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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

mächtigen wohlgepflegten Whiskers war einem wahren Engländer auch zum Sprechen ähnlich, obwohl bescheidener, als ein solcher gewöhnlich sein mag, der andere aber, auch wenn er englisch sprach, blieb ganz und gar der einfache und redliche Wirth von Todtnau, ein sehr gefälliger dienstbereiter Mann, der mir keine Ruhe ließ, bis ich mich auf sein Wägelchen setzte und mit ihm gratis ein paar Stunden dahin rollte.

Diese Gegend in der Hölle hat sich auch unser Herr Maler auserwählt, um einen weidlichen Holzstock damit zu bezeichnen. Die Landschaft ist, wie Jeder, der hingehen will, sich überzeugen wird, mit Portraitähnlichkeit getroffen. Die ragenden Felsen und die schwarzen Tannen bedürfen keiner Erklärung. Das alte vorzeitliche Kirchlein, welches wir absichtlich noch nicht erwähnt, ist Sanct Oswald geweiht, dem angelsächsischen König, von dem das Mittelalter so wunderliche Mähren zu erzählen wußte. Unter dem kleinen Gotteshaus ist an der Straße ein Kleeblatt von Steinhauern angebracht, ein Manns- und zwei Weibsbilder, an welchen das Drahtvisir, das ihr Antlitz vor den springenden Splittern schützen soll, als ethnographische Merkwürdigkeit nicht zu übersehen ist. – Der untere Theil des Bildes stellt eine Gartenlaube dar, welche an der Seite des Sterns zu finden ist. Der perlende Wein im Glase scheint anzudeuten, daß man guter Dinge ist und sich eines angenehmen Sommerabends erfreuen will. Die beiden hübschen Mädchen sprechen für sich selbst und geben meiner Auslegung keinen Raum. Nur für unachtsame Beschauer wäre allenfalls die Bemerkung zu spendiren, daß sie in der schmucken Landestracht erscheinen. Der Freund und Begleiter, der Maler und Zeichner, ist an dem Skizzenbuche und dem Griffel, den er in der kunstreichen Hand hält, leicht zu erkennen. Seine Haltung ist durchdrungen von jener Güte und Milde, welche er dem anderen Geschlecht entgegenzubringen pflegt und welche selten ohne gleichgestimmte Erwiderung bleibt. Rückwärts sitzt ein Anderer, der eben in einem Gespräche mit der hochachtbaren Frau Wirthin begriffen ist, an welches sich diese aber schwerlich mehr erinnert. Wir erkennen darin den Verfasser dieser Schilderungen, der sich zwar mit seinem alternden Haupte ungern in Holz schneiden läßt, aber in diesem Falle von seinem Begleiter freundlichst gebeten wurde, seine Gestalt, wie sie immer auch sein möge, dem Publicum nicht vorzuenthalten, vielmehr in dieser Zeichnung eher eine Abschlagszahlung auf künftige Unsterblichkeit zu sehen. Letzteres Motiv ließ die Bitte begreiflichermaßen ganz unwiderstehlich erscheinen.

Von der Hölle wieder rückwärts gehend, kamen wir in hochgelegene Landschaften, an den Titisee[WS 1], nach Lenzkirch, an den Schluchsee und dann hinunter in ein tiefes enges Waldthal, welches sehr berühmt ist. Wer von seiner Jugend an in Büchern gelesen, der hat da wohl auch öfter den Namen Sanct Blasien gefunden. Nun gut, hier unten liegt es, das alte Stift, im kühlen Waldesschatten. Schon vor mehr als tausend Jahren, war da an der Alb eine kleine Zelle, die von den edlen Herren der Gegend immer mehr begabt und bereichert wurde. Einen eigentlichen Namen hatte sie noch nicht, sollte aber bald einen erhalten. Sonst sehnt sich zwar jeder gute Christ für die Zeit, wo er das Zeitliche gesegnet, nach Ruhe und Frieden im stillen Grabe, aber ihren Heiligen hat die Christenheit ein solches nie vergönnen wollen. Diese mußten vielmehr in den frommen alten Zeiten nach ihrem Tode immerdar herumfahren in der Welt wie die gesuchtesten Colonialwaaren und da ein Fingerlein, dort ein Armbein, hier einen Zahn, da einen Fuß zur Verehrung zurücklassen. Diese Knochen wurden dann in Gold gefaßt und zeigten sich sehr heilkräftig.

Gegen Hochgewitter, Mißwachs, Feldmäuse, schwere Geburten und Anderes wußte man fast kein besseres Mittel. Wie es den Heiligen einst bei der Auferstehung gehen wird, z. B. dem heiligen Dionysius, wenn er das eine Bein in St. Denis und das andere in Regensburg suchen muß, oder dem heiligen Sebastian, dessen Hirnschale drei Male vorhanden ist, nämlich zu Ebersberg, zu Laon und einmal – unwissend wo – in Italien, oder dem heiligen Marcus, welcher einen Leib zu Venedig und einen zweiten zu Reichenau im Bodensee liegen hat – wie es da ergehen wird, sag’ ich, das kann Niemand voraussehen und es ist daher am besten, sich den Kopf nicht darüber zu zerbrechen. In besagter Weise war aber dazumal auch St. Blasius mit allen seinen Gebeinen auf der Wanderschaft. Er kam aus Cappadocien, wo er Bischof zu Sebaste gewesen und ein Märtyrer für den Glauben geworden war. Auf dem langen Wege von Cappadocien bis in den Schwarzwald hatte er vielleicht schon manche entbehrliche Gliedmaßen abgegeben, aber in der Hauptsache war er doch noch leidlich beisammen, so daß ihn die Mönche in jener kleinen Zelle um Geld und gute Worte einhandelten, dem Kloster seinen Namen gaben und ihn selbst bei den Schwarzwäldern in große Verehrung brachten. Dieses soll im neunten Jahrhundert geschehen sein. In denselben Tagen auch wurde das Kloster zu einer Abtei erhoben, welche immer kräftiger emporblühte, reich, mächtig und sogar gelehrt wurde. Zahlreiche Privilegien der Kaiser und der Päpste erhöhten ihren Glanz; auch an schönen Titeln und Würden fehlte es nicht. Seit Jahrhunderten schon durfte der Abt die Insul tragen, von Bondorf nannte er sich einen Grafen und saß dafür im Reichstage; Maria Theresia, die Kaiserin, erhob ihn aber noch höher, nämlich in den Fürstenstand des heiligen römischen Reiches, und ernannte ihn zu des Hauses Oesterreich Erberzhofcaplan.

Die einsamen Benedictiner von St. Blasien haben sich immerdar fleißig auf die Wissenschaften, namentlich auf die Geschichte verlegt. Ambrosius Eichhorn und Trutpert Neugart gaben im vorigen Jahrhundert sehr schöne Urkundenbücher heraus, in denen schon mancher Geschichtsforscher emsig herumgeblättert hat.

Ich freute mich auf die alte Abtei, die einst so viel Ruhm und Glück, freilich auch manche Noth und Kümmerniß erlebt, und da ich hin und wieder auch Romantiker bin, so konnte ich den Augenblick kaum erwarten, „wo das Kloster aus der Mitte düstrer Linden sah“. Zwei spitze Thürme, altersgrau, melancholisch, mit gothischen Fenstern, meinte ich, würden da bald hervorbrechen, die aus dem finstern Walde ahnungsvoll gegen Himmel ragen und ein harmonisches Geläute ergießen möchten über Berg und Thal.

Aber als wir um die letzte Ecke bogen, stand plötzlich das Pantheon vor uns, das römische Pantheon, täuschend nachgeahmt, zum Sprechen getroffen und in den Schwarzwald verpflanzt, mit riesiger Kuppel und einem blinkenden Kreuz darauf. „Pfui,“ rief ich, „das geht ja nicht – dieses Pantheon paßt ja in diese Gründe, die der Jagd und Viehzucht geweiht sind, eben so wenig wie eine Almenhütte in die Gärten des Vaticans! Gebt mir doch, ihr Vandalen, das alte Kloster heraus mit seinen verschwisterten Spitzthürmen, den hohen Dom mit den gemalten Fensterscheiben und dem ästereichen Säulenwald, den düstern Kreuzgang mit dem gebrochenen Lichte, das durch die Hollunderbüsche streicht und mystisch auf die alten Grabsteine mit den schönen Helmzierden fällt! Gebt mir das alte Kloster wieder und stellt diesen neuen geruchlosen Prachtbau irgendwo anders auf, etwa auf der grünen Haide bei München, wo er sich in den griechisch geschwängerten Lüften viel heimischer finden, wo er auch seinen ebenbürtigen Nachbarn begegnen und keiner fühlenden Seele im Wege umgehen wird, wie hier.“

Der Himmel war wieder trübe und die Luft sehr kühl. Das Pantheon schien zu frieren und uns selber wurde es auch nicht warm. In die Kirche gingen wir zwar, doch fanden wir sie so weiß und so leer, wie ein neuangestrichenes Heumagazin. Es kann da nicht gut beten sein, denn wie zum Trinken, so wünscht der Deutsche ja auch zu seiner Andacht ein gewisses traumhaftes Helldunkel. Sonst ist nichts zu sehen.

Da die Mönche ihre Alterthümer zuerst nicht achteten, die Grabmäler und die Gebeine ihrer Stifter auf den Mist warfen und sich von einem Franzosen des letzten Jahrhunderts diese Kuppel hersetzen ließen, so ist auch über ihre Neuerungen wieder der Gräuel der Verwüstung gekommen. Das kupferne Dach ist längst herabgehoben und lebt jetzt nur ganz unkenntlich in den Kupferkreuzern fort, welche zu Karlsruhe daraus geschlagen worden sind (es ist durch ein neueres aus Zinkplatten ersetzt). Auch die vielbewunderte Orgel flötet jetzt in der badischen Hauptstadt ihre Engelsstimmen. Desselben gleichen sind dahin auch verschiedene Marmorsäulen gegangen. Die gelehrten Benedictiner flüchteten sich nach St. Paul in Kärnthen, nahmen viel Geld und Kostbarkeiten, auch Handschriften und Codices mit. Wo aber der Leib des cappadocischen Heiligen geblieben, das kann ich aus meinen dürftigen Quellen leider nicht entnehmen.

Aus der Mönchscaserne ist im Lauf der neueren Zeiten eine Baumwollspinnerei geworden; ihrer Maschinen tiefe Stimme ersetzt jetzt die verstummte Orgel und schnurrt in melancholischen Klängen durch die Waldeinsamkeit. In den weiten Klosterhöfen sprießt

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Titisee; Vorlage: Titösen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_151.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)