Seite:Die Gartenlaube (1868) 164.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


„Weshalb sagten Sie’s denn nicht gleich unten im Hause?“ eiferte Fräulein Runde in die Worte der Zofe hinein.

„Ja, sehen Sie, ich hoffte, man sähe mir’s an!“ versetzte Friedrich trocken.

Die Zofe begann jetzt plötzlich zu lachen, während Friedrich zu Frau von Thorbach gewendet fortfuhr:

„Es thut mir sehr leid, gnädige Frau, daß ich so wenig im Stande bin, Ihren Erwartungen von mir zu genügen. Aber ich meine, es ist das ja kein Unglück – da, wie sich herausstellt, Alles ein Mißverständniß ist, so will ich sofort wieder gehen und auch nicht bedauern, den Weg gemacht zu haben. In Folge der Weisung, welche mir der Doctor Rostmeyer gab, erhielt ich vom Herrn Hauptmann Mechtelbeck einen Urlaub auf acht Tage, und eine solche freie Zeit weiß Unsereins immer und unter allen Umständen angenehm zu benutzen. Wenn Sie mich also entlassen wollen, so …“

„Nein, nein, gehen Sie nicht,“ fiel lebhaft die junge Gebieterin von Stromeck ein, die bei der Erwähnung des Namens, den Friedrich zuletzt ausgesprochen hatte, plötzlich die Farbe veränderte und einen Schritt näher trat. „Ihr Hauptmann ist Herr von Mechtelbeck?“ fragte sie darauf mit ein wenig unsicherer Stimme.

„So ist es, gnädige Frau.“

„Er weiß, daß Sie zu mir gegangen sind, daß ich Sie herbescheiden ließ? …“

„Ich mußte es ihm melden, um Urlaub zu bekommen.“

„Und Sie wollen jetzt gehen? Nein, nein, warten Sie, warten Sie!“ sagte sie nachdenklich. „Wenn ich gewußt hätte, daß Sie …“

„Daß ich kein Mädchen, sondern Unterofficier bei der reitenden Artillerie bin …“ ergänzte Friedrich.

„Nun ja, so hätte ich Sie nicht hierherkommen lassen. Aber am Ende bleibt die Sache doch wie sie ist, wenn ich auch jetzt nicht so unmittelbar ausführen kann, was ich beabsichtigte. Ich wollte … und ich will noch …“

Die gnädige Frau stockte … sie konnte doch Friedrich nicht sagen, daß sie ihn unter ihre Flügel nehmen, für ihn sorgen wolle … und sie konnte doch auch nicht gut mit ihm von dem ursprünglichen Umstand sprechen, durch den sie sich verpflichtet glaubte, für ihn zu sorgen und sich seiner anzunehmen … sie stand eine Weile verlegen da, wurde bald roth, bald blaß und sagte endlich:

„Nein, gehen sollen Sie nicht; wir wollen Sie nur ausquartieren. Liebe Runde, bringen Sie den Herrn vorläufig nach unten in das Zimmer am Flur, sorgen Sie dort für ein Frühstück, und Sie,“ richtete sie sich wieder an Friedrich, „thun mir den Gefallen, dort zu warten, bis der Doctor Rostmeyer kommt, nach dem ich heute Morgen schon sandte; ich werde ihm meine Aufträge geben und er wird mit Ihnen reden … versprechen Sie es mir?“

Friedrich verbeugte sich.

„Folgen Sie nur hier dem Fräulein Runde, vielleicht sehen wir uns noch, ehe Sie Stromeck verlassen. Adieu …“

Frau von Thorbach machte eine gnädige Neigung mit dem Kopfe und ging. Friedrich folgte der großen mageren Dame den Corridor und die Treppe wieder hinab.

Diese führte ihn unten in ein freundliches Empfangzimmer, welches nach vornheraus lag und den Blick die Allee hinauf gewährte, die auf Haus Stromeck zuführte.

„Setzen Sie sich hier, ich werde Ihnen Erfrischungen senden!“ sagte die Dame mit ihrer scharfen Stimme, welche sie sich durchaus keine Mühe gab durch ein wenig Freundlichkeit zu mildern.

„Werde ich lange auf den Doctor Rostmeyer warten müssen?“ fragte Friedrich dagegen; „sonst ziehe ich vor zu gehen, woher ich gekommen bin.“

„Der Doctor Rostmeyer wird wahrscheinlich in der nächsten halben Stunde hier sein, und Sie haben doch gehört, wie die gnädige Frau wünscht …“

„Nun ja,“ versetzte Friedrich trocken, „meinethalben!“

Die Dame ging und ließ Friedrich Zeit, sich der verdrießlichen und gereizten Stimmung zu überlassen, welche sich seiner bemächtigte. Das Betragen der drei weiblichen Wesen, welche ihn zornig eifernd umstanden hatten, außer sich darüber, daß er kein junges Mädchen sei, war ihm zuerst sehr lächerlich vorgekommen; jetzt fühlte er sich im Ganzen sehr schlecht hier in dem Schlosse aufgenommen, wohin er doch gerufen worden war. Daß man sich über ihn getäuscht, war doch nicht seine Schuld, und es war doch merkwürdig, ihn so eigentlich für nichts und wider nichts den langen Weg machen zu lassen. Die Spannung auf das, was die Frau von Thorbach ihm mitzutheilen habe, hatte er sich ganz vergeblich gemacht – kurz, es war doch eine verdrießliche Geschichte, und Friedrich nahm sich vor, dem Hauptschuldigen, dem Doctor Rostmeyer, ohne Umschweif seine Meinung zu sagen.

(Fortsetzung folgt.)




Der Erbe Liszt’s.


Wenn heutzutage von Claviervirtuosen die Rede ist, so äußern ältere Musikfreunde wohl einmal: was wollen sie Alle nach ihm, nach Liszt! Mehr als zehn Finger hat keiner, und was mit zehn Fingern menschenmöglicherweise zu leisten ist, hat dieser Titane geleistet. Neues, über ihn Ragendes ist absolut nicht mehr, im besten Falle nur dasselbe wieder zu bringen. Dasselbe aber in der Kunst zum zweiten Mal erscheinend, ist schon nicht mehr Dasselbe in seiner Wirkung.

Glücklicherweise können solche Gedanken nur in den Köpfen alter, übersättigter Musik-Gourmands auftauchen und hätten nur Sinn, wenn der Künstler ewig lebte und seine Zeitgenossen mit ihm. Aber jener wie diese, sie kommen und gehen. Vorüber, unaufhaltsam vorüber ziehen die kleinsten, unbedeutendsten wie die größten, staunenswerthesten Erscheinungen auf dieser Erde durch die nimmer ruhenden Stunden. Und so zeigen sich immer neue Generationen, die auch genießen, und immer neue Künstler, die auch wirken wollen. Darf man nun wohl annehmen, daß mit Liszt der äußerste Punkt der Technik des Clavierspiels erstiegen worden, so ist doch eben so gewiß, daß, seit jener Heros sich zurückgezogen, unter allen gegenwärtigen Claviervirtuosen Anton Rubinstein neben Karl Tausig der hervorragendste ist. Dazu kommt noch sein gediegenes und eigenthümliches Wesen als Componist. Da er nun eben wieder auf einer großen Kunstreise begriffen ist, auf welcher er so außerordentliche Triumphe feiert, so glauben wir den Lesern der Gartenlaube keine unangenehme Gabe zu bieten, wenn wir hier das Bild des gefeierten Künstlers nebst einer kurzen Biographie desselben vorführen.

Anton Gregor Rubistein ward am 18. November 1829 zu Wechmotymetz (?), einem Dorfe bei Jassy, an der Grenze Rußlands geboren. Sein Großvater war Israelit, sein Vater aber wurde im griechisch-nichtunirten Glauben erzogen, den auch unser Künstler bekennt. Anton’s Eltern lebten in glänzenden Verhältnissen, geriethen aber später über ihre Besitzungen in Rechtsstreitigkeiten, die eine empfindliche Schmälerung ihres Vermögens zur Folge hatten. In seiner frühesten Jugend offenbarte Anton bereits jene beiden Haupteigenschaften, die für seinen Lebensgang maßgebend wurden: ausgesprochenen Hang zur Musik und consequentes energisches Hinstreben auf ein bestimmt in’s Auge gefaßtes Ziel.

Seine Mutter, eine hochgebildete Frau, jetzt noch als Lehrerin an einem kaiserlichen Erziehungsinstitute in Moskau thätig, leitete der Kinder ersten Unterricht und unterwies ihre beiden jüngsten Söhne speciell im Clavierspiel, worin sie Meisterin war. Denn auch Nicolai, der nächstältere Bruder, zeigte eben so viel Vorliebe wie Talent zur Musik. Theils Verhältnisse, vornehmlich aber der Wunsch, für eine höhere Ausbildung der Kinder zu sorgen, veranlaßte die Eltern zur Übersiedelung nach Moskau. Hier erhielten die Knaben geregelten Unterricht in der Musik. Mit Anton begann er im sechsten Lebensjahre, und schon zwei und ein halb Jahr nachher gab er sein erstes öffentliches Concert in

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_164.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)