braven Majors war, der im italienischen Kriege gefallen sein sollte. Ich weiß, daß Louis kein böses Wort über die Heirath seines Oheims gesagt hat, allein jenes durchtriebene Weib wußte den alten Herrn dergestalt gegen seinen bisherigen Liebling einzunehmen, daß der Baron denselben verstieß, ohne ihm einen Sou zu geben.“

„Unverantwortlich, Wilhelm!“

„Gewiß, sündlich! Indessen war mit dem alten Narren nichts anzufangen. Louis blieb in Paris, schränkte sich ein, versuchte sich als Schriftsteller, fand aber keine Verleger. Er meldete sich als Fechtmeister, man wies ihn ab, kurz er hatte kein Geld, keine Freunde, kein Glück. Seine Garderobe mußte er verkaufen, um essen zu können, und ist es endlich mit einem Menschen so weit, daß er keinen eleganten Anzug mehr hat, dann ist er in Paris verloren. Der arme Louis, er besitzt keine Kenntnisse!“

„Schön aber ist der junge Mann.“

„Allerdings, vielleicht nützt ihm sein Aeußeres etwas, denn Schönheit ist eine seltene, herrliche Gabe, und Paris ist die chancenreichste Stadt der Welt.“

Wer beschreibt mein Staunen, als ich, um fünf Uhr zu Wilhelm zum Diner gekommen, denselben Herrn von Dumarsais, welchen ich am Morgen in fast dürftiger Kleidung gesehen hatte, in elegantester Toilette erblicke! Nichts fehlte, vom feinsten Hute bis zum zierlichen Stiefel von Glanzleder, sogar das Notizbuch, welches er zufällig einmal herauszog, war das geschmackvollste, das man finden konnte, und die goldene Uhrkette noch werthvoller durch die Arbeit, als durch das Gold. Sicherlich eine Kette von der Insel Malta.

Natürlich machte Wilhelm keine Bemerkung über diese Metamorphose. Erst als Dumarsais sich entfernte, um, wie er sagte, seinem Versprechen gemäß noch während des letzten Actes in der großen Oper zu erscheinen, sagte mein Freund zu seiner Frau: „Toni, glaubst Du, daß Dumarsais mit seinem Oheim ausgesöhnt ist? Wie mag er plötzlich zu Gelde gekommen sein?“

„Ich bin ebenfalls erstaunt, lieber Wilhelm,“ antwortete die Frau, „ich hoffe, Herr von Dumarsais wird uns später wohl erzählen, wie Alles gekommen, da wir ihn so lange kennen. Jedenfalls hat er sein Geld nicht auf unehrenhafte Weise erhalten.“

„Gewiß nicht, Toni, ich wundere mich auch nicht allzusehr; denn Paris ist die chancenreichste Stadt.“

Seit jenem Tage sah ich Herrn von Dumarsais oft, bald in diesem, bald in jenem Theater, auf Promenaden und Hauptplätzen, im Boulogner Wäldchen zu Pferde, und in Wahrheit, niemals ritt er ein Pferd, das nicht tadellos war, und obgleich es im Wäldchen zur Promenadenzeit nie an Reitern fehlt, Dumarsais fiel durch sein brillantes Aeußere und seine Reitkunst doch auf.

Anfangs sah ich ihn immer allein, später oft mit jungen Männern, welche entweder aus hochangesehenen Familien oder berühmt waren; endlich erblickte ich ihn im Boulogner Wäldchen neben dem Wagen einer ältlichen Dame, bei welcher eine junge, blasse, höchst anmuthige Dame saß, in Halbtrauer gekleidet.

Traf ich mit Dumarsais in einem Café zusammen, so war er stets sehr liebenswürdig gegen mich, auch machten wir dann und wann einen Spaziergang selbander, seine Wohnung sagte er mir aber nicht. Eines Tages trug Dumarsais einen reizenden Anzug; er wurde von mehreren Modeherren sehr bewundert, als wir zusammen in den Speisesaal des Grand-Hôtel traten, wo wir einen gemeinsamen Freund treffen wollten.

„Ich muß auch einen bessern Sommeranzug haben; wo lassen Sie arbeiten, Dumarsais?“ fragte Baron V.

„Bei dem geschmackvollsten Schneider der Welt, Baron, bei L.“

„Wo ist das?“

„Ich will Sie hinführen, heute ist es zu spät, morgen. L. bedient meine Freunde nicht nur solid, denn das thut er Jedem, sondern auch billig.“

„Darf ich auch von Ihrer Empfehlung profitiren, lieber Dumarsais?“

„Mit Vergnügen, treffen wir uns morgen um Elf im Grand-Café.“

„Gut!“

Dumarsais war zur bestimmten Zeit da. Er führte uns in seiner lustigen Weise plaudernd nach der Rue Rivoli, in ein großes Haus. Wir stiegen eine breite, dunkle Treppe hinauf und traten in einen gut möblirten geräumigen Salon. Bei unserm Eintritt erhob sich ein Herr, welcher in eine Zeitung gesehen hatte; ich erkannte in demselben den Herrn, der im vergangenen März Dumarsais in den Tuilerien auf so seltsame Weise – angeredet wäre nicht ganz richtig, ich muß sagen – gepackt hatte.

Der Herr machte eine tiefe Verbeugung. „Hier bringe ich Ihnen zwei meiner liebsten Freunde,“ sagte Dumarsais etwas hochfahrend; „Herr L., sorgen Sie gefälligst, daß sie gut bedient werden.“

„Gewiß, Herr von Dumarsais,“ erwiderte der Angeredete.

„Ich habe keinen Grund,“ fuhr Louis fort, „Ihnen zu schmeicheln, L., aber ich sehe auch nicht ein, warum ich nicht der Wahrheit die Ehre geben soll, Sie sind ein Genie, Ihr Gemälde hat kürzlich einer Dame meiner Bekanntschaft außerordentlich gefallen.“

„Aber, Herr von Dumarsais –“

„Nicht zu bescheiden, lieber L. Wenn Sie auch die Grille haben, Director eines Kleidermagazins sein und bleiben zu wollen, so sind Sie nichtsdestoweniger ein tüchtiger Maler, und deshalb verstehen Sie mehr als irgend ein anderer Director, was Jeder, seinem Aeußern und seiner Individualität nach, tragen muß. Wir werden einen heißen August haben, der Juli ist schon drückend; erfinden Sie denn für den Baron einige bezaubernde Toiletten, er geht nach Baden-Baden und wird Aufsehen erregen.“

„Natürlich, ich sehe schon, der Herr Baron ist brünett, ich werde Alles auf das Kleidsamste für den Herrn Baron wählen.“

„Und hier, ein deutscher Dichter, auf der Schattenseite der Vierzig, Sie wissen schon, was ihm frommt.“

Der Director des Bekleidungsinstitutes lächelte, dann zog er die Klingel. Ein junger Mann erschien, mehrere Papierstreifen in der Hand haltend.

„Nehmen Sie diesen beiden Herren Maß, Herr Korn, ich will mich jetzt zurückziehen und über die Zusammenstellung der Farben nachdenken, welche ihren Anzügen den Stempel der Vollkommenheit aufdrücken soll. Könnten Sie mir vielleicht Ihre Photographien da lassen? Ihre Farben kenne ich, dunkle Haare, dunkle Augen, aber Ihre Physiognomien möchte ich gern stets vor mir haben.“

Ich lachte und meinte, der Sommerrock nebst Weste und Hose würde schon gut ausfallen, Baron V. dagegen sprach alles Ernstes: „Herr L., Sie sind ein denkender Künstler, und es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen meine Photographie zu übersenden.“

Im September jenes Jahres verreiste ich nach Deutschland, Ende October kehrte ich zurück und vernahm bei Wilhelm, daß Herr von Dumarsais sich eben mit jener jungen Dame vermählt habe, neben deren Wagen ich ihn zur Zeit der Mandelblüthe hatte reiten sehen.

„Sie, die junge Frau von Dumarsais,“ erzählte mein Freund, „betrauerte damals ihren Verlobten, einen schwindsüchtigen reichen Mann, welcher ihr die Hälfte seines Vermögens vermacht hatte, so etwa viermalhunderttausend Franken. Er hat Lebenserfahrung gesammelt, mein lieber ehemaliger Schüler, und das Geld gut und sicher angelegt, wie ich aus seinen Reden entnahm. Dumarsais wird geliebt und liebt seine Frau, er wird glücklich sein. Ja, Paris ist die chancenreichste Stadt.“

Im Mai 1866 saß ich mit Wilhelm in einem Restaurant bei einer Flasche Château Lafitte, als sich plötzlich ein Dritter zu uns gesellte, Herr von Dumarsais.

„Wo kommen Sie her? ich habe Sie eine Ewigkeit nicht gesehn,“ rief Wilhelm, freudig erregt.

„Ich war fast ein Jahr fern, in der Normandie, die Frau meines Oheims ist im Sommer 1865 an der Cholera gestorben; in ihrem Nachlasse fand der Wittwer Briefe, welche nicht viel von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_143.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)