Seite:Die Gartenlaube (1868) 195.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Geehrter Herr Hauptmann!

Sie haben uns oft gesagt, der Hauptmann sei der Vater, wie der Oberfeuerwerker die Mutter der reitenden Batterie. Dies giebt mir den Muth, mich an Sie zu wenden. Ich bin hier in eine verwickelte Sache gerathen, worin ich einer väterlichen Hülfe bedarf; sie ist sehr verwickelt und betrifft auch Sie … so sehr, daß es nicht sträfliche Insubordination von mir ist, wenn ich Sie inständig bitte: kommen Sie hierher und sehen selbst, was zu thun ist, und besprechen es mit Frau von Thorbach, denn Frau von Thorbach ist Ihre Feindin nicht, es ist auf Ehre ein Irrthum von Ihnen, Herr Hauptmann; sie wird, denk’ ich, nichts lieber thun, als es Ihnen mündlich selber sagen.

Ihr gehorsamer Diener
Friedrich Schwelle,
Feuerwerker.“

Als der Hauptmann diesen Brief erhielt, mußte er dies Schriftstück, diese respectwidrige Aufforderung zum Kommen, gerichtet von einem Unterofficier an seinen vorgesetzten Officier, zu ungewöhnlich finden, um nicht sofort daraufhin ebenfalls einen Urlaub zu nehmen und sich auf die Reise zu machen, um die Veranlassung zu ergründen.

Er langte früher noch bei Friedrich an, als dieser erwartet hatte, d. h. er langte am Wirthshause Friedrich’s an, denn dieser war, als der Hauptmann eintraf, nicht daheim. Friedrich war in der Zeit, nachdem er seinen Brief abgesendet, wenig daheim gewesen. Wo er war, wußte Niemand; einmal war er bei dem Anwalt gewesen, um dem Doctor Rostmeyer auf’s Entschiedenste zu verbieten, das Geld des Bauern Herbot anzunehmen und überhaupt irgend etwas zu thun, bevor der Hauptmann angekommen sei. Der Doctor Rostmeyer war so unwillig darüber geworden, daß er Friedrich fast die Thür gewiesen hätte, Friedrich aber war gegangen, ohne ein Wort von dem, was er gesagt, zurückzunehmen. Wo er jedoch in den übrigen Stunden des Tages steckte, wußte Niemand; vielleicht hatte Marianne allein eine Ahnung davon - sie hatte um die Nachmittagsstunde am Saume des Gehölzes jenseits des Baches und der Wiesen eine dunkle Uniform auftauchen sehen … zu ihrem großen Schrecken und Entsetzen . : . sie war ängstlich in’s Haus gegangen … und doch, so widerspruchvoll ist das menschliche Herz … doch war sie um die nächste Nachmittagsstunde wieder, und zwar allein, mit ihrer Arbeit zu der Bank hinter dem Hause gegangen, wo sie die Wiesen und den Wald übersehen konnte.

Da der Hauptmann von Mechtelbeck Friedrich nicht fand und Mutter Tillmann, welche allein zu Hause war, auch nicht geneigt schien, die Gewähr zu übernehmen, daß er bald heimkehren werde, so entschloß sich der Officier mit kühnem Muth, zum Schlosse zu gehen und sich bei Frau von Thorbach melden zu lassen, wenn anders Friedrich nicht in der Zeit komme, welche der Hauptmann bedurfte, sich umzukleiden. Friedrich kam nicht, und eine halbe Stunde später sah der Hauptmann Schloß Stromeck vor sich.

Er hatte die kurze Wanderung allerdings mit kühnem Muth angetreten, aber er fühlte ihn entschwinden, als er in den Salon der gnädigen Frau geführt wurde und er Aug’ in Auge dem Feinde oder besser der Feindin gegenüberstand. Das war nicht zu verwundern, denn Frau von Thorbach unterließ nichts, ihm den Muth von vornherein zu nehmen; sie war so merkwürdig beflissen, ihn gleich bei seinem Eintreten aus der Fassung zu bringen. Sie war aufgesprungen, sie hatte sich dann ebenso schnell wieder gesetzt, als ob sie bereue, mit dem Aufstehen ihm zu viel Ehre angethan zu haben, sie war bleich geworden und wieder roth, während ihr Schooßhund ein fürchterliches Gebell machte, welches sie sich gar nicht die Mühe nahm, zu beschwichtigen. Und währenddeß hatte sie ein paar Worte gesagt, so leise, daß der Hauptmann sie gar nicht verstanden.

„Gnädige Frau,“ stotterte er und griff dann krampfhaft nach der Lehne eines Stuhles, da ihm war, als ob sie mit der Hand eine einladende Bewegung nach demselben hin gemacht. „Sie müssen mir zu Gnaden halten, daß ich es wage,“ fuhr er fort, „ich habe von einem meiner Untergebenen, dem Unteroffizier Friedrich, eine Meldung erhalten, die mich veranlaßt … es ist das erste Mal, daß ich Haus Stromeck betrete … obwohl wir eigentlich sehr nahe Nachbarn sind…“

Frau von Thorbach hatte sich unterdeß so weit gefaßt, um die große Verlegenheit bemerken zu können, mit welcher der Hauptmann sprach. Dies gab ihr ihre Geistesgegenwart wieder, und während ihr feines, hübsches Gesicht seine gewöhnliche rosige Färbung wiederbekam, um doch wieder rasch eine dunklere anzunehmen, antwortete sie mit ruhigem Tone:

„Ich höre zu meiner Verwunderung, daß Sie an diese Nachbarschaft erinnern, Herr von Mechtelbeck. Als ich den Winter in der Stadt war, schienen Sie diese ganz vergessen zu haben…“

„Vergessen?“ rief er aus, „ach nein, ich erinnere mich ihrer zu wohl und auch der unglücklichen Verhältnisse, die mir den Muth raubten, mich Ihnen vorstellen zu lassen … ich würde auch heute nicht kühner sein, wenn der bravste Mann unter meinen Leuten mich nicht um meinen Beistand angefleht hätte … und so komme ich, gnädige Frau, Sie um die Mittheilung dessen zu bitten, um was es sich eigentlich handelt, der Friedrich verweist mich in seinem Briefe an Sie …“

„An mich?“ rief Frau von Thorbach aus und wurde plötzlich wieder bleich … sie sollte dem Hauptmann von Mechtelbeck, der sie für seine Feindin hielt, auseinandersetzen, wie sie mit ihrem Rechtsanwalt in einem Complote sei, um ihn seines Erbes zu Gunsten Friedrich’s zu berauben? … Wie ein Stein fiel ihr das auf die Seele … sie konnte unmöglich dem Manne ihr gegenüber solche Eröffnungen machen, es war etwas in ihrem Herzen, was es ihr furchtbar erscheinen ließ, und erschrocken fuhr sie fort: „Um Alles in der Welt willen, verlangen Sie das nicht von mir … ich versichere Sie nur, ich bitte Sie bei Allem, was Ihnen heilig ist, mir zu glauben, daß diese ganze Geschichte auch nicht im Mindesten von mir angerührt ist, daß sie mich nichts angeht … mir war Alles, Alles völlig fremd … o mein Gott, woher soll ich Worte nehmen, Ihnen die Ueberzeugung zu geben …“

Der Hauptmann blickte mit der äußersten Ueberraschung die plötzlich in solche Aufregung gerathende Frau an, deren Wesen ihm völlig räthselhaft war, aber er sah, daß ihr namenlos viel daran gelegen schien, sich wegen irgend etwas in seinen Augen zu rechtfertigen, und dies erfüllte ihn mit einer großen und nicht zu beschreibenden Freude.

„Gnädige Frau,“ rief er mit großer Wärme aus, „ich begreife durchaus nicht, was für Verhältnisse es sind, von denen Sie reden, allein ich kann Ihnen die Beruhigung geben, daß ein Wort von Ihnen mir genügt, Alles zu glauben, was Sie verlangen, daß ich glauben soll; ich schwöre Ihnen, daß keine Lippe auf Erden ist, auf deren Wort ich fester, rückhaltloser und unbedingter baue, als die Ihrigen … Sie thun mir weh, wenn Sie glauben, daß es besonderer Versicherungen bedürfe…“

„Aber, mein Gott,“ unterbrach ihn Frau von Thorbach, ohne ihrer Erregung Meister werden zu können, „Sie ahnen ja nicht, wovon es sich handelt, Sie glauben, ich sei Ihre Feindin …“

„O, halten Sie ein … nein, nein, nein, ich glaube es nicht mehr … und lassen Sie es mich aussprechen, eine ganze Fülle von Glück überfluthet mich bei der Ueberzeugung, daß ich ein Thor war, es zu glauben, daß ich unter dem Eindrucke alter aus meinen Knabenjahren mit herübergenommener Vorstellungen blieb, die mein verstorbener Vater in mir geweckt hatte, auch da noch blieb, als ich Sie sah, Sie, so gütig, so himmlisch gütig blickend und mit Ihren Blicken voll Engelshuld Alle beglückend, von denen ich Sie umringt zu sehen pflegte …“

Frau von Thorbach’s Erregung legte sich bei diesen Worten ihres Gegenüber, aber ihre frühere Befangenheit schien wieder über sie zu kommen, obwohl sie zu lächeln und in leichtem Tone zu antworten versuchte:

„Ich glaube doch nicht, Sie immer besonders gütig angesehen zu haben, wenn ich Ihnen in Gesellschaften begegnete, Herr von Mechtelbeck. Ich war Ihnen oft wenigstens bitterböse, daß Sie so geflissentlich die Pflichten versäumten, welche Sie gegen eine so nahe Nachbarin hatten.“

„Freilich, darin muß ich Ihnen Recht geben,“ erwiderte der Hauptmann, „und das war es ja eben, was mich glauben ließ, mein Vater habe Recht gehabt mit seinen Hindeutungen auf eine alte Blutsfeindschaft zwischen unseren Familien …“

„Eine alte Blutsfeindschaft … das ist mir neu, völlig neu,“ rief Frau von Thorbach aus, „mein Vater hat nie auch nur mit einer Silbe darauf hingedeutet … aber Ihr Vater …“

Sie stockte plötzlich.

„Mein Vater? … vollenden Sie.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_195.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)