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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

der Rheinprovinz erhoben hatten und an denen Schurz Theil genommen, wurden sehr bald unterdrückt. In seiner Heimath blieb für ihn nichts mehr zu thun übrig, und da er überdies von den Behörden verfolgt wurde, so begab er sich zu der Armee, welche sich in Baden zur Vertheidigung der Reichsverfassung gebildet hatte; er trat in dieselbe ein und wurde als Adjutant Tiedemann’s, eines der Hauptanführer der Revolutionsarmee, verwendet. Gleichzeitig war auch Kinkel, und zwar als gemeiner Soldat, in diese eingetreten. Der Ausgang dieses Feldzugs ist bekannt. Die Aufständischen, denen es an allen wesentlichen Erfordernissen, insbesondere an einer einheitlichen Leitung, an geschulten Und disciplinirten Soldaten, an Waffen, Munition und Proviant gebrach, unterlagen dem gewaltigen Stoße der preußischen Truppen. Kinkel fiel in die Hände der Letzteren, wurde kriegsrechtlich zum Tode verurtheilt und zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt, während Schurz, welcher die bedeutendsten Gefechte mitgemacht hatte, sich unter dem Reste der Aufständischen befand, der sich, um einen letzten Widerstand zu versuchen, in die Festung Rastatt geworfen hatte. Die Besatzung war jedoch, nachdem die preußischen Truppen die Festung vollständig eingeschlossen, genöthigt, zu capituliren. Die Preußen besetzten die Stadt und Schurz entging der Gefangennahme nur durch die Flucht, die er unter unsäglichen Mühseligkeiten und der höchsten Lebensgefahr durch einen Abzugscanal und durch nächtliches Uebersetzen über den Rhein bewerkstelligte. Die einzelnen, höchst interessanten Abenteuer dieser Flucht zu berichten, würde zu weit führen, wenngleich dieselben dazu beitragen, den Muth, die Standhaftigkeit und Geistesgegenwart Schurz’s in der Stunde der Gefahr zu bekunden. Er entkam glücklich nach Frankreich, ging von da nach der Schweiz und nahm seinen Aufenthalt in Zürich, wo er in größter Zurückgezogenheit, nur mit Studien beschäftigt, lebte.

Das unglückliche Schicksal seines inzwischen zum Zuchthause verurtheilten Freundes Kinkel veranlaßte Schurz, selbst Flüchtling, dem das Damoklesschwert über dem Haupte hing, seinen sichern Aufenthalt zu verlassen und sich nach Köln zu begeben, um den Versuch zu einer Befreiung des Gefangenen zu unternehmen. Er that dies in Verkleidungen und unter falschem Namen, besuchte seine Eltern in Bonn und hatte dort eine Unterredung mit Johanna Kinkel, der Gattin Gottfried Kinkel’s. Am 9. Juli 1850, zu welcher Zeit ich in Bonn studirte, erhielt ich eine anonyme Einladung von der mir wohlbekannten Hand Schurz’s zu einem Besuche in Köln. Ich folgte dieser selbstredend unverzüglich und hatte die Freude, den geliebten Jugendfreund wiederzusehen und zu umarmen. Ich fand ihn in der Dachkammer eines Hauses im belebtesten Theile der Stadt, wo er, unter einem Haufen von Büchern begraben, schreibend am Tische saß.

Ueber die Gefühle, welche mich bei diesem Wiedersehen bewegten, will ich schweigen. Schurz selbst war in der heitersten Stimmung, und als ich ihm meine Besorgnis; darüber ausdrückte, daß er sich durch seine Anwesenheit an einem Orte, wo seine Person gekannt sei, der höchsten Gefahr der Entdeckung und somit einem sichern Verderben aussetze, erwiderte er lächelnd: „Ich folge nur meinem Pflichtgefühl.“ Auf mein ferneres Befragen, was denn der Gegenstand seiner eifrigen Studien sei, sagte er: „Kriegswissenschaften, man kann das vielleicht noch einmal gebrauchen.“ Und in der That hat sich ihm auch in seinem spätern Leben noch die Gelegenheit dargeboten, die auf diesem Gebiete erworbenen Kenntnisse praktisch zu verwerthen.

Seinen Plan, Kinkel zu befreien, konnte Schurz in Köln nicht zur Ausführung bringen. Er begab sich deshalb nach Berlin, um von hier aus für diesen Zweck thätig zu sein, nachdem Kinkel in das Zuchthaus zu Spandau versetzt worden war. Die Vorbereitungen zur Ausführung des Befreiungsplanes nahmen mehrere Monate in Anspruch und das kühne Werk gelang endlich am 6 November 1850.

Ich enthalte mich eines Eingehens auf die näheren Umstände dieses Ereignisses, da die Gartenlaube bereits in dem Jahrgange von 1863 eine ausführliche Beschreibung desselben von Moritz Wiggers gebracht hat. Diese heroische That aufopfernder Freundschaft, die Kühnheit und Entschlossenheit, mit welcher Schurz sie ausgeführt, rief die Theilnahme Aller hervor, welchen das Schicksal Kinkel’s am Herzen lag, und brachten den Namen des Ersteren in Jedermanns Mund, und wenn dieser, wie oft der Fall, später in öffentlichen Blättern genannt wurde, so geschah es stets mit dem stereotypen Zusätze: „Der Befreier Kinkel’s.“ Es gebührt ihm der Ruhm, der Welt einen Dichter und Gelehrten, welcher zu den Besten zählt, wiedergegeben zu haben.

Schurz floh mit Kinkel über Rostock nach England, begab sich von da auf einige Monate nach Paris und nahm sodann seinen Aufenthalt in London. Hier lernte er seine jetzige Gattin, Margarethe Meyer, die Tochter eines reichen Hamburger Kaufmannes, eine durch Schönheit und geistige Begabung ausgezeichnete junge Dame, kennen und vermählte sich mit ihr im Juli 1852, also in einem Alter von dreiundzwanzig Jahren. Sie hat ihn zum glücklichsten Gatten gemacht und ist ihren Kindern die treueste, liebevollste Mutter geworden.

England war indessen nicht der Boden, welcher Schurz ein geeignetes Feld für seine Thätigkeit darbot, und er siedelte deshalb mit seiner jungen Gattin nach den Vereinigten Staaten über, woselbst er im September desselben Jahres ankam und drei Jahre zurückgezogen lebte. Er benutzte diese Zeit, sich mit der englischen Sprache vertraut zu machen und wurde ihrer bald so sehr Herr, daß er sie mit derselben Geläufigkeit wie seine Muttersprache zu behandeln wußte. Von competenter Seite wird sogar behauptet, daß er der Sprache seiner neuen Heimath in höherem Maße mächtig sei, als selbst manche eingeborene Amerikaner. Dieser Umstand kam ihm sehr zu statten, als im Jahre 1856 die Agitation gegen die Sclaverei eine allgemeinere wurde und sich ihm dadurch die Gelegenheit eröffnete, mit der ganzen Kraft seiner Beredsamkeit auf die öffentliche Stimmung einzuwirken. Von hier ab beginnt seine eigentliche politische Laufbahn.

Als zwei Jahre später ein berühmt gewordener Wahlkampf zwischen Lincoln und Douglas stattfand, machten seine Wahlreden gegen die Sclaverei ungemeines Aussehen, verschafften ihm einen nationalen Ruf und eine Popularität, wie sich kein Anderer einer solchen im Gebiete der Union rühmen konnte. Eine persönliche Bekanntschaft, die sich zwischen ihm und Abraham Lincoln gebildet hatte, gedieh bald zur engsten Freundschaft, und dies Verhältniß hat sich ungetrübt erhalten bis zum Tode des Letzteren. Als Lincoln im Jahre 1860 als Candidat für die Präsidentschaft aufgestellt wurde, nahm Schurz den energischsten Antheil an dem Wahlkampfe, und die Erwählung Lincoln’s zum Präsidenten ist nach dem übereinstimmenden Urtheil Aller, welche von der zu jener Zeit dort herrschenden Stimmung Kenntniß haben, zum großen Theile mit seinen Bemühungen zuzuschreiben. Welches Verdienst er sich dadurch um sein neues Vaterland, um die Sache der Menschenwürde und Civilisation erworben, bedarf keiner Ausführung.

Nachdem Lincoln die oberste Leitung der Staatsgeschäfte übernommen, übertrug er Schurz den Gesandtschaftsposten am spanischen Hofe zu Madrid, den dieser im Juli darauf antrat. Obwohl diese Stellung eine höchst ehrenvolle und bedeutende war, so befriedigte sie doch Schurz nicht, weil sie seinem Thätigkeitstriebe zu wenig Beschäftigung darbot. Außerdem ertrug es auch sein Ehrgefühl nicht, daß er in behaglicher Ruhe in Spanien sitzen sollte, während auf dem Boden seines Landes der Krieg für eine Sache, welcher er mit ganzer Seele ergeben war, wüthete und seine Freunde Blut und Leben für dieselbe in die Schanze schlugen. Es trieb ihn um so mehr, an dem Kampfe Theil zu nehmen, als derselbe bekanntlich anfangs keine günstige Wendung für die Union nahm und deren Existenz sogar zeitweise in Frage gestellt war. Schurz suchte daher bei Lincoln um seine Abberufung nach.

Letzterer glaubte jedoch dieser Bitte nicht entsprechen zu dürfen, weil er Schurz’s diplomatische Befähigung und die Dienste, welche er dem Interesse der Union als Gesandter geleistet, zu hoch anschlug, als daß er dieses wichtige Amt anderen Händen hätte anvertrauen mögen. Gleichwohl bewilligte er Schurz einen längeren Urlaub, um ihm wenigstens die zeitweilige Anwesenheit in der bedrängten neuen Heimath zu ermöglichen. Schurz machte von dem selben Gebrauch und kam, seinen Weg über Deutschland nehmend und den vaterländischen Boden, welchen er als Flüchtling verlassen, als Gesandter einer großen Nation wieder berührend, am 31. Januar 1862 in Amerika an, wo er sofort sein ganzes Bestreben darauf richtete, die Regierung zu bewegen, dem Kriege eine entschiedene Richtung gegen die Sclaverei zu geben. Er war einer der Ersten, welche für eine allgemeine Emancipationspolitik auftraten, und hielt eine glänzende Rede in diesem Sinne, die ihren Eindruck auf die ganze Nation nicht verfehlte. Seinen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_182.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)