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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

hatte, war die Einleitung zu einem freundschaftlichen Verhältniß, das meinen ersten Aufenthalt in Paris höchst angenehm machte. Ich speiste jeden Sonntag in Auteuil und sah auch während der Wochentage Madame Strauß sehr häufig. Ich hatte gehört, daß sie es gewesen, die ihren Freund veranlaßt hatte, die Schriftstellerfeder zu ergreifen, und ich fragte sie, ob dem wirklich so sei?

„Das ist wahr,“ erwiderte sie. „Börne hatte die Gewohnheit, mir bei seinen Besuchen von seiner Lectüre zu berichten; er war indessen mit derselben selten zufrieden. Die damalige Tagesliteratur war auch in der That nicht geeignet, seinen Geist zu. befriedigen oder ihm eine besondere Achtung vor der Gesinnungstüchtigkeit der Schriftsteiler einzuflößen. Da habe ich wieder recht dummes Zeug gelesen sagte er gewöhnlich, und indem er die Schrift nannte, schüttelte er eine solch’ beißende satirische Lauge über dieselbe und ließ dabei so viel Witzfunken sprühen, daß ich nicht müde ward, ihm zuzuhören.

Eines Tages nun – es war im Jahre 1817 – als er wieder seinen Unwillen über ein so eben erschienenes Buch in humoristischer Weise ausdrückte, diesmal aber noch geistvoller, noch witziger sprach, sagte ich ihm: Männer von Talent und Ueberzeugung sollten der Talent- und Charakterlosigkeit nicht allein das Wort gönnen. Das Publicum liest eben das, was man ihm bietet, und es würde gewiß eine bessere Lectüre wählen, wenn begabte Männer ihm eine solche böten. Sie sollten schreiben!‘

,Das will ich auch thun‘ antwortete er, und bald darauf erschien seine ,Wage‘, die so viel Aufsehen erregte und seinen Namen, so schnell berühmt machte. Mich überraschte der glänzende Erfolgs dieser Zeitschrift durchaus nicht, ich war vielmehr fest überzeugt, daß ein Mann, der so geistvoll sprach, auch geistvoll schreiben und sich bald einen weiten Leserkreis erwerben würde. Börne’s Unterhaltung,“ fuhr sie fort, „war eben so reich an witzigen, humoristischen Wendungen, wie seine Schriften. Er sprach ebenso geistvoll, wie er schrieb, aber er entfaltete seinen Geist im Gespräch nur vor denen, für die er ein besonderes Interesse hatte.“

Eines Tages klagte mir Frau Strauß über Augenweh. Ihr Gesicht hatte durch das Lesen und Abschreiben der Börne’schen Manuskripte sehr gelitten. Börne schrieb eine fast mikroskopische Hand. Die Buchstaben sind so klein und dünn und die Zeilen so dicht, daß sie auch dem schärfsten Auge eine große Anstrengung bereiten. In seinen Pariser Briefen, die bekanntlich an die Frau Strauß gerichtet waren, hat Börne mit dem Raum noch mehr gegeizt. Frau Strauß zeigte mir die Originalbriefe. Es war an denselben fast kein Rand zu bemerken, nur die für das Siegel bestimmten Stellen waren leer gelassen. Frau Strauß copirte diese Briefe mit der ihr eigenthümlichen Gewissenhaftigkeit und mit der Verehrung, die sie vor dem Talente ihres Freundes hegte. Sie behielt die Originale, und die Abschrift wanderte zu Campe nach Hamburg. Als ich diese Briefe sah, drückte ich meine Verwunderung aus, kaum ein Wort in denselben gestrichen zu finden.

„Börne hatte die Gewohnheit,“ sagte sie, „seinen Gegenstand reiflich zu durchdenken und vollständig im Kopfe auszuarbeiten, so daß er beim Schreiben wenig oder nichts mehr änderte.“

Auf meine Frage, ob Börne auch mit anderen Personen in Briefwechsel gestanden, antwortete sie, daß er wohl hie und da, wo es die Höflichkeit oder eine buchhändlerische Angelegenheit nothwendig erheischte, einen Brief schrieb, sonst aber mit Niemandem eine Correspondenz unterhalten. „Wie er im Gespräch sich nur dann gehen ließ,“ fuhr sie fort, „wenn er sich in vertrautem Freundeskreise befand, sonst aber äußerst wortkarg war, so konnte er auch blos brieflich mit denen verkehren, denen er innig zugethan war. In seiner Jugend hatte er eine Leidenschaft zu der Gattin des Hofraths Herz in Berlin gefaßt, in dessen Haus er einige Zeit als Student gewohnt. An diese Frau hatte er eine Reihe glühender Briefe gerichtet. Ich wandte mich an sie, um sie zur Veröffentlichung dieser Briefe veranlassen; sie versicherte aber, dieselben verbrannt zu haben.“

Frau Strauß hielt die hinterlassenen Manuscripte Börne’s, als die kostbarsten Reliquien, hoch und theuer; wenn indessen ein warmer Verehrer desselben sich von ihr verabschiedete, schnitt sie wohl ein Streifchen von denselben ab und schenkte es ihm zum Andenken. Dies geschah nicht ohne gewisse Feierlichkeit. Sie that dann, als ob sie einen Coupon von einem bedeutenden Werthpapiere gelöst hätte. Ein solcher Papierstreifen war gewöhnlich den Aphorismen Börne’s entnommen und enthielt einen abgeschlossenen Gedanken.

Als die Familie Strauß von Frankfurt a. M. nach Paris übersiedelte, theilte Börne mit derselben die Wohnung. Er war schon sehr leidend und bedurfte der sorgfältigsten Pflege, die ihm natürlich auch zu Theil wurde. Bei diesem vertrauten Zusammenleben hatte Frau Strauß die Gelegenheit, das edle Herz ihres Freundes genauer kennen zu lernen. Eines Tages’ kommt Börne tief ergriffen aus seinem Studirzimmer und gesteht über einen Vorfall geweint zu haben, den er so eben in den Denkwürdigkeiten der Frau Campan gelesen. Bei den Hochzeitfestlichkeiten Ludwig des Sechszehnten nämlich befand sich auf der Place de la Concorde, wo unter dem furchtbaren Gedränge so viel Menschen umkamen, ein Brautpaar. Der Bräutigam, in verzweifelter Besorgniß um das Leben seiner Braut, bittet diese im entsetzlichen Wirrwarr, sich auf seine Schultern zu stützen. Zwei Arme schlingen sich um seinen Hals. Mit der ungeheuersten Anstrengung trägt er die Bürde auf seinem Rücken, und als er, dem Gedränge entkommen, die Gerettete auf eine Bank niederläßt, sieht er, daß er eine Unbekannte gerettet. Seine Braut war ein Opfer des Todes geworden!

Börne war an demselben Tage schwermüthig und niedergeschlagen.

Sei es Ueberdruß, sei es seine immer mehr überhandnehmende Krankheit, genug: Börne schrieb in Paris sehr wenig und außer der Übersetzung der „Worte eines Gläubigen“ von Lamennais und „Menzel der Franzosenfresser“ hat er dort keine deutsche Schrift verfaßt; hingegen schrieb er ziemlich viel französisch, „Sein erster französisch geschriebener Artikel,“ sagte mir Frau Strauß, „war eine Kritik des deutschen Bauernkrieges von Wachsmuth. Er las ihn mir und meinem Manne vor, und als wir unsere Bewunderung darüber aussprachen, rief er: ,Ja wohl, Euch gefällt er, aber Raspail wird gewiß darüber spotten?“ Strauß brachte den Artikel zu Raspail, der damals den „Réformateur“ redigirte, mit dem Auftrage Börne’s, jede nöthige Stiländerung daran vorzunehmen, den Sinn aber unverändert zu lassen. Raspail las den Artikel und ließ ihn sogleich, ohne auch nur eine Silbe daran zu ändern, im Réformateur abdrucken. Für dasselbe Blatt schrieb Börne auch einen Artikel über, oder vielmehr, gegen Heine und gab dann die „Balance“ heraus. Börne’s sämmtliche in französischer Sprache geschriebene Artikel wurden nach seinem Tode gesammelt und mit einer von Cormenin geschriebenen Vorrede herausgegeben.

Wer es versucht hat, in einer fremden Sprache zu schreiben, namentlich in der schweren französischen, die nur selten ein Ausländer mit Geschmack und Eleganz handhaben lernt, kennt die außerordentlichen Schwierigkeiten, die sich diesem Versuche entgegenstellen. Börne hat indessen mit seinen französisch geschriebenen Artikeln wahrhaftes Aufsehen erregt und seinen Namen, der schon vorher in den demokratischen Kreisen Frankreichs mit Hochachtung genannt worden war, auch außerhalb dieser Kreise bekannt gemacht. Die Franzosen verehrten in ihm den großherzigen Schriftsteller, der die Culturbestrebungen Frankreichs und Deutschlands vermitteln, der beide Länder durch das Band der Eintracht verknüpft sehen wollte, weil er durch diese Eintracht allein die Freiheit und den Frieden in Europa für gesichert hielt. Börne liebte Deutschland so heiß wie irgend Einer, aber er glaubte nicht, daß, wenn man Deutschland liebt, man Frankreich nothwendig hassen müßte. Die Deutschtümelei und die Franzosenfresserei erregten seinen Zorn. Unter den Franzosen war es besonders der Bildhauer David von Angers, der sich ihm in innigster Freundschaft anschloß. David liebte Deutschland und theilte die politischen Ansichten Börne’s. Er verfertigte Börne’s Büste in Marmor, eine der gelungensten Arbeiten des Künstlers, die er nach dem Tode Börne’s für dessen Grab auf dem Père Lachaise in Bronze ausführte.

„Gegen Goethe,“ sagte mir eines Tages Frau Strauß, „hegte Börne einen Groll, der mit den Jahren wuchs.“ Die olympische Ruhe Goethe’s erschreckte ihn. Er verkannte dessen Dichtergröße durchaus nicht, er war aber darüber empört, daß ein solches Genie sich nicht an die Spitze der Freiheitspartei stellte. Er, dessen ganzes Leben einem Parteikampfe gewidmet war, den er mit großer Leidenschaft führte, wollte überall nur leidenschaftliche Parteikämpfer sehen. Die Ruhe Goethe’s, die er irgendwo steinerne Ruhe nennt, schien ihm hassenswerther als die heftigste Reaction. Er sah darin eine herzlose Gleichgültigkeit. Dies war freilich ein großer Irrthum, der jetzt, wo so viele Börne’sche Standpunkte glücklich überwunden, noch größer erscheinen

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