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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Ah, Doctor Rostmeyer!“ rief Friedrich aufspringend aus.

Der Doctor gab ihm die Hand.

„Guten Tag, Friedrich,“ sagte er und zog dann sofort einen Stuhl für sich herbei. „Das ist eine komische Geschichte,“ fuhr er lachend fort, „an der ich wahrhaftig keine Schuld habe …“

„Haben Sie schon mit der gnädigen Frau gesprochen?“ fragte Friedrich.

„Gewiß, ich komme von ihr!“

„Nun, dann bitte ich, erklären Sie mir, Doctor …“

„Zum Erklären komme ich zu Ihnen, Friedrich. Sie sollen Alles hören. Setzen Sie sich wieder dahin.“

„Ich sitze, Doctor,“ sagte Friedrich. „Und gespannt bin ich wahrhaftig auch: ich hoffe, Sie machen es mir völlig deutlich, weshalb Sie mich in diese sehr verdrießliche Lage hier im Schlosse gebracht haben und was ich überhaupt hier soll – sonst, das sage ich Ihnen voraus, haben wir ein Hühnchen zusammen zu pflücken; wenn Sie glauben, ich nähme es als einen guten Spaß auf, acht Meilen weit reisen zu müssen, um mich am Ziele von drei zeternden Frauenzimmern anschreien zu lassen: ,weshalb sind Sie kein Mädchen? wenn Sie kein Mädchen sind, so machen Sie, daß Sie wieder fortkommen’ … wenn Sie das glauben, Doctor, so irren Sie.“

„Nur gemach, nur gemach – wenn die gnädige Frau nicht meinen Brief mißverstanden hätte, so würde sie nicht so eifrig gewesen sein, und ich hätte nicht den Befehl bekommen, Sie sofort ihr zuzusenden; und daß ich diesen Befehl bekommen und daß Sie sich darauf in Stromeck präsentirt haben, hat seinen großen Vortheil, wie Sie sogleich hören werden. Aber Alles nach der Reihe! Zuerst also: Sie wissen, Friedrich, daß ich seit je derjenige war, der im Stillen für Sie sorgte?“

„Ich weiß das; seit mein guter Alter, der Schulmeister, gestorben, haben Sie mir ja gar kein Hehl daraus gemacht …“

„Richtig! Ich habe Ihnen gesagt, als Sie nach Jülich geschickt wurden, Sie dürfen sich direct an mich wenden; Sie haben sich auch von Zeit zu Zeit an mich gewendet und ich habe für Sie bereitwillig gethan, was ich zu thun bevollmächtigt war.“

„Habe ich das nicht dankbar anerkannt, Doctor?“

„Gewiß! Davon ist nicht die Rede; ich wollte Sie nur fragen: Wie kommt es, daß Sie sich nie mit einer Frage an mich wandten, die Ihnen doch, wie mir scheint, am nächsten liegen mußte?“

Friedrich sah ihn überrascht an.

„Ich verstehe, auf welche Frage Sie anspielen,“ sagte er nach einer kurzen Pause. „Das that ich nicht, weil ich dachte, Sie würden auch ohne eine solche Frage mir sagen, was ich wissen solle. Daß Sie mir nichts sagten, bewies mir, daß Sie nichts sagen wollten oder konnten. In beiden Fällen war das Fragen gleich zwecklos.“

„Das war allerdings ganz richtig von Ihnen gedacht, aber Sie mußten doch begierig sein …“ erwiderte der Doctor.

„Begierig? Nein! Am Ende ist doch an mir gesündigt worden? Und nun ist’s mir lieber, zu denken: man hat an Dir gesündigt, als: der und der oder die und die hat an Dir gesündigt!“

Der Doctor Rostmeyer sah den Unterofficier fragend an, er schien sich in das Gefühl, welches Friedrich diese Worte eingab, erst hineinfinden zu müssen; dann sagte er:

„Darin mögen Sie ebenfalls Recht haben. Das wird Sie aber nicht abhalten, mir zuzuhören, wenn ich Ihnen heute sage: Der und der hat an Ihnen gesündigt, und zwar sehr schwer gesündigt!“

„Nein! Wenn Sie glauben, ohne daß ich Sie frage, zu mir reden zu müssen, so sprechen Sie!“

„Wohl. Sie sind ein Sohn des verstorbenen Barons und der Baronin von Mechtelbeck.“

Friedrich wechselte leicht die Farbe.

„So?“ sagte er dann langsam und gedehnt, sehr ruhig, wie es schien, und doch klang ein leises Zittern durch die Stimme, wie es dem Doctor, dessen Augen groß und forschend auf ihm ruhten, nicht entging.

Da Friedrich weiter nichts sagte, mußte Rostmeyer unaufgefordert fortfahren.

„Der Thatbestand ist einfach der: Der Baron von Mechtelbeck war ein böser Narr. Er hat seine erste Frau durch eine verrückte Eifersucht todt gequält. Der Baron Stromeck, der nächste Gutsnachbar, war lange sein bester, täglich gesehener Freund, sein und seiner armen Frau Freund, bis er sich endlich einbildete, Stromeck sei der Geliebte, der Verführer seiner Frau. Diese gebar einen Sohn nach längerer kinderloser Ehe. Mechtelbeck ließ das Kind dem Baron Stromeck auf die Schwelle legen … und das Kind sind Sie, Friedrich!“

„In der That?“ sagte Friedrich, mit derselben Ruhe den Blicken Rostmeyer’s begegnend … „ich glaube nicht, daß Sie es mir sagen würden, wenn Sie nicht Beweise dafür hätten.“

„Ich würde es nicht, wenn ich nicht von der Richtigkeit dessen was ich Ihnen sage, moralisch überzeugt wäre.“

„Heißt das, Sie haben Beweise?“

„Nicht ganz! Die Beweise liegen nicht völlig unangreifbar vor, aber meine Ueberzeugung steht fest.“

„Ihre Ueberzeugung … trotzdem, daß Sie nicht umhin können, sich zu sagen, die Sache habe doch wunderlich zugehen müssen … man nimmt doch einer Mutter nicht ihr Kind, ohne …“

„Sie haben Recht! Aber der Baron Mechtelbeck war ein gewaltthätiger Mann, der ausführte, was er sich in den Kopf setzte. Die Entbindung der Frau wurde heimlich gehalten. Sie war ein schwaches Geschöpf, das ihn fürchtete wie eine Sclavin ihren Tyrannen. Er bedrohte sie mit einem scandalösen Scheidungsprocesse. So mußte sie sich unterwerfen; die Kammerfrau und die Hebamme wurden bestochen … glauben Sie, die Sache sei unmöglich?“

Friedrich zuckte mit den Achseln und schwieg.

Rostmeyer fuhr fort:

„Sie wurden in der frühesten Frühe der Nacht, in welcher Sie geboren wurden, hier vor der Thür dieses Hauses ausgesetzt. Der Jäger des Barons Stromeck fand Sie. Er kam von drüben aus dem Wirthschaftsgebäude, wo er schlief, um den Baron zu wecken, denn dieser wollte sehr früh an jenem Tage zur Jagd hinaus. Mochte der Baron Stromeck eine Ahnung, woher Sie stammten, haben oder nicht – ich glaube, er hatte keine –: er fand für gut, keinen Lärm zu machen. Er ließ den Jäger das Kind nehmen und zu dessen Frau in den Wald bringen; dann wurde ich in’s Vertrauen gezogen, und da die Jägersleute sich nicht eigneten, so gaben wir Sie dem Schulmeister in die Zucht. Der Baron gab das Geld her für Ihre Erziehung … so lange es nöthig war. In den letzten Jahren haben Sie fast nichts mehr gebraucht. Sie müssen ein sehr sparsamer Mensch sein; Sie hätten mehr fordern dürfen. Und jetzt ist der Baron vor einiger Zeit gestorben …“

Friedrich sprang plötzlich auf. Er schien keinen Grund mehr zu sehen, seine innerliche Erregung zu verbergen. Auch seine Züge zeigten, wie erschüttert er durch diese Mittheilung war.

„Und weshalb sagen Sie mir dies Alles jetzt erst?“

„Ich hatte früher keine Gründe, es Ihnen zu sagen. Wozu? Sie waren mit Ihrer Lage ganz zufrieden. Der Baron hätte Ihnen nicht beigestanden, Ihre Ansprüche durchzusetzen; er wollte nichts davon hören; ihm war es zunächst fatal, durch eine Aufrührung der alten Geschichte in den Mund der Leute zu kommen; lieber ließ er Sie bis zum jüngsten Tag Unterofficier sein!“

„Sehr christlich und menschenfreundlich!“ sagte Friedrich.

„Er war Ihr Wohlthäter?“

„Nun ja! Und jetzt?“

„Jetzt sind plötzlich die Umstände anders. Wir haben das nöthige Geld, um Ihre Ansprüche durchzusetzen. Dazu gehört eine bedeutende Summe …“

„Und wie haben Sie dies Alles ermittelt, Doctor?“

„Das will ich Ihnen sagen. Ich wurde vor längerer Zeit zu der Hebamme, welche damals von dem Baron Mechtelbeck bestochen war, beschieden … Die Frau war schwer krank, ich sollte ihr Testament machen. Wie ich bald bemerkte, war es ein Vorwand; die gute Alte hatte nichts zu vermachen. Aber ich sah sofort, daß sie etwas auf dem Gewissen hatte; sie begann von Ihnen zu sprechen; ich entlockte ihr endlich ihr Geheimniß – ich hörte Alles und erfuhr, daß die Frau mich nur rufen lassen, um mir aufzutragen, nach ihrem Tode Ihnen Alles zu sagen.“

„Ist sie todt?“

„Gottlob, nein, sie ist genesen und bei vollen Kräften. Sie muß unsere Hauptzeugin machen – und sie wird es. Freilich,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_178.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)