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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

wir sahen, war nicht tröstlich. Unser Zug war verschwunden, ein paar schwarze Schornsteine allein ragten traurig, wie die Kirchhofskreuze, aus dem Schnee hervor, während der Orkan immer noch wie die wilde Jagd über die Hochebenen bei Falkenstein hinsauste.

Die Bahnbewachungsorgane, die Ingenieure und Oberbahnwärter, boten für das Schneeauswerfen umsonst die höchsten Lohnsätze, die arbeitslose, hülfsbedürftige Bevölkerung der Stadt und Umgegend, meist arme Weber, blieb lieber zu Haus und hungerte, als daß sie sich dem fürchterlichen Wetter aussetzte, das übrigens noch immer jede angefangene Arbeit augenblicklich vernichtete. Wie wir später erfuhren, versuchte man auch zur selben Zeit, also den 1. Februar früh, von zwei Seiten, von Reichenbach und von Oelsnitz aus, mittels Maschinen zu den festsitzenden Zügen vorzudringen, aber ebenfalls vergebens. Eilig hatten sich diese Expeditionen wieder zurückziehen müssen, um nicht unser Schicksal zu theilen, und Augenzeugen berichteten uns, daß es an jenem Morgen ausgesehen habe, als ob der ganze Schnee, vom Sturmwind angeführt, in einer fortwährenden Wanderung begriffen gewesen sei und seinen verheerenden Zug fast bis Herlasgrün ausdehnte, während merkwürdiger Weise unweit dieses Streifens und an seinen Grenzen das Thauwetter mit aller Heftigkeit auftrat.

Unter solchen Umständen, und besonders da das Wasser und die Kohlen zu Ende gingen, war es nutzlos, die aufreibende Arbeit, das Heizen der Maschinen, fortzusetzen. Der Zugang zu ihnen wurde immer schwieriger und unsere Kräfte erlahmten abermals beim Durchwühlen des Schnees. Unsere im durchweichten Wagen noch nicht trocken gewordenen Kleider waren wiederum so hart gefroren, daß wir uns kaum bewegen konnten und wandernden Eiszapfen glichen. Ernstlich mußten wir deshalb an eigene Rettung denken, an die Rückkehr nach dem Bahnhof, die für uns erstarrte, kraftlos gewordene Männer das Schwierigste und Gefährlichste blieb; vorzüglich gefährlich war der Uebergang über einen unmittelbar hinter uns liegenden, von einer geländerlosen schmalen Brücke unterbrochenen ziemlich hohen Damm, von dem der Schnee herabgefegt worden. Hier wüthete der Sturm am tollsten. Auf Händen und Füßen langsam fortrutschend und mit den erstarrten Fingern mich krampfhaft an die Schienen klammernd, vom Sturme fortwährend gepackt, aufgehalten und wieder zurückgeworfen, zog ich mich Zoll für Zoll an den Eisen vorwärts, überkletterte dann die vielen weißen Hügel und Mauern, bis ich, auf allen Vieren kriechend, so ziemlich besinnungslos in ein Haus gelangte, wo man mich in ein Bett brachte.

Als ich wieder erwachte, hatte sich der Sturm gelegt; es war zwar noch windig, aber man konnte doch jetzt dem übermüthigen Schnee auf den Leib rücken. Von allen Seiten eilten deshalb willige Arbeiter herbei; die kleine Stadt Oelsnitz sandte ihr Militär, und fünf- bis sechshundert Arbeiter mochten auf der kurzen Strecke vom Bahnhof bis zu dem verwehten Zuge hin in Thätigkeit sein, um die Bahn dem Verkehr zurückzugeben. Wir drei verschlagenen Landsteuerleute aber eilten wieder auf unsere Plätze; uns nach zogen einige Schlitten mit Kohlen und Holz und nicht lange, so stiegen Rauchsäulen aus den schwarzen Essen in die Höhe, in die geleerten Tender und Kessel strömte das durch die Schläuche einer Spritze herbeigeschaffte Wasser des nahen Baches. Der entgleiste Tender wurde wieder auf die Schienen gehoben, und ungeduldig harrten wir der Stunde der Erlösung. Allein trotz der Tag und Nacht anhaltenden unausgesetzten Thätigkeit der Arbeiterschaar, kam der Mittag des 2. Februar heran, ehe ich die frohe Nachricht: „Abfahren, die Strecke ist frei!“ durch einen kräftigen, herzstärkenden Pfiff beantworten konnte. Mittlerweile waren auch meine Leidensgenossen bei Auerbach aus ihrem Gefängniß geschaufelt und hinter ihnen her dampften wir Auferstandenen, die Gefahren vergessend, wieder dem Hafen der Ruhe, dem großen Reichenbacher Bahnhof zu, den wir Alle glücklich wieder sahen.

Der Leser, welchem ich mit dieser Erzählung einen Einblick in unser modernes Fuhrwesen verschafft habe, wird daraus ersehen haben, daß uns Locomotivführern noch ganz andere Gefahren drohen, als die, mit denen uns der allgemeine Glaube meist umgiebt; denn wirklich verhängnißvolle Katastrophen, durch das Eisenbahnpersonal, durch das Material oder durch unausbleibliche Irrthümer herbeigeführt, sind äußerst selten. Die statistischen Tabellen haben es glänzend dargethan, daß man mit der Eisenbahn nicht blos am schnellsten, sondern auch am sichersten reist. Der durch Pferde und anderes Fuhrwerk verursachten Unglücksfälle sind wenigstens dreißig Mal mehr, aber die körperlichen Anstrengungen unseres Dienstes, der neben allergrößter Ruhe und Besonnenheit ein stetes Wachsein der höheren Sinne bedingt und eine ungeheure Verantwortlichkeit auf sich hat, schaffen uns zahllose Leiden, die mit Gicht und Reißen früh genug anfangen, und die aufgeführten eigenen Erlebnisse beweisen nur, daß man in unserem Stande sogar in den cultivirtesten und besteingerichteten Ländern Tage erlebt, wie sie am Saume des nördlichsten Sibirien, fern von den Stätten der Menschen, kaum schauerlicher vorkommen können, und daß man, obgleich mit der Schnelligkeit des Vogels wetteifernd und mit der höchsten Kraft im Bunde, doch nichts gegen die Launen der Natur und gegen so manche tägliche kleine Vorkommnisse vermag, die ich vielleicht in einem späteren Artikel schildern werde.




Erinnerungen an König Ludwig den Ersten von Baiern.

Von Ernst Förster.
I.

König Ludwig der Erste von Baiern war in vielen Beziehungen eine so bedeutende, eigenthümliche und großartige Erscheinung, daß er gewiß für immer im Munde des Volkes fortlebt, wenn auch Manches, was er gethan, vergessen und Vieles, was er geschaffen, der Zeit zum Opfer gefallen sein wird. Sind es die Züge aus dem Privatleben und dem persönlichen Umgang, die über die Popularität eines Fürsten entscheiden, so sind sie gewiß nicht die werthlosesten zur Zeichnung seines Charakters. Das Gedächtniß hält sie am liebsten fest; sie bringen ihn uns als Menschen näher, als jene Erinnerungen aus dem öffentlichen Leben, die uns überall in Fracturschrift entgegen glänzen, wohin er seinen Fuß gesetzt, wohin sein Geist gereicht hat. – Ich war so glücklich, ihm persönlich bekannt zu sein, und bin während vierzig Jahren vielfach mit ihm in Berührung gekommen, in friedliche und freundliche, aber allerdings zuweilen auch in bedenkliche. Wenn er es aber auch ungern sah, daß ich eine der seinigen entgegengesetzte Ansicht aussprach und festhielt, ja, wenn er selbst heftig werden konnte: für einen Gegner – das wußte er wohl! – durfte er mich nicht halten, und so erlitten die guten Beziehungen nie eine langandauernde Unterbrechung. Ueber politische Angelegenheiten bin ich nie mit im in Conflict gekommen, und während der beklagenswerthen Verirrung von 1847 habe ich weder mündlich noch schriftlich ein Wort mit ihm zu wechseln Gelegenheit gehabt. Vieles aber von dem, was mir aus der Zeit vorher und nachher von dem Verkehr mit ihm in Händen und im Gedächtniß geblieben, halte ich für werth, unverloren zu bleiben. Sind es auch nur vereinzelte Züge: sie werden doch das Bild des deutschen Mannes, des Fürsten, des Menschen von natürlicher Denk- und Empfindungsweise vervollständigen helfen. –

Meine erste Bekanntschaft mit König Ludwig fällt in das Jahr 1827; sie wurde nur auf dem Papier gemacht, wo sich unsere Handschriften begegneten. Ich war beauftragt, das Programm für die Fresken des Hofgartens zu entwerfen, und bekam mein Manuscript zurück mit Bemerkungen, Correcturen und mit der Genehmigung desselben von des Königs Hand, woraus ich sah, welche gewissenhafte Aufmerksamkeit er einer im Ganzen sehr untergeordneten Aufgabe geschenkt hatte.

Wir hatten bereits in den Arcaden zu malen angefangen, als eines Tages heftig an die Thür angeklopft wurde. Es war in der Mittagstunde und außer mir Niemand da. Das Klopfen wurde so stark wiederholt, daß ich den Rock, den ich an den Nagel gehängt, hängen ließ und die Thür öffnete. Da stand der König! „Ich muß doch sehen, was Sie schaffen!“ fing er an. „Wie heißen Sie?“ und als ich meinen Namen genannt – „vielleicht ein Bruder von Friedrich Förster?“ – „Ja!“ – „Ah, das freut mich. Ihren Bruder schätze ich sehr! Sein köstliches Gedicht auf die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_200.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2021)