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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

unterbrach sich in einer Auseinandersetzung über das persische Sonnenjahr oder sonst eine entlegene Herzensangelegenheit, der Botaniker vertagte eine begonnene Belehrung seines Nachbars über Pilzsporen oder Pflanzenzellen, der Komiker brachte rascher als gewöhnlich einen neugebornen guten Einfall an den Mann, wenn – Er sich zu einer längeren Erzählung oder zur Abgabe seiner Meinung über eine auf die Tagesordnung gebrachte Frage anschickte. Mathy hätte nicht die gesellige Natur, nicht der Mann von Herz sein müssen, der er war, wenn ihm diese stille und doch so deutliche Huldigung nicht wohlgethan, er hätte nicht der Patriot sein müssen, der er war, wenn es ihm nicht zur Befriedigung gereicht hätte, sich als den Grundpfeiler eines Kreises von Gleichgesinnten betrachtet zu sehen. Er gab viel, aber er empfing auch; er war unser Stolz, aber er hatte auch keine Ursache, die am runden Tische zugebrachten Stunden für verlorne anzusehen.

Leipzig war ihm werth geworden. Und doch konnte hier sein Bleiben nicht sein. Die Sehnsucht nach der schöneren Heimath im Süden, nach den altgewohnten Verhältnissen war ihm niemals erloschen. Sein Reformationswerk in der Creditanstalt war allmählich in Zug gekommen, was weiter zu thun, keine Arbeit für ihn. Vor der Reaction in Baden hatte er den Staub von den Füßen geschüttelt; jetzt, wo guter Wille dort auf dem Throne saß und die Sonne einer neuen Epoche aufging, wo wichtige allgemeine Fragen und nicht weniger wichtige Fragen seines besondern Fachs zur Entscheidung kommen sollten, verlangte es ihn heim und verlangte ihn auch die Heimath. Eine größere Wirksamkeit, neue politische Thätigkeit winkte. Das Ministerium von Roggenbach war gebildet worden, keineswegs ganz aus Staatsmännern von Mathy’s Ueberzeugung und noch weniger aus solchen von seiner Charakterstärke. Er konnte ihm neue Kraft, rascheren und kühneren Entschluß zuführen, ihm, wie ich’s nennen möchte, mehr Rückgrat geben. Es war etwas vom Grafen Bismarck in Mathy, nur daß jener von der rechten, dieser von der linken Seite auf den wahren Weg zum Ziele gelangt war. Es lag schon im Sommer 1862 etwas von großen Dingen in der Luft, und da hätte es sein Pfund vergraben und nichts von dem berechtigten Ehrgeiz besitzen heißen, der die Geschichte machen hilft, wenn Karl Mathy an der hohen und einflußreichen Stelle hätte fehlen wollen, an die ihn ein liberaler und nationalgesinnter Fürst berief.

Mit einer Mischung von Trauer und Freude vernahm der Club die Nachricht: „Der Staatsrath geht fort.“ Der Stuhl neben der Ecke, den er so oft eingenommen, sollte leer stehen fortan. Wir hatten uns verwaist gefühlt, wenn eine Reise ihn für eine kurze Zeit uns entführt, jetzt war es eine Abreise für immer. Noch wehmüthiger waren die gestimmt, die sich näheren Umganges mit ihm erfreut hatten, aber sie wußten auch noch mehr, daß die Berufung einen Lieblingswunsch von ihm erfüllte und daß ein Geist wie er nicht fehlen dürfte, wo Gelegenheit war, dem Vaterlande nicht blos mit gutem Wollen und Reden, sondern mit Thaten zu dienen.

Am 20. December gaben wir ihm ein Abschiedsmahl, bei dem ihm der Humorist der Genossenschaft die letztere in Gestalt eines Albums mit den wohlgetroffenen Photographien der Mitglieder zur Begleitung in die Ferne überreichte. In den ersten Strophen ein Muster launiger Gelegenheitsdichtung, nahmen die Verse, die der Darbringer dazu sprach, zum Schlüsse eine ernste Miene an. Jedem Original der Portraits war es aus der Seele geredet, wenn er endigte:

„Und jedes Bild, es soll Dir danken,
Für jenes Bild, das Du uns ließ’st,
Das Du uns ließ’st aus Ernst und Scherzen,
So fest und frei, so Aar und mild.
Du gehst – doch uns im tiefsten Herzen
Bleibt eines deutschen Mannes Bild.“

Er ging, um zunächst uneigentliches, dann eigentliches Mitglied eines badischen Cabinets zu werden, welches von sich sagen konnte: wir sind die Freisinnigsten im Lande, nach uns kommt die erste, dann erst die zweite Kammer, ein Verhältniß unerhört in großen und kleinen Staaten. Wir hörten von ihm, daß er sich glücklich fühle, daß er trotz nicht geringer Anfeindung mit gewohnter Umsicht und Thatkraft erst als Director der Domainenkammer, dann als Handelsminister, dann in der Eigenschaft eines Vorstandes des Finanzdepartements erfolgreich an den Reformen mitgearbeitet, von denen die Presse aus Baden meldete. Wir vernahmen, daß er in Karlsruhe neben einem größeren Wirkungskreise unter den „Bären“ – die hiermit in Erinnerung an eine gute Stunde des Sommers von 1863 gegrüßt seien – auch einen größeren Freundeskreis gefunden, dem es ebenfalls nicht an munterer Laune fehle. Wir sahen Roggenbach abtreten und mit Edelsheim für kurze Zeit die Reaction herrschen. Der Zwang dazu wurde bei Sadowa gebrochen. Karl Mathy war fortan der erste Rath seines Großherzogs, ein vollkommener, gründlicher Umschwung der badischen Politik und zu gleicher Zeit der öffentlichen Meinung trat ein, und wenn Baden nicht sofort mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen in den Norddeutschen Bund eingezogen ist, so trägt der Gegenstand dieser Charakterskizze gewiß nicht die Schuld dabei.

Die Nachrichten über die Thätigkeit unseres Freundes für diese glückliche Wendung waren die letzten erfreulichen von ihm. Mathy, ernstlich erkrankt – in der Genesung – gestern Nacht verschieden – so folgten sich Anfang Februar wechselnd die Telegramme. Und die Bestätigung des letzten blieb nicht aus. Eine Brustentzündung hatte ihn dahingerafft. Wir hatten gehofft, ihn im Zollbundesrathe zu Berlin seine gewichtige Stimme für möglichste Vollendung der Einheit des Vaterlandes einlegen zu sehen. Jetzt war er hinüber in das dunkle Land, in die Nacht, da Niemand wirkt. Nicht ohne den leuchtenden Anfang zur Verwirklichung dessen noch geschaut zu haben, was seiner Seele feuriger Wunsch war, und darum glücklicher zu preisen, als ein Anderer unserer Runde, der vor ihm für immer von uns schied. Aber dennoch zu früh für das Vaterland, für die Heimath, die Freunde.

Ein Mitglied der Leipziger Genossenschaft ging nach Karlsruhe, um dem Geschiedenen im Namen der Uebrigen die drei Hände voll Erde in’s Grab zu werfen. Er kam zu spät. Doch konnte er ihm wenigstens eine letzte Gabe der Liebe auf den Hügel legen.

Niemand ist unersetzlich. Karl Mathy wird für Baden schwer ersetzlich sein. Seine Freunde aber müssen sich über seinen frühen Hingang trösten mit dem Samen, den er unter sie gesäet, und mit dem Vorbild, das er ihnen hinterlassen. „Du gingst,“ so hallt es unter ihnen nach,

„Du gingst, doch uns im tiefsten Herzen,
Bleibt eines deutschen Mannes Bild.“





Im Hause Robert Stephenson’s.

Von M. M. v. Weber.


III.

„Und doch sind wir, selbst mit dem bewunderten Werke unseres berühmten Wirthes, nicht an der Grenze der Ausnutzung der specifischen Tugenden des Eisens für den Brückenbau angekommen,“ setzte der Amerikaner unser Tischgespräch fort. „Die Hängebrücken, die Eisenwölbungen haben eine große Zukunft, um Eisenbahnen über sonst völlig unwegsame Abgründe, und über wilde Stromschnellen mit Spannungen von jetzt noch kaum geahnter Weite, halb in der Luft hängend, zu führen.“

„Die Extreme regen zu weitreichenden Betrachtungen darüber an,“ nahm hier Stephenson das Wort, „wie wunderbar den verschiedenen Zeitaltern die Organe zuwachsen, deren sie zu ihren Culturzwecken bedürfen. Von den Zeiten Nerva’s und Trajan’s bis zu denen Ludwig des Vierzehnten, durch die Kreuzzüge, die Blüthe der Hansa, Venedigs und Genuas, die Thaten der Conquistadoren in Amerika, der Portugiesen in Ostindien hindurch, hat sich die Civilisation nur auf Wasserpfaden bewegt. Es gab während einer Epoche von anderthalbtausend Jahren in der ganzen Welt, die peruanischen Incapfade und die mexicanischen Heerwege in einem damals unbekannten Erdtheile ausgenommen, kein einziges wirkliches Straßensystem, und daher stand auch die Kunst des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_154.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)